Freedom Finance: Gibt es sie noch? Marktchancen einzelner Länder und Sektoren im Vergleich
Bern – In den Industrienationen sind die Börsenleitbarometer deutlicher gefallen als in den Schwellenländern. Heisst das, dass ein Ausverkauf in den Emerging Markets noch bevorsteht, oder kommen sie glimpflicher davon? Für Retail Investoren stellt sich zudem die Frage, welche Sektoren in diesen Ländern heute noch Renditechancen bieten. Antworten auf diese Fragen sowie Tipps für kurzfristige und langfristige Anlegestrategien zur Portfoliooptimierung gibt Andrey Wolfsbein, Schweiz-Sprecher der Investmentgesellschaft Freedom Finance Deutschland.
Die gegenwärtigen Zinserhöhungen, Bilanzverkürzungen und Risikoaversion unter Investoren können schnell zu einer Verknappung des ausländischen Kapitals in Schwellenländern führen. Dies bedeutet, dass Länder wie Indien, Brasilien, die Türkei, Ägypten, Thailand und Kolumbien, die in hohem Masse von ausländischem Kapital abhängig sind, höchstwahrscheinlich stärker unter den Schwankungen der globalen Wirtschaft leiden werden. „Ein Beispiel hierfür zeigt sich momentan in der Türkei, die in den Jahren 2021 und 2022 signifikante Kapitalabflüsse erlebt hat. Die Vergangenheit zeigt, dass in Krisenzeiten ausländische Investoren ihr Kapital besonders schnell abziehen“, weiss Andrey Wolfsbein, Schweiz-Sprecher von Freedom Finance. Weitere Zahlen aus einer aktuellen Erhebung von JP Morgan, laut der die jährliche Ausfallquote von Unternehmensanleihen in den Schwellenländern im Jahr 2022 bei bereits 8,5 Prozent liegen könnte, untermauern diese Einschätzung. In diesem Umfeld stellt sich die Frage, in welche Länder man investieren sollte, welche Wirtschaftssektoren weiterhin Renditepotenzial haben und mit welchen Anlageinstrumenten sich diese Renditen erwirtschaften lassen.
Länderindizes: Trotz Verlusten bietet China weiterhin grosses Potential
Ein guter Start ist ein Vergleich der Länderindizes, der zeigt, dass die Kurse der Industrieländer im Vergleich zu denen der Schwellenländer deutlich gefallen sind. Beispielhaft seien hier die Leitindizes in Indien (Nifty 50) und China (Shanghai Composite) erwähnt, welche im laufenden Jahr bisher nur um 0,5 Prozent beziehungsweise 8,4 Prozent nachgegeben haben. Demgegenüber stehen der DAX, der S&P500 und der Nikkei 225 mit respektiven Verlusten von 15,12 Prozent, 12,21 Prozent und 9,26 Prozent. Daher stellt sich die Frage, ob die Indizes in den Emerging Markets ebenfalls fallen werden oder ob sich ihr Rückgang verlangsamt hat? In Anbetracht dessen wird schnell hinterfragt, ob sich die Ausschau nach Anlageideen rentiert. „Ein Blick auf China zum Beispiel verrät, dass es noch durchaus spannende Investments in den Schwellenländern geben kann. So sind die Wachstumsaussichten dort noch kräftig, denn der Handelsüberschuss konnte den Kapitalabfluss ausländischer Investoren bisher mehr als kompensieren. Einen weiteren Faktor kann man in der verhältnismässig hohen Wettbewerbsfähigkeit chinesischer Konzerne festmachen, denn während westliche Unternehmen teure Sanktionen mit Russland in Kauf nehmen, treibt die Volksrepublik weiterhin Handel mit Russland und kann kostengünstiger Ressourcen einkaufen. Ein letzter Faktor liegt in der stärker werdenden Binnennachfrage, die etwaige Exporteinbussen immer besser ausgleichen kann“, erklärt Wolfsbein.
Nicht alle Sektoren sind gleich betroffen
Da die Leitindizes der Länder durch die Bank hinweg negativ ausfallen, sollte ein feinerer Vergleich Sektor für Sektor die Strategien der Anleger leiten. Denn trotz des ungünstigen Umfelds für Investoren erleben nicht alle am Aktienmarkt vertretenen Branchen und Wirtschaftsbereiche die Krise auf die gleiche Weise. In Industrienationen wie den USA haben seit Anfang 2022 nur Energie und Versorger ein deutliches Wachstum von 21,18 Prozent beziehungsweise 0,87 Prozent verzeichnet. In den anderen Bereichen ist die Lage kritisch: Die Rückgänge der Unternehmenskapitalisierung reichen von 7,9 Prozent bei nicht-zyklischen Konsumgütern, bis 28,62 Prozent bei Technologieunternehmen. Innerhalb der Energiewirtschaft schnitten die Unternehmen in den Sektoren „Kohlebergbau“ sowie „Öl“ und „Gas“ am besten ab. Der gleiche Trend in den Industrien ist nicht nur in den USA, sondern auch in anderen Ländern zu beobachten. Dementsprechend sollten Investoren in diesem Jahr verstärkt die Rohstoffbörsen im Auge behalten.
Kurzfristige Anlagestrategie: Diskrete, konservative Ansätze mit Fokus auf Marktführer
Die meisten Vermögenswerte aus den Industrie- und Energiesektoren haben in den letzten Jahren kein starkes Wachstum verzeichnen können, obwohl sich die Fundamentaldaten deutlich verbessern konnten: „Aufgrund des Nachholbedarfs könnten in den kommenden Monaten höhere Bewertungen erzielt werden, was sich in weiter steigenden Kursen manifestieren sollte“, meint Wolfsbein. Hier sollten besonders die Marktführer ins Auge gefasst werden, da sie den regulatorischen Risiken aufgrund ihrer umfassenden Markterfahrung am besten begegnen können. Somit bieten sie die besten Chancen, kontinuierlich und profitabel zu wachsen, so Wolfsbein weiter.
Langfristig bleiben Technologie-Werte attraktiv
Um eine langfristige Anlagestrategie zu verfolgen, erfordert es unter den heutigen Bedingungen ein optimales Gleichgewicht zwischen Rendite und Risiko bei einem Investmenthorizont von drei Jahren oder länger. Eine günstige Gelegenheit bietet sich momentan im Kauf der Technologie-Aktien von IT-Giganten zu reduzierten Preisen. Langfristig bleiben Nvidia, Alibaba oder Amazon, die aufgrund ihrer Marktposition weniger bedroht sind, eine attraktive Anlage – eine rechtzeitige Übernahme kann hier zu Renditen über dem Marktniveau führen. Auch der Aufbau eines branchenübergreifenden Portfolios sollte beachtet werden: Die wirtschaftlichen Veränderungen im Laufe der Zeit ermöglichen es, gewinnbringend in unterbewertete Marktteilnehmer zu investieren und dabei eine ausgewogene Portfoliostruktur beizubehalten. (Freedom Finance/mc)