Freedom Finance: FemTech – Vom Nischenmarkt zur essenziellen Gesundheitsdienstleistung? Was Anleger über den Sektor wissen sollten

Andrey Wolfsbein

Andrey Wolfsbein, Schweiz-Sprecher bei der Investmentgesellschaft Freedom Finance. (Foto: zvg)

Bisher ist der FemTech (Female Technology)-Sektor ein unterfinanzierter Wirtschaftszweig der Gesundheitsindustrie, dem dennoch grosses Wachstumspotential nachgesagt wird. In den letzten Jahren hat der Sektor spürbar an Aufmerksamkeit in der breiten Öffentlichkeit und unter Wagniskapitalgebern gewonnen. Denn: Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel begünstigen die Industrie. Wie die Trends im Einzelnen aussehen und was Investoren zu beachten haben, um an den Entwicklungen zu partizipieren, weiss die Investmentgesellschaft Freedom Finance.

Bern, am 07.03.2022 Smarte Armbänder gegen Hitzewallungen in den Wechseljahren, digitale Fruchtbarkeitstracker oder Gentests, die die Wahrscheinlichkeit von Endometriose vorhersagen – die Beispiele für sogenannte FemTech-Produkte sind vielfältig. Doch verschiedene Faktoren standen bisher einer Weiterentwicklung des Sektors im Wege: Unter anderem war der Zugang zu Wagniskapital limitiert, da Investoren oft noch nicht vollständig von der Plausibilität der Ideen überzeugt werden konnten. Erschwerend kommt hinzu, dass wenige signifikante Exits oder IPOs aus der Branche bekannt sind, die zu einer höheren Zuversicht unter Investoren hätten führen können. Dennoch deuten die Vorzeichen derzeit auf eine mögliche Trendwende hin. Welche Faktoren die FemTech Branche begünstigen und was für Anlagemöglichkeiten in der Industrie bestehen, erklärt Andrey Wolfsbein, Schweiz-Sprecher bei der Investmentgesellschaft Freedom Finance.

Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel steigern Interesse
Laut Pitchbook floss im Jahr 2021 erstmalig mehr als eine Milliarde Dollar in FemTech Startups. Noch interessanter wird es, wenn man einen längeren Betrachtungshorizont wählt, denn seit 2012 hat sich das Wagniskapital, welches in die Branche investiert wurde, etwa verzehnfacht. Aktuelle Schätzungen von Freedom Finance gehen von einer Marktgrösse von 40,2 Milliarden US-Dollar aus und prognostizieren ein durchschnittliches Wachstum von 13,3% pro Jahr auf ein Gesamtvolumen von 75,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025. »Ein wesentlicher Treiber des Wachstums liegt in der coronabedingten Digitalisierungswelle und der damit einhergehenden Entwicklung digitaler Gesundheitslösungen. Rund 94% der Menschen, die während der Pandemie Angebote aus der Telemedizin – wie beispielsweisevirtuelle Arztbesuche – nutzten, geben an, dies in Zukunft weiterhin tun zu wollen« erklärt Wolfsbein. Ein weiterer Beschleuniger liegt in der wachsenden Erkenntnis, dass das Thema Frauengesundheit und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Möglichkeiten noch unterrepräsentiert sind. Trotz des Fakts, dass Frauen die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, werden derzeit nur 4% der medizinischen R&D Budgets in weibliche Forschungsthemen gesteckt.

»Sheconomy«: Frauen als Entscheidungsträgerinnen und Zielgruppe
Ein begünstigender Trend findet sich in der sogenannten ‚Sheconomy‘: Frauen sind durchschnittlich besser gebildet als ihre männlichen Counterparts und entscheiden sich immer häufiger für eine Karriere anstatt frühzeitig eine Familie zu gründen. Umso höher das Einkommen, desto interessanter werden Frauen als Zielgruppe von Unternehmen. Denn bei Frauen ist das Interesse den eigenen Gesundheitszustand zu tracken um 75% höher als bei Männern. »Mögliche Erklärungen für das höhere Ausgabeverhalten finden sich einerseits in einem verhältnismässig höheren Gesundheitsbewusstsein unter Frauen und andererseits liegt die Verantwortung des familiären Haushaltsbudget zumeist in den Händen der Mütter – gesundheitsbezogene Entscheidungen, die die Familie betreffen, werden zu fast 90% von Frauen getroffen«, erläutert Wolfsbein.

Als Anleger am Wachstum des Sektors teilnehmen
Momentan werden noch nicht viele FemTech Unternehmen am Aktienmarkt gehandelt. Dennoch gibt es für Anleger einige spannende Optionen um am Wachstum des Sektors zu partizipieren. Das derzeit grösste börsennotierte FemTech, Progyny (PGNY) wagte 2019 den Schritt an die Börse. Progyny bietet amerikanischen Unternehmen ein erweitertes Leistungsspektrum aus Schwangerschafts-, Fertilitäts- und Familienplanung für ihre Arbeitnehmerinnen an. Das Unternehmen nutzt ein datengetriebenes Model mit angeschlossenem Netzwerk aus 900 Fertilitätsexperten, um teilnehmenden Mitarbeiterinnen grössere Kostenkontrolle, passendere ärztliche Ressourcen und letztendlich bessere klinische Leistungen rund um die Schwangerschaft zu bieten. Ein weiterer Konzern im Bereich FemTech ist Invitae (NVTA), welcher Gentests für zahlreiche frauenspezifische Krankheitsbilder in den Bereichen der Krebserkrankungen, Kardiologie, Neurologie, Pädiatrie, Onkologie und Stoffwechselstörungen anbietet. Invitae hat vor kurzem eine Übernahme von Archer DX abgeschlossen, das Behandlungen für die Präzisionsonkologie entwickelt. Die sogenannte Stratafide-Plattform von Archer ist in der Lage, DNA-Veränderungen zu erkennen, die Ärzten hilft genauere Behandlungen für Krebspatienten zu verschreiben. Die Federal Drug Administration hat Stratafide kürzlich den Status einer bahnbrechenden Behandlung zuerkannt.

Weiteren Unternehmen wird ein Börsengang zugetraut
Neben diesen börsennotierten Unternehmen stehen noch viele weitere in den Startlöchern, die bald den Gang aufs Handelsparkett wagen könnten. Stellvertretend sei hier ein vielversprechendes Start-up genannt: Flo Health, eine App, die KI basierte Vorhersagen zum Zyklus von Periode und Eisprung auf Basis von 70 verschiedenen Indikatoren wie z.B. Krämpfen, Ausfluss oder Kopfschmerzen, trifft. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, einen niedrigschwelligen Zugang zu Experteninformationen, Wissen und Unterstützung zu schaffen und Frauen zu ermutigen, ihren Zyklus und dessen Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden besser zu verstehen. Die App wurde bereits 210 Millionen Mal aus dem App Store heruntergeladen und wird monatlich von 43,5 Millionen Userinnen genutzt – davon zwei Millionen für die Dienste der App zahlende Kundinnen. Laut crunchbase.com sammelte das Unternehmen bereits 75,5 Mio $ ein und wurde 2021 mit 800 Mio $ bewertet.

Ausblick: Wie geht es weiter mit FemTech?
Eine der grössten Herausforderungen für die gesamte Branche besteht darin, die meist männlichen Entscheidungsträger zu erreichen und sie dazu zu bringen, das Geschäftsszenario und das wachsende, kosteneffektive und profitable Potenzial von FemTech-Lösungen zu verstehen. »Es wird sich noch erweisen müssen, ob das Konzept der FemTech in der Zukunft fortbestehen wird, oder ob die Produkte und Dienstleistungen, die derzeit als FemTech bezeichnet werden, diese Definition ablegen und ihren rechtmässigen Platz im Mainstream der verbraucherorientierten Gesundheits- und Lifestyle-Anwendungen einnehmen werden«, meint Wolfsbein. Fest steht, dass Investitionen in Innovationen für die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen weiter zunehmen werden und wir mit grosser Wahrscheinlichkeit eine grössere Vielfalt an Produktangeboten sehen werden.

Exit mobile version