IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn tritt zurück

IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn tritt zurück

Dominique Strauss-Kahn legt Amt mit sofortiger Wirkung nieder.

Washington -IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hat die Konsequenzen aus der New Yorker Sex-Affäre gezogen und ist zurückgetreten. Der 62-Jährige begründete seinen Schritt nach dreieinhalb Jahren an der Spitze der mächtigen Finanzorganisation damit, dass er den Währungsfonds schützen wolle.

Zugleich wolle er seine Kraft dafür verwenden, seine Unschuld zu beweisen. Bei der Suche nach einem Nachfolger droht ein Machtkampf zwischen Europa und den aufstrebenden Schwellenländern wie China und Brasilien.

Strauss-Kahn sitzt seit Montag in Untersuchungshaft auf der Gefängnisinsel Rikers Island im New Yorker East River. Er soll am Samstag in einem New Yorker Hotel versucht haben, ein Zimmermädchen zum Sex zu zwingen. In der vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verbreiteten persönlichen Erklärung Strauss-Kahns heisst es, er sei «unendlich traurig», das Amt aufgeben zu müssen. «Ich möchte diese Institution schützen, der ich mit Ehre und Hingabe gedient habe, und vor allem – vor allem – möchte ich all meine Kraft, all meine Zeit und alle meine Energie darauf verwenden, meine Unschuld zu beweisen», schrieb Strauss-Kahn. «Ich denke in diesem Moment zuerst an meine Frau, die ich mehr als alles andere liebe, an meine Kinder, meine Familie, meine Freunde.» Strauss-Kahn stand seit Ende 2007 an der IWF-Spitze.

Vize John Lipsky führt Amtsgeschäfte vorerst weiter

Der 62-Jährige war zuletzt immer mehr unter Druck geraten, Konsequenzen aus der Sex-Affäre zu ziehen. Die USA als wichtigstes IWF-Geberland hatten offen eine Übergangsregelung an der Spitze der Institution gefordert. Strauss-Kahn sei «offensichtlich nicht in der Lage» den Währungsfonds zu lenken, sagte US-Finanzminister Timothy Geithner. Nach dem Rücktritt Strauss-Kahns führt zunächst sein Vize John Lipsky die Geschäfte des Währungsfonds, bis ein neuer Direktor ernannt ist.

Berlin sieht Arbeitsfähigkeit des IWF gesichert
Die Bundesregierung sieht die umfassende Arbeitsfähigkeit des Währungsfonds gesichert. «Mit diesem Schritt kann der IWF schnell wieder zur vollen Handlungsfähigkeit zurückkehren», erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert am Donnerstag in Berlin. Strauss-Kahn habe in einer schwierigen weltwirtschaftlichen Phase wertvolle Arbeit für den IWF geleistet. Der Fonds werde bei der Bewältigung der Folgen der Finanzkrise auch weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Zur Nachfolge an der IWF-Spitze äusserte sich Seibert nicht. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich angesichts der Rettungshilfen für kriselnde Euro-Länder dafür ausgesprochen, dass erneut ein Europäer den Vorsitz beim IWF übernehmen sollte. Falls die Europäer zum Zuge kommen, gilt die französische Finanzministerin Christine Lagarde als aussichtsreichste Kandidatin. Die Bundesregierung liess bislang offen, ob sie einen deutschen Kandidaten ins Rennen schicken will.

Traditionelle Machtteilung
Seit Jahrzehnten gilt eine Machtteilung zwischen Europäern und US-Amerikanern: Der Chef des IWF kommt aus Europa, und die Weltbank-Spitze wird von einem Amerikaner besetzt. Allerdings pochen aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Indien und Brasilien darauf, dass erstmals ein Vertreter eines Schwellenlandes die Führung des IWF übernimmt. Seit der IWF-Reform im vergangenen Herbst haben Schwellenländer aufgrund ihres gestiegenes Gewichts in der Weltwirtschaft mehr Einfluss beim IWF. Der IWF ist in der weltweiten Finanzkrise zu einem der wichtigsten Krisenhelfer aufgestiegen. Gerade in der Bewältigung der Euro-Schuldenkrise spielt der Währungsfonds eine wichtige Rolle. Zusammen mit den Europäern schnürte der IWF Milliarden-Rettungspakete für die Schuldensünder Griechenland, Irland und Portugal.

Anwälte wollen DSK umgehend von Rikers Island holen

Unterdessen wollen Strauss-Kahns Anwälte am Donnerstag erneut versuchen, ihren Klienten per Kaution aus der Haft zu bekommen. Bis zu einem Prozess müsste der Franzose dann aber auf jeden Fall in New York bleiben. «Wir haben Bedingungen zugesagt, die alle Bedenken zerstreuen können, dass Herr Strauss-Kahn die Stadt verlässt», erklärten die Anwälte. «Und wir hoffen, ihn umgehend von Rikers Island zu holen.» Die Anwälte sagten nicht, wie sie die Sorgen der Richter zerstreuen wollten. Am Montag hatte Richterin Melissa Jackson abgelehnt, Strauss-Kahn gegen eine Kaution von einer Million Dollar vorerst auf freien Fuss zu setzen. Strauss-Kahn hatte versichern lassen, er würde bei seiner in den USA lebenden Tochter bleiben und notfalls eine elektronische Fussfessel tragen. Das Gericht hatte eine Freilassung aber abgelehnt. Bei dem vermögenden und international vernetzten Strauss-Kahn bestehe Fluchtgefahr.

China will bei Wahl von IWF-Chef mitreden
Nach dem Rücktritt von IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn hat China den Anspruch der Schwellenländer auf Mitsprache bei der Wahl eines Nachfolgers angemeldet. Es sollten die Grundsätze der «Gerechtigkeit, Transparenz und Leistung» gelten, sagte die Sprecherin des Aussenministeriums, Jiang Yu, am Donnerstag auf einer regulären Pressekonferenz in Peking. «Grundsätzlich glauben wir, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer in den Spitzenpositionen vertreten sein sollten.»

Mehr Mitsprache für zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt
Durch die Reformen im Währungsfonds hat China als zweitgrösste Volkswirtschaft der Erde ohnehin eine grössere Mitsprache bekommen. In chinesischen Zeitungen mehren sich auch Stimmen, dass es ein Ende haben müsse, dass die Europäer immer den IWF-Chef stellten. In Spekulationen wurden schon der frühere Vizegouverneur der chinesischen Zentralbank und heutige Berater von Strauss-Kahn, Zhu Min, oder der amtierende Zentralbankchef Chinas, Zhou Xiaochuan, als potenzielle Kandidaten genannt. Die Zeitung «China Daily» zitierte aber auch Li Daokui, einen Berater der Zentralbank für Geldpolitik, der für einen Vertreter aus einem «kleinen und neutralen Land» plädierte.

Deutschland fordert schnelle Entscheidung
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat eine schnelle Entscheidung bei der Neubesetzung des IWF-Chefpostens gefordert. Sie untermauerte zudem die Forderung, dass erneut ein Europäer den Vorsitz beim Internationalen Währungsfonds (IWF) übernehmen sollte. «Ich vertrete die Meinung, dass wir einen europäischen Kandidaten vorschlagen sollten», sagte Merkel am Donnerstag in Berlin. Es müsse schnell eine Lösung gefunden werden.

«Ich werde heute keinen Namen nennen.»
Zu möglichen Kandidaten für die Nachfolge des wegen einer Sex-Affäre zurückgetretenen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn äusserte sich Merkel nicht: «Ich werde heute keinen Namen nennen.» Dazu werde es Gespräche in der Europäischen Union geben. Merkel begründete den europäischen Anspruch unter anderem mit den anhaltenden Problemen in der Euro-Zone. Ausserdem sei der Franzose Strauss-Kahn vor Ablauf seiner regulären Amtszeit zurückgetreten. Möglicherweise seien die Schwellenländer für dieses Argument zugänglich.

EU für einen «starken europäischen IWF-Kandidaten»
In der Debatte um die Nachfolge von Dominique Strauss-Kahn an der Spitze des Internationalen Währungsfonds setzt sich die EU-Kommission für einen starken europäischen Bewerber ein. «Es ist nur selbstverständlich, dass sich die Mitgliedstaaten der EU als grösste Geber des Fonds auf einen starken und kompetenten Kandidaten einigen», sagte die Sprecherin von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Donnerstag in Brüssel.

Gute Chancen für Christine Lagarde?
Laut Sprecherin gibt es Beratungen zwischen den Mitgliedstaaten zur Nachfolge von Strauss-Kahn. Das sei eine Frage der «europäischen Verantwortlichkeit». Detailfragen zu einzelnen Kandidaten beantwortete die Sprecherin nicht. Laut Diplomaten hat die französische Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde gute Chancen auf den Posten des Generaldirektors beim IWF.

Strauss-Kahn bietet eine Million für seine Freiheit
Für seine Freilassung aus der Untersuchungshaft will Dominique Strauss-Kahn der New Yorker Justiz eine Kaution von einer Million Dollar hinterlegen. Mit diesem Angebot wollte der wegen eines Vergewaltigungsversuchs angeklagte Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds am Donnerstag in die Verhandlungen gehen, sagten seine Anwälte wenige Stunden zuvor. Zudem werde er versprechen, New York nicht zu verlassen. Unklar blieb bis zuletzt, ob der Franzose an der Verhandlung selbst teilnimmt.

Merkel unterstützt Lagarde als neue IWF-Chefin
Im Rennen um die Nachfolge des zurückgetretenen IWF-Chefs Dominique Strauss-Kahn unterstützt die Bundesregierung nach einem Zeitungsbericht die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Deutschland verzichte auf die Benennung eines eigenen Kandidaten, erfuhr das «Handelsblatt» (Freitagsausgabe) aus Koalitionskreisen. Auch die USA sprechen sich der Zeitung zufolge für die Französin aus. Die Europäer verbinden mit Lagarde die Erwartung, dass sie als IWF-Chefin die Euro-Krise vordringlich managt.

Lagarde wird Amtsmissbrauch vorgeworfen
Ihre Benennung stehe noch unter dem Vorbehalt, dass Lagarde wegen einer Affäre Tapie in Frankreich nicht angeklagt werde. Nach Strauss-Kahn müsse der nächste Chef des IWF frei von juristischen Verwicklungen sein, heisst es laut Zeitung in Berlin und Washington. Lagarde wird in Paris Amtsmissbrauch vorgeworfen. Lagarde hatte laut Zeitung vor Jahren dem Ex-Minister und Geschäftsmann Bernard Tapie durch Anrufung einer zivilen Schiedsstelle eine lange gerichtliche Auseinandersetzung mit dem französischen Staat erspart. Da der Staat aber das Verfahren vor der Schiedsstelle verloren hatte und seine Ansprüche gegen Tapie nicht mehr durchsetzen konnte, wird Lagarde Begünstigung vorgehalten.

«Vive l’Europe!»
Lagarde selbst schweigt zu ihren Ambitionen. Auf die Frage, ob sie sich eine Kandidatur vorstellen könne, antwortete sie am Donnerstag nur mit einem Lächeln und einem kurzen «Vive l’Europe!» (Es lebe Europa). Zuvor hatte sie allgemein gesagt: «Jede Kandidatur, welche auch immer es sein mag, wird von den Europäern ausgehen müssen. Sie müssen sich zusammentun.» (awp/mc/ss/upd/ps)

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