Bern – Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges stiegen die Energiekosten in ganz Europa stark an und sind mitverantwortlich für die immer noch hohe Inflation im Euroraum. Inzwischen haben sich die Preise wieder etwas beruhigt. Doch die aktuelle Eskalation in Israel und der kommende Winter rücken den Fokus wieder auf diesen Sektor. Denn die Internationale Energieagentur (IEA) hat vorausgesagt, dass die Kosten für Öl und Gas in diesem Winter hoch bleiben werden und die Gefahr einer weltweiten Energiekrise besteht, die auf eine Kombination von Faktoren wie den Krieg in der Ukraine, die Sanktionen gegen Russland und die starke Energienachfrage aus China zurückzuführen ist.
Die aktuelle Situation erinnert viele an die durch den Yom Kippur Krieg ausgelöste Öl-Krise vor 50 Jahren. In der gegenwärtigen Situation haben geopolitische Spannungen und Konflikte zu Unterbrechungen in der Energieversorgung geführt, was Instabilität und einen Anstieg der Energiepreise zur Folge hatte. „Es gibt aber wichtige Unterschiede zwischen den beiden Krisen. Die Weltwirtschaft ist heute nicht mehr so stark vom Öl abhängig wie in den frühen 1970er Jahren. Der technologische Fortschritt hat die Effizienz der Ölnutzung verbessert, und alternative Energiequellen haben sich weiter verbreitet“, erklärt Shanna Strauss-Frank, Network Development Managerin bei Freedom Finance Europe. Was die Möglichkeit einer erneuten Ölkrise angeht, so ist es schwierig, diese mit Sicherheit vorherzusagen, da die Energiemärkte von vielen Faktoren beeinflusst werden. Auch geopolitische Ereignisse, Wetterbedingungen und Veränderungen bei Angebot und Nachfrage spielen eine Rolle. „Nach der zentralen Prognose der IEA werden die Ölpreise im Winter durchschnittlich 100 US-Dollar pro Barrel betragen – der höchste Durchschnittspreis seit 2014. Und auch die Erdgaspreise werden voraussichtlich hoch bleiben“, so Strauss-Frank.
Energie bleibt weiterhin teuer
„Wir erwarten, dass die Energiepreise in Europa in den kommenden Monaten hoch bleiben werden. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass sie die Rekordhöhen von Anfang 2023 erreichen werden“, so Strauss-Frank. Einer der Schlüsselfaktoren sei der anhaltende Krieg in der Ukraine. Dieser hat die globalen Energiemärkte stark aus dem Gleichgewicht gebracht und die Kosten sowohl für Produzenten als auch Verbraucher erhöht. Zudem ist Russland als wichtiger Exporteur von Öl und Gas mit Sanktionen belegt, die das Angebot dieser Rohstoffe eingeschränkt haben – und die Lage im Nahen Osten sorgt aktuell für zusätzlichen Druck. Ein weiterer Faktor, der die Energiepreise stützt, ist die starke Nachfrage, insbesondere in Asien. „Die chinesische Wirtschaft erholt sich aktiv von der COVID-19-Pandemie, was die Energienachfrage anheizt“, so Strauss-Frank. Darüber hinaus erhöhe die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen wie Solar- und Windenergie die Nachfrage nach Erdgas als Reserveenergiequelle. Allerdings könnten einige Faktoren auch dagegenwirken. Eine Rezession in der Eurozone etwa, könnte die Nachfrage verringern und die Preise unter Druck setzen. Darüber hinaus wird erwartet, dass die US-Notenbank die Zinssätze weiter anheben wird, um die Inflation zu bekämpfen. Dies würde zu einem stärkeren US-Dollar und höheren Energieimportkosten für die europäischen Länder führen.
Erneuerbare Energie noch zukunftsfähig an der Börse?
Der Energiesektor war in letzter Zeit aufgrund von geopolitischen Spannungen und Problemen in der Versorgungskette unbeständig. „Wir sind jedoch der Meinung, dass wir uns noch in der Anfangsphase eines grossen Zyklus von Neuinvestitionen in erneuerbare Energien befinden. Die Nachfrage soll bis 2024 um rund elf Prozent steigen“, so die Expertin. Die Aktienkurse spiegeln die positiven Erwartungen allerdings aktuell noch nicht wider. Ein Grund dafür ist, dass Anleger im derzeitigen Wirtschaftsklima risikoscheuer geworden sind. Erneuerbare Energien werden oft als riskantere Investitionen angesehen als Unternehmen aus dem Bereich der fossilen Brennstoffe, da sie neuer sind und stärker von staatlichen Subventionen abhängen. Ein weiterer Grund ist, dass die Preise für einige wichtige Rohstoffe, wie zum Beispiel Polysilizium, das zur Herstellung von Solarzellen verwendet wird, in den letzten Monaten stark gestiegen sind und die Herstellung deren Produkte oftmals teurer wurde. Darüber hinaus hat der Krieg in der Ukraine zu einigen Unterbrechungen der Lieferkette geführt. So hatten einige Unternehmen beispielsweise Schwierigkeiten, Solarmodule aus China zu beziehen. All diese Faktoren haben dazu geführt, dass Erneuerbare-Energie-Aktien für Anleger weniger interessant waren als solche im Bereich der fossilen Brennstoffe. „Wann mit einem Aufschwung zu rechnen ist, lässt sich nur schwer mit Sicherheit vorhersagen, da dies von vielen Faktoren abhängt, darunter geopolitische Ereignisse, Wetterbedingungen aber auch etwaige Veränderungen bei Angebot und Nachfrage“, so Strauss-Frank weiter. Es könne trotz der jüngsten Instabilität dennoch sinnvoll sein, in Energieaktien zu investieren.
Aussichten für erneuerbare Energien gemischt
Laut Grand View Research prognostizieren Experten, dass der Markt für erneuerbare Energien bis 2030 mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate von 16,9 Prozent wachsen wird. Darüber hinaus unterstützen global Regierungen zunehmend die Entwicklung von grüner Energie. Unter anderem durch Massnahmen wie Subventionen, Steueranreize und Mandate für erneuerbare Energien. „Unternehmen wie NextEra Energy, das Solarzellen-Unternehmen Array Technologies oder Sunrun könnten von einem langfristigen Übergang zu sauberer Energie profitieren und für Anleger spannend werden“, erklärt Strauss-Frank. „Anleger sollten allerdings nicht vergessen, dass der Sektor relativ neu ist und einige Technologien kostenmässig noch nicht wettbewerbsfähig mit fossilen Brennstoffen sind. Zudem sind viele Unternehmen stark von staatlicher Unterstützung abhängig, die zurückgezogen werden könnte, sollten die Regierungen ihre Prioritäten ändern.“ Insgesamt seien die Aussichten für erneuerbare Energien gemischt. Anleger sollten ihre Anlageziele und ihre Risikotoleranz sorgfältig analysieren, bevor sie in diesen Sektor investieren. (Freedom Finance/mc/ps)