Schwyz – Verbrennt sich ein Kind an einer Herdplatte die Finger, so besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass es aus dieser schlechten Erfahrung lernt und es nicht wieder tut. Ersetzt man in dieser Aussage «Kind» durch «EZB» und «Herdplatte» durch «Zinserhöhung», so umreisst dies das Verhalten der EZB. Sie befindet sich seit längerem im Modus «gebranntes Kind».
Im Juli 2008, kurz vor dem Höhepunkt der Finanzkrise und bei einer Inflation von 4%, erhöhte die EZB die Leitzinsen noch einmal um 0.25 Prozent-punkte auf 4.25%. Zu diesem Zeitpunkt hatte die US-Notenbank (Fed) den Leitsatz bereits um über 3 Prozentpunkte gesenkt. Nur drei Monate später, kurz nach der Lehman-Pleite, riss die EZB das Steuer herum und begann die Zinsen zu senken (bis auf 1% im Mai 2009).
Ähnlich 2011: Die Eurokrise entfaltete gerade ihre volle Wirkung. Mit 3% war die Inflation erneut leicht erhöht. Zweimal hob die EZB in dieser Phase die Zinsen an (auf 1.5%). Ganz anders die Fed. Sie hatte bereits Ende 2008 das Zielband für die Fed Funds Rate auf 0% bis 0.25% reduziert. Ab Ende 2011 folgte die EZB mit Zinssenkungen, bis der Refinanzierungssatz gut vier Jahre später bei den noch heute geltenden 0% zu liegen kam.
Die EZB will sich noch einmal die Finger verbrennen
Hier soll nicht der Nullzinspolitik das Wort geredet werden. Sie hat ihren Beitrag zur Stabilisierung geleistet, belastet das System jedoch auch erheblich. Aber klar ist: Rückblickend waren die Zinsanhebungen mitten in Krisenphasen Schritte zur Unzeit. Dies erklärt die zögerliche Haltung der EZB in den letzten drei Jahren. Während die Fed in beide Richtungen entschlossen handelte, agiert die EZB aufgrund der schlechten Erfahrungen zurückhaltend. Sie will sich auf keinen Fall noch einmal die Finger verbrennen. Sie hat es dadurch verpasst, in den relativ krisenfreien guten Wachstumsjahren 2016 und 2017 Spielraum für den nächsten Abschwung zu schaffen. Im Gegenteil: Sie hat mehrfach ohne Not die expansive Geldpolitik zementiert. Zuletzt im vergangenen Juni, als EZB-Chef Mario Draghi versprach, die Zinsen bis nach dem Sommer 2019 auf dem aktuellen Niveau zu halten – eine Garantie für 1¼ Jahre.
Eskaliert der Handelskonflikt, droht erneut Ungemach in Form eines Konjunkturabschwungs. Zinserhöhungen wären dann kein Thema, Senkungen kaum möglich. Was kann die EZB in der nächsten Rezession also tun? Sie wird wohl ihrem Buch der unkonventionellen geldpolitischen Instrumente weitere Kapitel hinzuzufügen. Mit unklaren Erfolgsaussichten und Nebenwirkungen. Die EZB wollte nicht zu früh sein, jetzt ist sie zu spät. (SZKB/mc/ps)
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