IWF will bis Ende Juni Strauss-Kahn-Nachfolger finden
Aussichtsreiche mögliche Kandidatin: Frankreichs Finanzministerin Christine Lagarde.
Washington – Der IWF will Klarheit: Bis Ende Juni will der Internationale Währungsfonds (IWF) einen Nachfolger für den wegen versuchter Vergewaltigung angeklagten Ex-Direktor Dominique Strauss-Kahn gefunden haben. Als Favoritin gilt die französische Finanzministerin Christine Lagarde. Für sie sprach sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aus.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) liess erneut durchblicken, dass sie Lagarde für geeignet halte – das sei aber keine «Bestätigung einer Kandidatur». SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier warf Merkel mangelnden Einsatz für einen deutschen Kandidaten vor. Merkel will nach dem Rücktritt Strauss-Kahns auch künftig einen europäischen IWF-Chef. «Es gibt eine breite Unterstützung dafür, dass Europa einen Kandidaten aufstellt», sagte sie.
Schwellenländer melden ihren Anspruch an
Allerdings melden auch Schwellenländer wie China und Indien ihren Anspruch an. Die USA als grösster Anteilseigner haben sich in der Nachfolgediskussion bislang neutral geäussert. Die amerikanische Regierung unterstütze Kandidaten, die in einem offenen Auswahlprozess gefunden würden und eine Mehrheit hinter sich versammeln könnten, teilte das US-Finanzministerium mit. Australiens Finanzminister Wayne Swan forderte, einen Nachfolger Strauss-Kahns nach seiner Leistung statt der Nationalität auszuwählen. Die automatische Ernennung eines Europäers sei überholt, sagte er mit Blick auf die wachsende ökonomische Bedeutung Asiens. Südafrikas Finanzminister Pravin Gordhan unterstützte Swan. Beide forderten einen «offenen, transparenten Auswahlprozess», an dessen Ende der kompetenteste Kandidat ernannt werde.
Nominierungsphase ab 23. Mai
Die Organisation teilte mit, der Auswahlprozess solle bis zum 30. Juni abgeschlossen sein. Die Nominierungsphase für Bewerber um den Posten werde am 23. Mai beginnen und laufe bis zum 10. Juni. Zugleich veröffentlichte der Fonds die grundlegenden Bedingungen für eine Kandidatur. Demnach muss der künftige Direktor aus einem der Mitgliedsländer stammen. Er sollte über grosse Erfahrung in der Gestaltung von Wirtschaftspolitik sowie über tiefgreifende diplomatische Fähigkeiten verfügen.
Schäuble: Europa muss mit einer Stimme sprechen
Für Frankreichs Finanzministerin Lagarde sprach sich Bundesfinanzminister Schäuble aus: «Mit Christine Lagarde, so sie sich dann entscheidet zu kandidieren, hätte Europa beste Chancen, den Posten wieder zu besetzen. Entscheidend ist jetzt aber vor allem, dass Europa in dieser Frage mit einer Stimme spricht», sagte er der «Bild am Sonntag». Schäuble lobte ihre Qualifikation: «Christine Lagarde ist in der Sache und als Person hervorragend geeignet. Sie wird in der gesamten Finanzwelt überaus respektiert und geschätzt.» Er bekräftigte den Anspruch der Europäer auf den Posten des IWF-Direktors: «Die USA und Europa zahlen schliesslich mit weitem Abstand den grössten Teil der Beiträge.» SPD-Fraktionschef Steinmeier vermisste Merkels Einsatz für einen deutschen Kandidaten. «Es ist bemerkenswert, dass es Angela Merkel offenbar überhaupt nicht mehr in den Sinn kommt, einen deutschen Kandidaten ins Spiel zu bringen», sagte er zu «Spiegel Online». Zu einer möglichen Kandidatur Lagardes äusserte er sich zurückhaltend. Sie sei «sicher im Feld der sechs bis acht Kandidaten, die ernsthaft diskutiert werden. Aber das Feld ist grösser.»
Schweiz unterstützt nicht unbedingt die Europäer
Im Gerangel um die Nachfolge des zurückgetretenen IWF-Chefs steht die Schweiz einem Nachfolger aus Europa eher skeptisch gegenüber. Der Grund: Mehrere europäische Länder hängen selbst am Tropf des Internationalen Währungsfonds IWF. «Das Argument, ein IWF-Chef aus Europa sei derzeit besonders wichtig, weil der IWF stark in die Lösung der europäischen Schuldenkrise eingebunden sei, überzeugt mich nicht. Es könnte im Gegenteil besser sein, wenn ein Externer auf die ökonomischen Schwachstellen innerhalb der Eurozone hinweist», sagte der Schweizer Vertreter im IWF-Exekutivrat, René Weber, im Interview mit der Zeitung «Der Sonntag». Der Exekutivrat ist jenes Gremium, das den neuen IWF-Direktor wählen wird. Weber hält es nicht für ausgeschlossen, dass Europa den Chefposten verlieren wird.
Schwellenländer «deutlich selbstbewusster geworden»
«Es ist auf jeden Fall offener als bei früheren Besetzungen», sagte Weber. Letztlich hänge es von den Kandidaten ihrer Qualifikation ab. «Die Schweiz unterstützt nicht a priori einen Europäer.» Die Ausgangslage sei anders als in früheren Jahren: «Die Situation der Europäer ist nicht die gleiche wie bei früheren Neubesetzungen. Sie sind in einer schwächeren Position, weil viele EU-Länder zu Kreditempfängern geworden sind und weil Griechenland, Irland und Portugal Grosskredite des IWF beanspruchen.» Die Schwellenländer dagegen seien «deutlich selbstbewusster geworden», sagte Weber. «Sie weisen zu Recht darauf hin, dass die Finanzkrise ihren Ursprung in den westlichen Industrieländern hatte.»
Strauss-Kahn bis Prozessbeginn unter Hausarrest
Strauss-Kahn, der in New York unter anderem der versuchten Vergewaltigung angeklagt ist, war am Donnerstag als IWF-Chef zurückgetreten. Er war am Samstag vor einer Woche verhaftet worden, weil er in einem New Yorker Hotel ein Zimmermädchen zum Oralsex gezwungen haben soll. Eine Woche später konnte Strauss-Kahn das Untersuchungsgefängnis gegen Zahlung einer hohen Kaution verlassen. Er steht bis zum Prozess unter Hausarrest und muss unter anderem eine elektronische Fussfessel tragen. (awp/mc/ps)