St.Gallen – Es ist in der Presse viel darüber spekuliert worden, nun tritt der frühere Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz als VR-Präsident der Versicherungsgruppe Helvetia zurück. Gegen Vincenz hatte die eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) aufgrund möglicher Interessenskonflikte und Regelverstösse während seiner Zeit bei der Raiffeisen-Gruppe ein Verfahren eingeleitet. Dieses bewegt ihn nun zum Rücktritt bei Helvetia. An der Börse kommt das gut an.
Pierin Vincenz nimmt bei der Helvetia per sofort seinen Hut. Die Amtsgeschäfte übernehme Vizepräsidentin Doris Russi Schurter ad interim, bis an der ordentlichen Generalversammlung vom 20. April 2018 über die definitive Nachfolge bestimmt werde, schreibt Helvetia in einer Mitteilung vom Montag.
Helvetia bedauert den Rücktritt. Vincenz gehörte seit dem Jahr 2000 dem Verwaltungsrat der Helvetia an und amtete seit Oktober 2015 als Präsident. «In den letzten 17 Jahren hat Pierin Vincenz Helvetia entscheidend mitgeprägt: Er hat wichtige Veränderungen angestossen und Helvetia auf die Zukunft vorbereitet», so Doris Russi Schurter.
Laufendes Finma-Verfahren
Offenbar ist nun der Druck, den das sogenannte Enforcement-Verfahren der Finma erzeugt, zu gross geworden. «In den letzten Tagen ist klar geworden, dass sich das Finma-Verfahren nicht beschleunigen lässt und damit bis zur kommenden Generalversammlung von Helvetia im April 2018 nicht abgeschlossen sein wird», wird Vincenz in der Mitteilung zitiert.
Die anhaltende Unsicherheit und die medialen Begleiterscheinungen, die dieses Verfahren mit sich bringe, hätten ihn dazu bewogen, im Interesse des Unternehmens per sofort zurückzutreten, so Vincenz weiter. Nun könne Helvetia unbelastet seine Nachfolge planen. Helvetia selber sei von der Finma-Untersuchung nicht betroffen, und die Untersuchung stehe in keinem Zusammenhang mit Pierin Vincenz› Tätigkeit bei Helvetia, unterstreicht das Unternehmen.
Fragen um Investnet
Im vergangenen Oktober wurde bekannt, dass die Finma ein Verfahren zu Corporate-Governance-Themen bei Raffeisen eingeleitet hatte. Im Verfahren geht es um die Mehrheitsbeteiligung an Investnet. Investnet berät kleine und mittlere Unternehmen und versorgt sie mit Investitionskapital. Vincenz hält privat einen Anteil von 15% an der Raiffeisen-Tochter.
Laut früheren Aussagen des jetzigen Raiffeisen-Chefs Patrik Gisel stehen nach einem eigenen Governance-Check die Entscheidungsprozesse, die zu der Beteiligung geführt haben, im Fokus. Es gehe darum, wie die Verträge gestaltet und aufgegleist wurden, sagte Gisel in einem Interview. Die heute verantwortlichen Personen von Raiffeisen Schweiz stünden nicht im Fokus dieser Untersuchung.
Vor drei Tagen wurde zudem bekannt, dass auch die Kreditkartengesellschaft Aduno die Geschäfte von Vincenz unter die Lupe nimmt. Der Verwaltungsrat von Aduno beauftragte eine auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierte Zürcher Anwaltskanzlei mit einer Untersuchung gewisser Akquisitionen. Bis Juni 2017 sass Vincenz in deren Aufsichtsgremium und war dort lange Jahre VR-Präsident. Raiffeisen ist mit 25,5% der Anteile grösste Aduno-Aktionärin.
Vincenz: VR hat mir immer den Rücken gestärkt
Pierin Vincenz hielt gegenüber der «Finanz und Wirtschaft» fest, dass ihn niemand aus dem Helvetia-Verwaltungsrat zur Niederlegung des Präsidiums gedrängt habe. «Meine Kollegen im Gremium haben mir immer den Rücken gestärkt», sagt er gegenüber dem Blatt (Onlineausgabe vom 18. Dezember). Er habe keine Indizien dafür, dass ihm die Finma die Gewähr für die einwandfreie Geschäftsführung eines Finanzunternehmens entziehen könnte, so Vincenz weiter zu «Finanz und Wirtschaft». «Mein Kontakt mit der Finanzmarktaufsicht ist bislang auf Fragen des formellen Verfahrens beschränkt. Zu inhaltlichen Punkten sind keine Besprechungen geführt worden.»
Auf die Frage, was er rückblickend als Chef von Raiffeisen anders gemacht hätte, antwortet er folgendes: «Aus heutiger Betrachtung würde ich den Regeln der Corporate Governance ein grösseres Augenmerk schenken. Es ist mir bewusst geworden, dass in dieser Hinsicht Verbesserungspotenzial bestand.»
Aktie legt zu
An der Börse werden die News zum Abgang von Pierin Vincenz mit Kursgewinnen quittiert. Bis um 17.00 Uhr legen die Helvetia-Titel um 1,6% auf 552.50 CHF zu.
Mit dem Rücktritt von Vincenz falle bei Helvetia ein Unsicherheitsfaktor weg, der die Kursentwicklung zuletzt belastet habe, hiess es im Handel. Der frühere Raiffeisen-Chef habe auch unter Helvetia-Investoren als polarisierende Persönlichkeit gegolten, ergänzte ein Analyst. Was den möglichen Nachfolger betrifft, wird der Verwaltungsrat und frühere Swiss-Life-Schweiz-Chef Ivo Furrer als gute interne Lösung gesehen. Als externer Nachfolger wäre aus Investorensicht vorteilhaft, wenn der frühere Helvetia-CEO Stefan Loacker zurückkehren würde, hiess es. (awp/mc/ps)