Historische Parlamentssitzung in Athen

Historische Parlamentssitzung in Athen

Die dunklen Wolken über Athens Himmel haben sich noch nicht verzogen.

Athen – Die mit Hochspannung erwartete Sitzung des griechischen Parlaments zur Verabschiedung eines drastischen Sparprogramms hat am Mittwoch in Athen begonnen. Der Ausgang der Abstimmung ist ungewiss. Die regierenden Sozialisten haben nur eine dünne Mehrheit von 155 der 300 Sitze im Parlament. Zwei Abgeordnete der Sozialisten haben bereits angekündigt, dem Sparprogramm nicht zuzustimmen.

Die Parlamentssitzung soll am Vormittag beginnen. Die Abstimmung über das Sparprogramm wird für den frühen Nachmittag erwartet. Der genaue Zeitpunkt stand nicht fest. Sie wird begleitet von massiven Streiks und Protesten. Billigt das Parlament das Sparprogramm, können weitere internationale Milliardenhilfen fliessen. Andernfalls wäre das Land bis Mitte Juli zahlungsunfähig. Die EU-Kommission hatte eindringlich vor einer drohenden Katastrophe gewarnt. «Der einzige Weg zum Abwenden einer sofortigen Pleite ist für das Parlament die Annahme des geänderten Wirtschaftsprogramms», erklärte Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel.

«Es gibt keinen Plan B»
Es gehe um die Zukunft des Landes und die Finanzstabilität Europas, sagte er. «Lassen Sie mich es deutlich sagen: Es gibt keinen Plan B, um die (Staats-)Pleite abzuwenden.» Der EU-Ratsvorsitzende Herman Van Rompuy sagte vor dem Europaparlament, es gehe «sogar um die Stabilität der gesamten Weltwirtschaft». Die sozialistische Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Georgios Papandreou will bis 2015 gut 78 Milliarden Euro einsparen. Die Massnahme ist Voraussetzung für ein neues Hilfspaket im Umfang von bis zu 120 Milliarden Euro, das am kommenden Wochenende von den EU-Finanzministern beschlossen werden soll.

Spannungen und Streiks in Athen
Vor der entscheidenden Abstimmung im griechischen Parlament über das Sparprogramm zur Abwendung einer Staatspleite herrschten in Athen schwere Spannungen. Die Polizei riegelte am Mittwoch die Zufahrtsstrassen zum Parlament ab. Dabei kam es zu Zusammenstössen mit Demonstranten. In der Nacht hatte es vor dem Parlamentsgebäude Strassenschlachten zwischen Autonomen und den Sicherheitskräften gegeben. Nach Angaben der Polizei wurden 42 Gewalttäter festgenommen. Bei den Auseinandersetzungen am Dienstag waren insgesamt mehr als 300 Menschen – überwiegend leicht – verletzt worden, darunter 38 Polizisten. Die griechischen Gewerkschaften setzten am Mittwoch die am Vortag begonnenen, landesweiten Streiks fort. In Athen fuhren keine Züge und Busse. Auch zahlreiche Fähren waren von der Arbeitsniederlegung betroffen. Ministerien und staatliche Unternehmen sowie viele Banken wurden ebenfalls bestreikt.

Parlamentarier debattieren vor halbleeren Rängen
Ganz Europa schaut gebannt auf das griechische Parlament, aber die Abgeordneten debattieren vor halbleeren Rängen. Auch die Regierungsbank war bei der Diskussion am Mittwoch über das Sparprogramm kaum besetzt. Im griechischen Parlament ist es üblich, dass auch bei wichtigen Debatten nur relativ wenige Abgeordnete ihre Sitze im Plenarsaal einnehmen. Viele Parlamentarier halten sich stattdessen in der Cafeteria, in den Wandelhallen oder in Arbeitsräumen der Ausschüsse auf. Die Ränge im Plenarsaal füllen sich traditionell nur dann, wenn der Regierungschef spricht oder der Parlamentspräsident zur Abstimmung sucht. So war es auch in der vorigen Woche, als Ministerpräsident Giorgos Papandreou die Vertrauensfrage gestellt hatte.

Lagarde mahnt griechische Opposition zum Schulterschluss
Kurz vor der Abstimmung über ein drastisches Sparprogramm in Griechenland hat die designierte Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, die griechische Opposition zum Schulterschluss mit der Regierung gemahnt. «Die Opposition sollte im Sinne der nationalen Einheit die Regierung unterstützen. Es geht um das Schicksal des Landes», sagte Lagarde den französischen Sendern LCI und TF1 am Mittwoch. Griechenland müsse seiner Verantwortung gerecht werden, fügte sie hinzu. Die Situation Griechenlands sei nicht mit der Lage in anderen Krisenländern wie Portugal oder Irland vergleichbar. «Man muss sich sehr genau jedes Land einzeln anschauen», betonte die französische Wirtschafts- und Finanzministerin.

Finanzminister: Sparprogramm ist patriotische Pflicht
Der griechische Finanzminister Evangelos Venizelos hat die Verabschiedung des Sparprogramms zur Abwendung einer Staatspleite als eine «patriotische Pflicht» bezeichnet. Vor der entscheidenden Abstimmung über das Vorhaben im Parlament appellierte der sozialistische Minister am Mittwoch an die Abgeordneten, das Sparpaket zu billigen. «Wir müssen Zeit gewinnen, damit unser Land nicht Schritt für Schritt in ein Protektorat verwandelt wird», sagte Venizelos. Die EU-Partner hätten eingesehen, dass Griechenland einen «Marshall-Plan» brauche. «Es geht jetzt darum, das Bankensystem zu sichern, und nicht darum, den Banken zu Gewinnen zu verhelfen.» Die Demonstranten, die vor dem Parlament gegen das Sparprogramm protestierten, rief Venizelos dazu auf, mit der Regierung in einen Dialog zu treten.

Papandreou: Sparprogramm Chance für Neubeginn
Das Sparprogramm der Athener Regierung ist nach Ansicht von Ministerpräsident Giorgos Papandreou für Griechenland die Chance zu einem Neubeginn. Vor der entscheidenden Abstimmung über das Vorhaben im Parlament sagte der sozialistische Regierungschef am Mittwoch: «Europa hat uns das Vertrauen ausgesprochen, aber nicht für das Griechenland von gestern, sondern für das neue Griechenland.» Zuerst aber müssten die Griechen an sich selbst glauben. «Dies ist die Chance, das Land zu ändern», betonte Papandreou. «Wir haben die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: zwischen einem schwierigen Weg des Wandels und der Katastrophe.» Die Regierung habe sich für den Wandel entschieden. (awp/mc/upd/ss)

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