IWF warnt vor Kollaps des Finanzsystems – Boykott Chinas
José Viñals, Chef der IWF-Kapitalmarktabteilung. (© European Communities)
Tokio – Der zögerliche Kampf der europäischen Regierungen gegen die Schuldenkrise führt die globalen Finanzmärkte nach Befürchtungen des Weltwährungsfonds an den Rand des Zusammenbruchs. «Das Vertrauen ins Weltfinanzsystem ist sehr brüchig geworden», warnt der Internationale Währungsfonds (IWF) in einer neuen Analyse. Das geringe Tempo bei der Stabilisierung des Bankensektors und den nötigen Reformen habe eine gefährliche Kapitalflucht aus Europas Krisenstaaten begünstigt. «Es droht eine böse Abwärtsspirale», sagte der Chef der IWF-Kapitalmarktabteilung, José Viñals, bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch in Tokio.
Die Jahrestagung des Währungsfonds Ende der Woche in der japanischen Hauptstadt wird vom Streit zwischen China und Japan um Inseln im Ostchinesischen Meer überschattet. Der chinesische Notenbankchef Zhou Xiaochuan und Finanzminister Xie Xuren sowie die vier grössten chinesischen Banken boykottieren das Treffen. Japans Regierung bedauerte das Fernbleiben der chinesischen Finanzvertreter.
Deutschland pocht bei der Beurteilung weltweiter Konjunkturrisiken auf eine Gleichbehandlung aller Wirtschaftsregionen. Es könne nicht immer nur über Europa und die Eurozone geredet werden. Es gebe auch andere Problemregionen wie Japan, die USA sowie die Schwellenländer mit Abwärtsrisiken, hiess es in Regierungskreisen in Berlin.
G7-Treffen am Donnerstag in Tokio
Die Finanzminister und Notenbankchefs der grossen Industrieländer (G7) kommen schon am Donnerstag in Tokio zusammen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) werde dabei auf die Fortschritte in der Eurozone verweisen, hiess es in Berlin weiter. So gebe es jetzt den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Zusammen mit noch nicht verplanten Hilfen des Vorgänger-Fonds EFSF stehen damit Notkredite für angeschlagene Euro-Länder von bis zu 700 Milliarden Euro bereit.
Der Währungsfonds würdigte in seinem Bericht zur Finanzstabilität wichtige Fortschritte der europäischen Gesetzgeber. Doch sei «die Agenda entscheidend unvollständig». Das verängstige Investoren und fördere die Angst vor dem Zerfall der Währungsunion und einem Rückgang der Wirtschaftsleistung. Aus Spanien hätten Anleger bis Juni binnen eines Jahres fast 300 Milliarden Euro abgezogen und aus Italien rund 230 Milliarden. Das Geld fliesse in stabilere europäische Länder und in vermeintlich sichere Häfen wie den USA und Japan.
Finanzielle und ökonomische Spaltung droht
Konsequenz sei eine finanzielle und ökonomische Spaltung zwischen den armen und reichen Ländern der Eurozone, die extrem ungewöhnlich für eine Währungsunion sei, sagte Viñals. Die Entwicklung könne zu einer neuen Kreditklemme in Europa mit globalen Folgen führen. Im schlimmsten Fall müssten die Grossbanken der Eurozone ihre Bilanzen insgesamt zwischen 2,8 und 4,5 Billionen Dollar verkürzen. Die Kreditvergabe in den Krisenländern könnte dadurch bis Ende 2013 um 18 Prozent sinken und dort massive Einbrüche der Konjunktur auslösen – mit Risiken für das Weltfinanzsystem und das globale Wachstum.
Europäische Bankenunion möglichst bald schaffen
Der IWF rief die Europäer eindringlich auf, die Lösung der Krise noch entschiedener voranzutreiben. Der Finanzsektor müsse weiter saniert werden, neue Sicherungsinstrumente wie der Euro-Krisenfonds ESM auch wirklich genutzt und die europäische Bankenunion mit einer gemeinsamen Einlagensicherung möglichst bald geschaffen werden. «Die Wahl besteht heute darin, die nötigen aber harten Entscheidungen zu treffen, oder sie noch einmal in der falschen Hoffnung zu verzögern, dass die Zeit auf unserer Seite ist», sagte Viñals.
Zugleich warnte der Währungsfonds auch die USA und Japan, sich wegen der Kapitalzuflüsse durch Privatinvestoren und niedriger Zinsen in falscher Sicherheit zu wähnen – und deswegen die gleichen Fehler zu machen wie Europa. Beide Länder müssten ihre überbordenden Staatsschulden schnell in den Griff bekommen und Ungleichgewichte im Finanzsektor reduzieren. Auch die eigentlich gut aufgestellten Schwellen- und Entwicklungsländer sollten sich noch besser gegen Schocks im globalen Finanzsystem wappnen. «Niemand ist immun gegen den Druck, der aus Europa und den USA kommt», sagte Viñals. (awp/mc/upd/ps