Inflation war gestern, Delta ist heute, Tapering kommt morgen
St. Gallen – Anfang Februar betrat das Inflationsgespenst die Bühne. Das grosse Covid-Hilfsprogramm der Regierung Biden liess namhafte Ökonomen wie Larry Summers in den USA vor einer Überhitzung der Wirtschaft und einem drohenden Inflationsschub warnen. Während die Fed zu beruhigen versuchte, flohen die Anleger aus den Obligationen. Die Rendite der 10-jährigen US-Treasury Note schnellte innert weniger Wochen von 0.90% auf 1.80% hoch. Die Pessimisten unter den Prognostikern sahen schon eine Welle von Konkursen voraus, weil die Unternehmen aufgrund der weiter steigenden Zinsen sich nicht mehr billig finanzieren können. Wie üblich schwappte die Zinsbewegung aus den USA nach Europa und in die Schweiz über. Die 10-jährigen Zinsen der Eidgenossenschaft stiegen von -0.60% auf -0.10%, obwohl in der Schweiz weder ein massives Hilfsprogramm noch eine Warnung vor einer steigenden Inflation im Raum stand.
Mittlerweile ist die Inflationsrate in den USA auf 5.4% und damit auf den höchsten Stand seit langem gestiegen. Interessieren tut dies scheinbar aber nur die Statistiker. Die Rendite der Treasury Note ist wieder auf 1.20% gesunken. Die Prognostiker gehen davon aus, dass eine Rendite unter 1.00% nur eine Frage der Zeit ist. Die Ausweitung der Delta-Variante des Coronavirus wird die wirtschaftliche Erholung kippen. Zinserhöhungen der Fed wird es unter diesen Bedingungen keine mehr geben. Dass die Fed selber davon ausgeht, dass sie 2023 mit Zinserhöhungen beginnen wird, spielt dabei keine Rolle. Und Sie ahnen es: Der Rückgang der Renditen in den USA lässt auch die Zinsen in Europa sinken. Die 10-jährige Rendite liegt in der Schweiz wieder bei -0.35%.
Wette auf höhere Zinsen
Der Zinsanstieg im Frühjahr war in seiner Schnelligkeit und auch in seinem Ausmass übertrieben. Dass die Fed auf steigende Inflationsraten mit einer raschen Anpassung ihrer Geldpolitik reagieren wird, war unwahrscheinlich. Dennoch haben sich offensichtlich viele Akteure am Kapitalmarkt auf noch höhere Zinsen hin positioniert. Diese Wette ist nicht aufgegangen. Dass der erneute Anstieg der Corona-Ansteckungen die wirtschaftliche Erholung stoppen wird, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Dafür ist die Impfkampagne in den Industrieländern zu weit fortgeschritten. Ob die Fed 2023 die Zinsen erhöhen wird oder nicht, hängt auch nicht vom BIP-Wachstum 2021 ab. Entsprechend übertrieben ist die jüngste Bewegung der Zinsen nach unten.
Langsamer Zinsanstieg erwartet
Die konjunkturelle Erholung wird weitergegen, sowohl in den USA als auch im Rest der Welt. Die Inflationsraten werden im nächsten Jahr wieder tiefer sein als aktuell, aber nicht unter den Zielwert der Fed von 2% sinken. Die amerikanische Zentralbank wird deshalb im nächsten Jahr ihr Programm zum Kauf von Anleihen zuerst reduzieren und dann beenden. Die Diskussion an den Finanzmärkten darüber, wann dieses sogenannte «Tapering» beginnen wird, wird aber schon nach dem Sommer starten. Dann wird die Rendite der Treasury Note wieder steigen. Der Zinsanstieg wird über die nächsten zwei Jahre in verschiedenen Stufen weitergehen, jeweils gefolgt von Konsolidierungsphasen, und die Zinskurve steiler werden lassen. Je nach Hartnäckigkeit der Inflationsrate liegt eine 10-Jahres-Rendite zwischen 2.50% und 3.50% drin, bevor die Fed mit Zinserhöhungen beginnt. Dass die Rendite der 10-jährigen Anleihe in der Schweiz unabhängig von der Zinspolitik der SNB dann auch wieder im positiven Bereich sein wird, ist keine allzu gewagte Aussage. (SGKB/mc/pg)