«Im Moment gibt es einige Schlaglöcher«: Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. (pd europa forum luzern)
Luzern – Nach den Gipfeln der Euro-Gruppe und der G20-Runde bot das 21. internationale Europa Forum Luzern die letzten zwei Tage den rund 1’300 Besucherinnen und Besuchern Hintergrundinformationen und Expertenwissen aus erster Hand. Ein verhalten positives Bild der Finanz- und Wirtschaftsaussichten zeichnete Jürgen Stark, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank.
Stark meinte zwar, dass die Schuldenkrise uns noch einige Jahre begleiten werde. Aber es gebe absolut keinen Anlass für Spekulationen: „Die Stabilität des Euro und schon gar nicht die Existenz des Euro und der Wirtschafts- und Währungsunion sind gefährdet. Die Politiker der EU haben aber noch einen sehr langen Weg vor sich, um in der EU Prosperität, Beschäftigung und nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten“. Und er stellte klar: „Es gibt keine europäische Währungsunion unter Aufrechterhaltung einer hundertprozentigen nationalen Souveränität“. Um in Zukunft ähnliche Krisen zu vermeiden, forderte er die Einhaltung der Defizitgrenze von drei Prozent. Die Budgetverfehlungen müssten der Vergangenheit angehören, alle Staaten müssten Schuldenbremsen in ihren Verfassungen einbauen, automatische Sanktionen der EU bei Verfehlungen seien notwendig, ein europäisches Budgetbüro müsse die Haushaltsplanung und Umsetzung überwachen und Länder, für die eine Unterstützung unumgänglich sei, müssten im Extremfall unter Zwangsverwaltung gestellt werden.
Jordan unterstreicht Unabhängigkeit der SNB
Thomas J. Jordan, Vizedirektor der Schweizerischen Nationalbank (SNB) bekräftigte, dass Staatsfinanzen, die aus dem Ruder laufen, nicht nur die Regierungen, sondern auch die Zentralbanken beschäftigen. Er nannte eine Reihe von negativen Effekten unsolider Staatsfinanzen: „Wenn die Verschuldung ein gewisses Mass (über 90% des Bruttoinlandprodukts BIP) überschritten hat, wird das Wirtschaftswachstum kleiner. Wenn der Verschuldungsgrad zu hoch ist, haben die Staaten keinen Spielraum mehr, um fiskalpolitisch handlungsfähig zu sein. Und ebenfalls problematisch sei, wenn zunehmender politischer Druck auf Nationalbanken erfolge, damit sie zur Finanzierung der Staaten beitragen“. Er erachte es als unabdingbar, dass die Nationalbank formell unabhängig ist, aber dazu brauche es auch eine vernünftige Fiskalpolitik. Obwohl in der Schweiz die Situation vorteilhaft ist, sei die Geldpolitik aufgrund der Verschuldungssituation im Ausland gefährdet. Deshalb habe die Schweizerische Nationalbank auch gehandelt.
Irland am Aufrappeln
In Irland wurden der Immobilien- und Konsum-Boom massiv mit Krediten angekurbelt, berichtete der Irland-Korrespondent Martin Alioth. Alles eilte, alles machte Gewinn. Eine Ferienwohnung in der Algarve, ein grösseres Auto als die Nachbarn und Delikatessen wie Parma-Schinken erhältlich in der Provinz, waren Anzeichen des Booms. Man dachte, es würde immer so weiter gehen – und dann stürzte der keltische Tiger ab. Da sich der Staatshaushalt alleine auf Immobilien-Transaktionsgebühren stützte, geriet die Finanzwelt mit dem Platzen der Immobilien-Blase vollends aus dem Lot. Seitdem haben die irländischen Steuerzahler insgesamt rund 63 Mia. Euro an die Banken bezahlt. Die Bank-Aktionäre haben auf 60 Mia. Euro verzichtet und die Nachbarn und Gläubiger 50 Mia. Euro bezahlt. Ein Lichtblick sei die gute Exportquote Irlands und auch der Staatssektor sei nicht aufgebläht. Der kollektive Schock sitze aber tief. Viele junge Familien hätten sich massiv verschuldet, nicht wenige hätten sich zur Auswanderung entschlossen. An manchen Orten gleiche Irland einer Geisterstadt mit leeren Wohnkomplexen und riesigen unbenutzten Einkaufszentren. Etwas optimistisch stimmt Alioth das gewonnene Selbstvertrauen der Iren. Dies zeige sich im dem derzeit entspannten Umgang mit dem englischen Königshaus und der aufkommenden Kritik an der katholischen Kirche.
Griechenland im freien Fall
Ein weniger optimistisches Bild zeichnete der langjährige Griechenland-Korrespondent Werner Van Gent vom Zustand Griechenlands. Seit 1974 werde der Staat mehr und mehr aufgebläht. Stellen werden nicht nach Fähigkeiten sondern nach dem Verwandtschaftsgrad vergeben. Düster sehe es auch in der Steuerabteilung eines typischen Bezirks aus. Von 50 Angestellten erachte der Steuerleiter 20 als völlig nutzlos. Zwei Mitarbeiter sehe er alle 14 Tage einmal, den Rest der Zeit seien sie für die Gewerkschaft unterwegs. Mit lediglich zwei Steuereintreibern könne er in einem wohlhabenden Bezirk nicht viele Steuern generieren. Seine Bitte um mehr Steuerkontrolleure werde aber seit Jahren konsequent ignoriert. Über die Kürzungen und die Forderungen der EU seien die Leute auf der Strasse verbittert. Dennoch finde die Diskussion über die Ursachen noch kaum statt.
Wo steht die Schweiz?
William White vom Economic and Development Review Committee der OECD bekräftigte, dass es Wege aus der Schuldenkrise gebe, aber es sei nicht einfach, diese zu verfolgen. Politiker und die Finanzwirtschaft müssten von der Notwendigkeit eines Wechsels überzeugt sein und sich dazu auch verpflichten. Patrick Raaflaub, Direktor der FINMA, rief angesichts der Umwälzungen und des zerstörten Vertrauens zu neuer Bescheidenheit auf. Es brauche wieder Vertrauen, Transparenz und Ehrlichkeit. Zum Abschluss der Tagung diskutierten die Unternehmer Urs Berger, Präsident des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), Walter Grüebler, Verwaltungsratspräsident der Sika Gruppe, mit Martin Hess, Chefökonom der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) und den Professoren Maurice Pedergnagna von der Hochschule Luzern (HSLU) und Christoph A. Schaltegger von der Universität Luzern mit Fritz Zurbrügg von der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) über die Aussichten der Schweiz nach der Krise. Trotz der sich abzeichnenden Schwierigkeiten der Exportindustrie zeigten sie sich verhalten optimistisch. Sie wünschten sich längerfristig einen stabilen Euro-Kurs, der idealerweise bei 1.30 Franken liege. Mit dem Hinweis auf das 22. internationale Europa Forum Luzern vom 23./24. April 2012 in Luzern zum Thema „Streitpunkt Zuwanderung“ schloss die hochkarätig besetzte Tagung in Luzern.
Widmer-Schlumpf: Erneute Finanzkrise nicht ausgeschlossen
Am Vortag hatte Bundesrätin Widmer-Schlumpf in ihrer Rede von derzeit drei Herausforderungen gesprochen: Erstens die starke Aufwertung des Schweizer Frankens, deren Auswirkungen für die Exportindustrie nun langsam sichtbar werde. Zweitens sehe sie das Risiko einer erneuten Finanzkrise infolge der fragilen Lage des europäischen Bankenwesens. Die Schweiz mit ihrem international stark verflochtenen Finanzsystem wäre sicher auch davon betroffen. Und drittens gerate die Schweiz bei internationalen Steuerfragen immer mehr unter Druck: „Bei guten Lösungen können sowohl die gerechte Besteuerung wie auch der Schutz der Privatsphäre unter einen Hut gebracht werden. Es müsse Lösungen gefunden werden, die die Wettbewerbsfähigkeit wahren und stärken sowie internationale Akzeptanz erringen.“ Und sie meinte abschliessend zur Situation mit der EU: „Im Moment gibt es einige Schlaglöcher, die wir flicken müssen, aber es ist alles machbar“.
Versäumnisse und Unterkapitalisierung
Der deutsche Ökonomieprofessor Bert Rürup analysierte am Montag in seiner Rede die globale Wirtschaftslage und meinte: „Was die Papier von Lehmann-Brothers vor zwei Jahren waren, das sind heute die Staatspapiere verschiedener EU-Länder.“ Die Hauptschuld sieht er bei den Versäumnissen der Politiker: Die Banken seien unterkapitalisiert und die Staaten im Zuge der letzten Finanzkrise von 2008 viel zu hoch verschuldet. Und er meinte weiter: „Dieses Herauskaufen aus der Krise ist nun nicht mehr möglich.“ Rürup zeigte sich zuversichtlich, dass die Krise überwunden werde, sie zu bewältigen sie eine andere Geschichte. (Europa Forum/mc/ps)