Leere Regale, aufgebrauchte Vorräte und Lieferverzögerungen – die Auswirkungen der Lieferkettenengässe sind weltweit zu spüren. Die sich daraus ergebende Inflation sei jedoch nur vorübergehend, meint Esty Dwek von FlowBank. Trotzdem sollten sich Anlegerinnen und Anleger auf Turbulenzen einstellen.
Die Weltwirtschaft erholt sich, entsprechend stark wächst die Nachfrage nach Gütern. Nur: Das Angebot kann nicht mithalten. Die Unternehmen waren nicht auf die Geschwindigkeit und das Ausmass des Aufschwungs vorbereitet. Daraus resultieren Verzögerungen bei der Produktion und dem Versand. Dazu kommt, dass Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie nach wie vor die Produktion stören und es deshalb weiterhin zu Engpassen in den Lieferketten kommt.
«Erste Anzeichen deuten jedoch auf eine allmähliche Verbesserung hin. Es dürfte aber noch einige Zeit dauern, bis sich diese Verbesserungen einstellen und die Preise wieder sinken», kommentiert Esty Dwek, CIO bei FlowBank.
Ein globales Phänomen
Gemäss Schätzungen der Weltbank sitzen nach wie vor 8,5% der weltweiten Containerschiffe in den Häfen oder in deren Nähe fest – das sind doppelt so viele wie im Januar. Die daraus resultierenden Probleme sind weltweit zu spüren. China beispielsweise war in den letzten 20 Monaten gezwungen, immer wieder Fabriken zu schliessen. Und obwohl das Land seine Produktion wieder hochgefahren hat, ist der Warenfluss immer noch chaotisch. Deutschland hat aufgrund von Engpässen bei Chips und Metallen Schwierigkeiten, mit der Autoproduktion Schritt zu halten, und im Vereinigten Königreich geht der Treibstoff aus, weil es an LKW-Fahrern mangelt.
Nike warnt vor Engpässen bei den Lagerbeständen, Einzelhändler wie Walmart und Costco hatten Schwierigkeiten, ihre Toilettenpapiervorräte wieder aufzufüllen. Salesforce schätzt, dass Logistik-, Arbeits- und Produktionsprobleme die US-Einzelhändler insgesamt rund 223 Mrd. US-Dollar kosten werden. «Das wiederum lässt vermuten, dass die Verbraucher wahrscheinlich mehr für ihre Weihnachtsgeschenke bezahlen müssen – sofern diese denn überhaupt ankommen», so Dwek.
Grafik 1: Je länger die Lieferzeiten, desto höher die Preise.
Wird es schlimmer, bevor es besser wird?
Fachleute sind sich uneins über die kurz- bis langfristigen Folgen dieser Lieferkettenkrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose für dieses Jahr für die Industrieländer aufgrund dieser Störungen gesenkt, erwartet aber eine Verbesserung im Jahr 2022.
Im Mai erreichten 444’736 Container den Hafen von Long Beach in Kalifornien – der diesjährige Höchststand. Im August waren es dann nur noch 407’426. Auch in die umgekehrte Richtung zeichnet sich ein Rückgang ab: Im August verliessen nur noch 268’505 Container den Hafen, gegenüber 313’070 im Mai. «Was die anderen grossen Häfen betrifft, so verzeichnete Singapur seinen letzten Höchststand im März und China im August. Das deutet darauf hin, dass das Verkehrsvolumen zurückgeht», ordnet Dwek die Entwicklungen ein.
Gleichzeitig zu diesem Rückgang stiegen die Transportkosten, bis im September eine Trendwende eingesetzt zu haben scheint (vgl. Grafik).
Grafik 2: Die Transportkosten scheinen im September einen vorläufigen Höchststand erreicht zu haben.
«Die Transportkosten sind trotzdem nach wie vor sehr hoch», meint Dwek. Es sei jedoch zu beobachten, wie Schiffsbetreiber ihre Flotten vergrössern. Als Folge dürften die Transportkosten wieder sinken.
Aussichten verbessern sich für Unternehmen
Da Waren rarer wurden und die Transportkosten stiegen, schlug dies doppelt auf die Preise durch. Die erwartete globale Verbraucherpreisinflation stieg für 2021 um 0,4% auf 2,8% (vgl. Grafik).
Grafik 3: Die Verbraucherpreisinflation ist weltweit im Steigen begriffen.
Die steigende Inflation macht Anlegerinnen und Anlegern Sorgen, während die meisten politischen Entscheidungsträger, Zentralbanken wie auch der IWF beschwichtigen und davon ausgehen, dass die Teuerung vorübergehend ist. Die weltweiten Warenflüsse dürften gemäss Schätzungen bereits 2022 das Niveau von vor der Pandemie erreichen.
Für Unternehmen wie die Chiphersteller AMD und NVIDIA oder Apple versprechen die Inflationszahlen jedoch Gutes. Die Expertin geht davon aus, dass die Verkäufe dieser Unternehmen bereits 2022 wieder anziehen dürften – und zwar zu höheren Preisen. «Unternehmen werden höhere Margen abschöpfen können, da kundenseitig die Bereitschaft da sein dürfte, höhere Preise zu bezahlen», erklärt Dwek. Samsung konnte bereits jetzt dank höherer Preise und einem Rekordumsatz den höchsten Gewinn seit drei Jahren verzeichnen.
«Es bestehen zwar weiterhin langfristige Risiken und die Inflation könnte noch länger steigen, doch wir bleiben bei unserer Einschätzung, dass es sich um eine vorübergehende Entwicklung handelt. Höhere Impfquoten werden ein Anziehen der Wirtschaft ermöglichen, was wiederum zu besseren Warenflüssen führen wird», so Dwek. Sie geht daher nicht davon aus, dass diese Störungen den weltweiten Aufschwung zum Entgleisen bringen oder zu einer langfristigen Inflationsspirale führen werden. In der Zwischenzeit sollten sich Anlegerinnen und Anleger jedoch auf einige Turbulenzen einstellen. (FlowBank/mc/ps)