Bern – Die Sommerferien sind vorbei, die Kinder sind in die Klassenzimmer zurückgekehrt. Dabei veranlasste die Pandemie in den vergangenen Jahren einen regelrechten E-Learning-Boom. Mittlerweile sind digitale Lernplattformen und KI-Programme wie ChatGPT auch in vielen Schulen angekommen. Während für Eltern nun Hefte, Bücher und Bleistifte auf den Shoppinglisten stehen, sollten Anleger sich den Bildungs- und EdTech-Sektor auf die Watchlisten schreiben. Die Investmentgesellschaft Freedom Finance Europe analysiert zum Schulbeginn die Entwicklungschancen für Bildungsinvestitionen.
„Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bildung – keine Bildung“, sagte einst der ehemalige US-Präsident John F. Kennedy. Im März 2020, inmitten des ersten Lockdowns, konnten laut UNESCO-Angaben weltweit rund 1,5 Milliarden Kinder und Jugendliche nicht zur Schule gehen . Die Relevanz von digitalen Alternativen wie Homeschooling, Lernplattformen und -Apps stieg seitdem rasant an. Dennoch hinkt dem Bildungssektor der Ruf hinterher, keine gravierenden Renditen abzuwerfen. Immerhin handelt es sich hier grösstenteils um Impact Investments. Doch auch in der Schweiz zeigen Unternehmen wie evulpo oder edowo, dass Bildung und dessen Technologie nicht nur einen gesellschaftlichen, sondern auch einen wirtschaftlichen Nutzen haben können. Denn der Umsatz auf dem gesamten e-Learning-Markt belief sich im vergangenen Jahr auf 147 Milliarden US-Dollar – Tendenz steigend . Es lässt sich also ein gewisser Trend abzeichnen, doch welche Faktoren, Entwicklungen und Aktien werden nun in diesem Schuljahr tatsächlich eine Rolle in der Branche spielen?
Langfristige Investments und Digitalisierungsschub zeichnen Sektor aus
„Wissen ist entscheidend, wenn es um die persönliche Entwicklung, die Ausbildung von Arbeitskräften und den allgemeinen sozialen sowie wirtschaftlichen Fortschritt in allen Ländern geht. Natürlich kommt das in erster Linie der Gesellschaft zugute – andere Sektoren werfen eine höhere Rendite ab. Aber es gibt auch hier finanzielle Chancen und Anleger können so ihre Investments mit ihren Werten in Einklang bringen“, meint Shanna Strauss-Frank, Network Development Managerin bei Freedom Finance Europe. Laut ihr werden solche Impact Investitionen meist langfristig angelegt. Dabei umfasst der Sektor ein breites Spektrum: Angefangen bei Einrichtungen wie Laureate Education, über digitale Tools wie Zoom, bis hin zu Sprachlern-Apps wie Duolingo. Strauss-Frank beobachtet dabei, dass vor allem die Nachfrage nach Wissensaneignung bei Erwachsenen zuletzt stark angestiegen ist: „Durch den ständigen technologischen Fortschritt verändern sich berufliche Anforderungen. Demnach werden Weiterbildungen immer beliebter.“ Die Digitalisierung ist auch für eine steigende Nachfrage nach EdTech-Angeboten in Schwellenländern verantwortlich. Vor allem in Indien und mehreren südostasiatischen Ländern wird der Sektor durch eine junge Bevölkerung und wachsende Internetverbreitung angeheizt. Seitens der Regierung zeigen ausserdem die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien grosses Interesse: Sie kurbeln Initiativen sowie Investitionen in die digitale Bildung an.
EdTech erlebte Pandemie-Booster
„Der Educational Technology Sektor, kurz EdTech genannt, hat während den Corona-Lockdowns einen erheblichen Aufschwung und eine Welle innovativer Newcomer erlebt. Für das Jahr 2023 wird der Umsatz auf dem Online-Bildungsmarkt auf 166,6 Milliarden US-Dollar geschätzt“, meint Strauss-Frank. Beispielsweise Coursera – eine US-amerikanische Plattform für Online- und Weiterbildungskurse – verzeichnete ein Umsatzwachstum von 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut Strauss-Frank wird der anhaltende Arbeitskräftemangel die Nachfrage weiter hochhalten. Doch einige EdTech-Aktienkurse sind seit Abklingen der Pandemie teilweise stark gesunken. Dennoch konnten sich in dieser Zeit viele Anbieter einen Namen machen. Ähnlich bei Zoom: Ende 2020 befand sich die Aktie der Videokonferenz-Plattform auf ihrem Allzeithoch, dann stürzte sie um mehr als 90 Prozent ein. Die Erwartungen der Anleger zu Homeoffice- und Homeschooling-Zeiten waren schlichtweg zu hoch. „Zoom war während der Coronakrise ein elementares Tool für Schulen, Universitäten sowie Unternehmen und profitiert mittlerweile von einer enorm hohen Nutzeranzahl und damit auch vom Netzwerkeffekt. Jetzt, in 2023, kann die Plattform ihre Marktführerschaft nutzen und sich auf Innovation sowie Produktentwicklung konzentrieren. Das könnte in Zukunft wieder zu Rentabilität führen“, schätzt Strauss-Frank. Dennoch sei Vorsicht geboten, denn die Überbewertung hängt dem Aktienkurs immer noch nach.
Künstliche Intelligenz (KI) beeinflusst den Bildungssektor merklich
Auch die Sprachlern-App Duolingo dominiert den Markt. „Die Plattform fokussiert sich stark auf KI-gestützte und personalisierte Lektionen, was von Usern positiv aufgenommen wird“, meint Strauss-Frank und verweist auf eine erfolgreiche Expansionsstrategie sowie einen Abo-Zuwachs in jeder Region. Bis zum Ende des Jahres soll Nutzern zudem ein neues Update mit Einsatz von OpenAI beziehungsweise GPT-4 zur Verfügung stehen. „Der Einsatz von KI zum Erlernen von Sprachen oder Inhalten ist enorm spannend, denn künstliche Intelligenz kann Denkmuster sowie Stärken und Schwächen von Nutzern analysieren und dadurch einen individuell zugeschnittenen Lernansatz ermöglichen“, fügt Strauss-Frank noch hinzu. Auch kann die KI Schulaufgaben automatisch korrigieren, Benotungen durchführen und neue Lerninhalte erstellen. „Im Umkehrschluss bedeutet das eine Entlastung für Lehrpersonal, das sowieso Mangelware darstellt“, so die Network Development Managerin.
Jetzige Phase entscheidend
Ähnlich wie Zoom erging es auch Chegg, einer der führenden EdTech-Unternehmen: Während der Pandemie befand sich die Aktie im Hoch, doch das Aufkommen von ChatGPT brachte den Kurs im Frühjahr zum Einstürzen. „Künstliche Intelligenz wird definitiv die Zukunft dieser Branche prägen, wir gehen aber nicht davon aus, dass sie traditionelle Bildungsangebote und -plattformen überflüssig machen“, meint Strauss-Frank. Viel eher werde eine symbiotische Beziehung entstehen, in der der Einsatz von KI die Lerneffizienz steigern kann. Dasselbe gelte für den Fernunterricht: „Das Online-Lernen wird nicht mehr verschwinden, wir gehen auch hier von einer steigenden Nachfrage in naher Zukunft aus. Für die EdTech-Branche und Anleger könnte sich hier also eine Chance ergeben“, resümiert Strauss-Frank. (Freedom Finance/mc)