Hongkong – Bei Investoren ist wieder die Furcht vor einer Pleite des hochverschuldeten chinesischen Baukonzerns Evergrande aufgeflammt. Der zweitgrösste Immobilienentwickler Chinas, der unter einem Schuldenberg von mehr als 300 Milliarden Dollar ächzt, warnte vor einem drohenden Zahlungsausfall.
Evergrande rief ein Risiko-Kommittee zusammen, das den Konzern restrukturieren soll. Die Aktie brach am Montag um 20 Prozent auf ein Rekordtief von 1,82 Hongkong Dollar ein. «China Evergrande steht wieder ganz weit oben auf der Agenda der Börsianer», sagte Portfolio-Manager Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners. Anleger fürchten, dass eine Insolvenz einen Flächenbrand auslöst und den ganzen chinesischen Finanzmarkt destabilisieren könnte.
«Sehr schlechtes Signal»
Evergrande hatte bereits am Freitagabend eingeräumt, nicht genügend Mittel aufbringen zu können, um alle finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Das bedeute, dass Evergrande die Weisse Flagge hisse und um Hilfe bitte, sagte Analystin Conita Hung bei Tiger Faith Asset Management. «Das sendet ein sehr schlechtes Signal.» Investoren warteten nun gespannt darauf, ob dieses Mal der tatsächliche Totalausfall komme, sagte Analyst Karl Clowry vom Broker Addleshaw Goddard in London. Evergrande hatte in den vergangenen Wochen mehrfach Zahlungsfristen für Anleihezinsen gerissen, aber kurz vor Ablauf einer 30-tägigen Galgenfrist alles gezahlt.
Am Montag endete eine solche Fristverlängerung und es wurden 82,5 Millionen Dollar Anleihezinsen fällig. Investoren hätten jedoch insgesamt 260 Millionen Dollar zurückverlangt und China Evergrande könne nicht dafür garantieren, den vollen Betrag zu zahlen, räumte der Konzern ein. Die Regierung der Provinz Guangdong bestellte Evergrande-Verwaltungsratschef Hui Ka Yan ein und kündigte an, Regierungsbeamte zur Überprüfung des Risikomanagements in das Unternehmen zu schicken. Dieses solle künftige Risiken erkennen und aktuelle Probleme «beseitigen», erklärte Evergrande.
Chinas Notenbank – Ansteckungsrisiko kontrollierbar
Die Zentralbank Chinas sah sich zu einer Beruhigung der Anleger genötigt. Die Probleme bei Evergrande seien individuell und würden nicht die Branche beeinflussen. Das Ansteckungsrisiko sei kontrollierbar. Analysten gingen davon aus, dass die konzertierten Bemühungen der Behörden ein Signal seien, dass Evergrande bereits in einen Schulden-Restrukturierungsprozess eingetreten sei. Die Behörden versuchten dabei sicherzustellen, dass aktuelle Projekte von Evergrande zu Ende gebracht würden und dass weiterhin finanzielle Mittel für Baumassnahmen zur Verfügung stünden, erklärten die Experten von Morgan Stanley.
«Alles deutet darauf hin, dass sich die Börsianer auf eine Umstrukturierung der Schulden oder eine geordnete Abwicklung einstellen sollten», sagte Portfoliomanager Altmann. Die Regierung in Peking habe kein Interesse an einer ungeordneten Insolvenz. Marktanalyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets zeigte sich weniger zuversichtlich. «Auch wenn es der Regierung in Peking in den letzten beiden Jahrzehnten immer erstaunlich gut gelang, platzende Spekulationsblasen am Immobilienmarkt und deren Folgen ohne Ansteckungseffekte für die Weltwirtschaft zu verwalten, ist nicht gesagt, dass es auch dieses Mal gelingt.»
Ratingagenturen wie S&P und Fitch hatten ihre Bonitätsnoten für Evergrande in den vergangenen Wochen deutlich gesenkt, weil sie das Risiko eines Zahlungsausfalls von Anleihen als sehr hoch erachten. Ein Zusammenbruch von Evergrande wäre die zweitgrösste Pleite eines Schwellenland-Unternehmens. Grösser war der Ausfall des venezolanischen Ölkonzerns Petróleos de Venezuela im Jahr 2017. In China sind auch andere Immobilienkonzerne wie Kaisa Group oder China Aoyuan in Finanznöten und können teilweise Anleihezinsen nicht bedienen. (awp/mc/pg)