Hebt die EZB die Leitzinsen an?
Thomas Higgins, globaler volkswirtschaftlicher Stratege bei Standish.
Zürich – Thomas Higgins, globaler volkswirtschaftlicher Stratege bei Standish, einer Gesellschaft von BNY Mellon Asset Management, greift die jüngsten Kommentare des Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet auf. Dessen Äusserungen hatten zuletzt Spekulationen ausgelöst, ob die EZB die Leitzinsen im April erstmals seit fast drei Jahren wieder anhebt, um so dem wachsenden Inflationsdruck entgegenzuwirken.
Die jüngsten Äusserungen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank Jean-Claude Trichet haben zuletzt Spekulationen Auftrieb gegeben, dass die EZB die Leitzinsen im April erstmals seit fast drei Jahren wieder anheben könnte, um so dem wachsenden Inflationsdruck entgegenzuwirken.
Zinsen bleiben historisch niedrig
Als Folge der höheren Öl- und Lebensmittelpreise steigen die Preise im Europaraum derzeit an. Den Erwartungen zufolge wird die Inflation im Euroraum im Februar 2011 bei 2,4% p.a. liegen, nachdem sie im Januar 2011 noch 2,3% p.a. betragen hatte. Dies geht aus einer vorläufigen Schätzung des Statistikamts der Europäischen Union Eurostat hervor. Lässt man die Lebensmittel- und Energiepreise jedoch aussen vor, so liegt die Teuerungsrate bei lediglich 1,1%. Aus diesem Grund hält Thomas Higgins die Erwartungen des Marktes von drei Zinserhöhungen in 2011, für übertrieben. Er erwartet, dass die Zinsen auf ihrem historisch niedrigen Niveau bleiben werden.
Die Kommentare von Trichet folgten auf die März-Sitzung des EZB-Rats, auf der beschlossen wurde, die Leitzinsen unverändert beizubehalten. „Grosse Wachsamkeit ist vonnöten, um zu gewährleisten, dass die Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht unter Kontrolle bleiben“, erläuterte Trichet. „Deshalb ist eine Zinserhöhung auf der nächsten Sitzung zwar durchaus möglich, aber keinesfalls beschlossene Sache.“
Nur ein politischer Schachzug im Vorfeld des EU-Gipfels?
Bei den Kommentaren von Trichet könnte es sich allerdings auch um eine Art politischen Schachzug im Vorfeld des EU-Gipfels handeln. Laut Higgins „könnte Trichet Druck auf die Europäische Kommission ausüben, im Zusammenhang mit dem 440 Mrd. Euro schweren Europäischen Stabilitätsfonds (EFSF) aktiv zu werden.“ Offenbar fühlt sich Trichet mit dem Aufkauf von Staatsobligationen aus jenen europäischen Staaten, die mit den grössten Problemen zu kämpfen haben, nicht mehr wohl. Denn dem EFSF mangelt es derzeit noch an rechtlichen Befugnissen.
EZB fürchtet weitere «abhängige Banken»
In ihrer Funktion als wichtiger Käufer von Staatsobligationen aus dem Euroraum macht sich die EZB wohl Sorgen, dass ihr Obligationen-Kaufprogramm allmählich mit ihrer eigenen Geldmarktpolitik kollidiert. Die EZB ist nämlich bestrebt, „die Inflation auf mittlere Sicht zwar unter, aber in der Nähe von 2% zu behalten“. Im Hinblick auf die Obligationenkäufe geht Thomas Higgins davon aus, dass die EZB befürchtet, einzelne Staaten von sich abhängig zu machen. „Abhängige Banken“ gibt es nämlich bereits in Griechenland und Irland. Um zu verhindern, dass die Obligationenkäufe die Geldmenge steigern und die Inflation schüren, will die EZB die Liquidität, die durch die Obligationenkäufe freigesetzt wird, neutralisieren, indem sie diese Mittel den Banken als siebentägige Depositeneinlagen zur Verfügung stellt.
Besorgnisse um Europäischen Stabilitätspakt (ESM)
Higgins vertritt die Auffassung, dass die EZB dem EFSF (oder Nachfolger) am liebsten mehr Verantwortung übertragen würde. Dazu zählt auch eine Obergrenze für die Renditen, um so die Kreditkosten für Staaten zu senken. Der ESM wird dem EFSF sowie dem 60 Mrd. Euro schweren Abkommen zur finanziellen Stabilität in Europa (EFSM) nachfolgen. (Nach dem 30. Juni 2013 wird der EFSF schnellstmöglich liquidiert werden.) Eine mögliche Gestaltung des ESM, die in einem Diskussionspapier bereits kommuniziert wurde, sieht vor, dass der ESM so genannte „Obligationen-Swaps“ durchführen kann. Diese hätten zur Folge, dass Staatsobligationen am Offenmarkt erworben und anschliessend an eine Regierung zurückgegeben würden. Im Gegenzug würde der ESM dann neue Obligationen erhalten. Dadurch könnte ein Land selbst bei einer Panik am Markt günstig Finanzmittel aufnehmen. (bny/at/ah)