Herr Knüfer, eines der bestimmenden Themen der letzten Wochen und Monate in der Finanzbranche war der Ausstieg Grossbritanniens aus der EU. Nun ist der Brexit beschlossen – welche Auswirkungen für den hiesigen Finanzsektor erwarten Sie?
Gero Knüfer: Ich rechne in naher Zukunft eher weniger mit direkten Auswirkungen auf die Finanzbranche. Das Unangenehme für die Wirtschaft an einer solchen Situation ist vor allem die damit verbundene Unsicherheit im Vorfeld der Entscheidung. Jetzt ist die Entscheidung gefällt. Die Firmen können wieder ihren Geschäften nachgehen, sich auf die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einstellen und entsprechend planen.
Die Gesamtnachfrage stagniert weiterhin bei einem Indexwert von unter 100. Das heisst, die Nachfrage nach Experten in der Finanzbranche fällt seit langem geringer aus als im ersten Quartal 2011. Ist das eine beunruhigende Entwicklung?
Nein, nicht unbedingt. Es ist noch gar nicht lange her, als wir 2014 ein wirklich gutes Jahr für die Finanzbranche hatten. Dieses Hoch war ein Ausreisser nach oben. Jetzt hat sich der Arbeitsmarkt wieder stabilisiert. Von einem nachhaltig sinkenden Trend würde ich aber nicht sprechen. In den letzten Tagen schien sich die Situation ein wenig zu entspannen. Ich vermute, dass wir wieder einen Anstieg an Nachfragen verzeichnen werden.
Welche Ursachen sehen Sie für die Stagnation im letzten Halbjahr?
Der Brexit kann durchaus eine Ursache sein. Einige Unternehmen haben möglicherweise mit strategischen Entscheidungen wie beispielsweise der Verlegung eines Headquarters in die Schweiz zugewartet, bis feststand, wie es in Europa weitergeht und wie die Börsen reagieren. Je näher die Entscheidung rückte, desto eher lohnte es sich, noch ein paar Wochen abzuwarten.
Abgesehen vom Brexit häufen sich derzeit politische Krisen und Terroranschläge. Erwarten Sie diesbezüglich Auswirkungen für den Finanzplatz Schweiz?
Natürlich sind viele dieser Ereignisse einer wachsenden Wirtschaft nicht zuträglich. Diese ist aber dadurch auch krisenresistenter geworden. Man hat gelernt, damit umzugehen, und kann sich besser auf unterschiedliche Szenarien einstellen. Insofern ist das ein gutes Zeichen für die Schweiz als Finanzstandort und als funktionierendes Wirtschaftssystem.
Inzwischen weisen die Kurven in allen Skillbereichen nach unten oder stagnieren auf geringem Niveau. Welche Spezialisierung sollen junge Banker beim Berufseintritt heute wählen?
Eine Spezialisierung, die heute perfekt zu sein scheint, kann morgen schon wieder weniger gefragt sein. Nichtsdestotrotz stellen wir derzeit fest, dass sich immer mehr Finanzinstitute in der Schweiz auf die Vermögensverwaltung spezialisieren. Eine damit verbundene Tätigkeit ist sicherlich keine schlechte Wahl.
Sehr interessant finde ich auch die Entwicklung, dass jetzt immer mehr Finanzinstitute das machen, was Strategieberatungen seit jeher tun. Sie stellen nicht nur klassische Betriebswirtschaftler oder Mathematiker ein, sondern auch Historiker, Mediziner oder Philosophen. Damit holen sie sich komplett andere Sicht- und Herangehensweisen ins Unternehmen und können so ihr Portfolio und ihre Vorgehensweise deutlich diversifizieren. Möglicherweise ist es deshalb ein guter Ratschlag an die Geisteswissenschaftler, eine Karriere in Finanzinstituten zu prüfen.
Wie sieht die Zukunft auf dem Schweizer Arbeitsmarkt für Finanzexperten aus? Wagen Sie eine Prognose, wie sich die Lage in den nächsten ein, zwei Quartalen entwickeln wird?
Aktuell verzeichnen wir einen Trend nach oben. Ich vermute, dass die nächsten beiden Quartale tendenziell positiv verlaufen werden. (Hays/mc)