Japan: Renaissance für Investoren
Von Martin Raab , Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
An Japan als Anlageland führt bereits seit Längerem kein Weg mehr vorbei. Doch wie ist es rund zwei Jahre nach Start der Hausse um die Volkswirtschaft und den Aktienmarkt bestellt? Der schwache Yen sorgt für enorm starke Exporte und Gewinne, das monetäre Experiment «Abenomics»sorgt hingegen für Fragezeichen. Wie jetzt sinnvoll investiert werden kann.
«Aller guten Dinge sind drei», besagt ein mystisches Sprichwort. Überträgt man dieses aktuell auf Japan, würden den Aktien in Fernost im laufenden Jahr rosige Zeiten ins Haus stehen. Ende 2012, als Shinzo Abe das Amt des Ministerpräsidenten am Nippon antrat, begann nämlich eine neue Zeitrechnung an der Tokioter Börse. Vorbei war es mit der jahrelangen Lethargie, die Kurse wechselten abrupt in den Hausse-Modus. Im Jahr 2013 schloss der Nikkei 225 mit einem Zuwachs von 57% ab, im Folgejahr setzte sich die Klettertour um weitere 7% fort. Nun befindet sich Japan im dritten Abe-Jahr. Anleger und Analysten stellen sich die gleiche Frage: Gelingt dem Leitindex 2015 das Triple? Kaum ein anderes Land ist mehr auf Wachstum gepolt als Japan. So setzt man im Kampf gegen eine jahrelange Wachstumsschwäche zusammen mit der Notenbank auf eine expansive Geldpolitik, kreditfinanzierte Konjunkturprogramme sowie Strukturreformen, kurz «Abenomics»genannt. Dies bringt den Yen unter Druck, lässt die Gewinne der Unternehmen steigen und die Aktienmärkte haussieren.
Strukturreformen als Erfolgsbasis
Auch wenn Japans «Gewinnformel»mit Blick auf das BIP-Wachstum sichtbare Früchte trägt, sie ist keinesfalls ohne Risiken. Diese offenbarten sich im vergangenen Jahr, als die Regierung im April den Mehrwertsteuersatz von 5 auf 8% anhob. Die Wirtschaft rutschte im zweiten und dritten Quartal in die Rezession. Aufgrund dieser Wachstumsdelle löste Abe Ende Jahr sogar das Parlament auf und stellte sich einer Vertrauensabstimmung. Mit Erfolg: Die Wähler stimmten für eine Fortsetzung der reformfreundlichen Politik. Nun liegt es also weiter an dem «Abenomics»-Programm, seine Wirkung zu entfalten. Experten sind sich einig, dass besonders die Strukturreformen wichtig sind, um das Land langfristig aus der Spirale Rezession und Deflation zu befreien.
Inflation harzt noch
Dazu zählt beispielsweise eine Erhöhung der Produktivität in den Unternehmen, welche die Voraussetzung bilden, dass die Löhne dauerhaft steigen können und so die Inflation übertreffen. «Damit werden die Realeinkommen mit der Zeit höher und stärken die Kaufkraft», sagt Japan-Experte Alexander Treves von Fidelity. Apropos Inflation: Die Teuerung kam zuletzt nicht so in Schwung wie die Bank of Japan (BoJ) dies gerne hätte. Sie musste sogar ihre Inflationsprognose jüngst von der ursprünglich angepeilten Rate von 1,7% für das Haushaltsjahr 2015/16 auf nur noch 1,0% reduzieren. Für das Folgejahr hob die Notenbank ihre Prognose dagegen auf 2,2 von 2,1% an. Währungshüter Haruhiko Kuroda machte damit klar, dass das ausgegebene Inflationsziel von 2% noch im Jahr 2016 erreicht werden kann.
«Jetzt liegt es am berühmten Abenomics-Programm, seine Wirkung zu entfalten.»
Inflationsschleusen bleiben offen
Einen Anlass, die Geldschleusen aufgrund der schwachen Preisentwicklung noch weiter zu öffnen, sieht Kuroda derzeit nicht. Allerdings verlängerte die Notenbank zuletzt zwei grosse Kreditlinien, damit die Banken zu einer stärkeren Darlehensvergabe angeregt werden. Auch neue Liquiditätsspritzen seitens der BoJ schliessen Experten nicht aus: «Die Notenbank scheint weiter damit zu liebäugeln. Spätestens im Oktober könnte sie wieder aktiv werden», meint Ökonom Hideo Kumano vom Forschungsinstitut Dai-Ichi Life Research. Dazu passen auch die neuesten BIP-Zahlen, die noch nicht die erhofften Wachstumsraten aufweisen. Im vierten Quartal legte die Wirtschaft mit 0,6% nicht so stark wie erwartet zu. Insbesondere die Kauflaune der Verbraucher, die für rund 60% der Wirtschaftsleistung des Landes verantwortlich ist, sowie die Unternehmensinvestitionen blieben mit 0,3 resp. 0,1% hinter den Erwartungen zurück. «Die Zahlen sind etwas enttäuschend», kommentiert Chefvolkswirt Takeshi Minami vom Forschungsinstitut Norinchukin.
Japanische Aktien bleiben attraktiv
In vielen Unternehmen aus Nippon geht es unterdessen wieder aufwärts. Carsten Römheld, Kapitalmarktstratege bei Fidelity, beobachtete zuletzt konstruktive Veränderungen bei den japanischen Firmen, wo strukturelle Reformen in Angriff genommen werden. «Ein neuer Corporate-Governance-Code ist darauf ausgerichtet, die Erträge zu erhöhen», erklärt Römheld. Steigende Unternehmensgewinne sind wiederum der Motor für den Kapitalmarkt. «Bezogen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis sind japanische Aktien historisch günstig bewertet», so der Stratege, und er fügt hinzu: «Ich gehe davon aus, dass die mittelfristigen Perspektiven für japanische Aktien attraktiv sind.» Positiv stimmt auch die Verschiebung der geplanten Mehrwertsteueranhebung in 2015. Ursprünglich sollte der Steuersatz im Oktober des laufenden Jahres um weitere zwei Prozentpunkte auf ein Zehntel gesteigert werden. Als neuen Termin, die «zweite Stufe» der Steuererhöhung zu zünden, nennt Abe nun den April 2017. Damit können Verbraucher noch einmal durchatmen und ihrer Kauflust nachkommen. Entscheidend für die BIP-Entwicklung im Land der aufgehenden Sonne sind auch die Exporte, insbesondere nach China und den USA. Die beiden Regionen sind Japans wichtigste Handelspartner. Während im Reich der Mitte das Wachstum derzeit eher an Fahrt verliert, stehen die USA weiter unter Dampf. Im Dezember legten Japans Ausfuhren unter anderem dank einer kräftigen Nachfrage nach japanischen Autos auf dem wichtigen US-Markt den vierten Monat in Folge zu. Im letzten Monat des Jahres wurde ein sattes Plus von 12,9% verzeichnet.
Automobil und Telekom im Fokus
Ein Blick in die Konzernbilanz des weltgrössten Autobauers Toyota offenbart noch deutlich höhere Wachstumsraten. Der Konzern konnte sein operatives Ergebnis in Nordamerika in den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2014/15 um mehr als 80% steigern – SUVs und Pick-Up Trucks sei Dank. Auf Konzernebene betrug die Zunahme immerhin noch beachtliche 14%. Da die Erlöse mit der Gewinnentwicklung nicht Schritt halten können, zog die operative Marge auf 10,5% an. «Gegenwärtig erwirtschaftet Toyota Premiummargen im Massengeschäft», lobt Auto-Analyst Frank Schwope von der Nord LB. Da ist es auch nicht weiter schlimm, dass Volkswagen Toyota im laufenden Jahr als grösster Autobauer ablösen dürfte. Die Wolfsburger sind nur in etwa halb so profitabel wie die Japaner. Toyota ist ein klassisches Beispiel dafür, wie der schwache Yen als Konjunkturmotor wirkt. Eine schwache Heimatwährung macht nämlich die Produkte im Ausland günstig. Wie preiswert, zeigt sich beim Blick auf den Wechselkursverlauf zum Dollar, der immer neue Tiefststände erreicht. Mussten US-Bürger bei Amtsantritt von Shinzo Abe noch 1,19 Dollar für 100 Yen zahlen, sind es heute nur noch 84 Cent. Dies entspricht einer Abwertung von knapp 30%. Davon profitiert beispielsweise auch Nissan Motor. Der Autokonzern hob nach einem starken Quartal sogar seine Prognose für das laufende Geschäftsjahr an. Aber auch aus anderen Industriezweigen laufen positive Meldungen über den Ticker. Sony konnte beispielsweise seinen Gewinn im letzten Kalenderviertel überraschend verdoppeln und auch seine Jahresziele fielen besser aus als erwartet. Das Gleiche gilt für Nippon Telegraph, kurz NTT. Der Telekomkonzern konnte die Analystenprognosen beim Gewinn klar schlagen.
«Bezogen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis sind japanische Aktien historisch günstig bewertet.»
Strukturierte Favoriten
Aufgrund der anhaltenden Geldschwemme, der Veränderungen in der Unternehmenspolitik sowie der immer noch günstigen Bewertungsmultiplikatoren dürften japanische Aktien mittelfristig weiterhin attraktive Chancen bieten. Anleger sollten aber nicht alles auf eine Karte setzen, sondern diversifizierte Anlagelösungen wählen. Zum Beispiel befinden sich die zuletzt genannten Unternehmen Toyota, Nissan, Sony und NTT zusammen mit 21 weiteren Titeln in einem Basket von Julius Bär. Die Auswahl scheint gut getroffen: Der in Franken aufgelegte Tracker auf den «Japan Aktien Basket»legte seit Emission vor rund einem Jahr mehr als 15% zu. Und dies ist nicht auf mögliche Währungsgewinne zurückzuführen, in der Struktur ist nämlich eine Quanto-Funktion eingebaut. Das Produkt läuft noch knapp ein Jahr.
Exportbaskets und Indextracker
Eine vergleichbar lange Restlaufzeit bietet der Tracker von Leonteq auf den«Solactive Japan Export ex Financials»-Index. Dabei handelt es sich um einen reinrassigen Aktienkorb, der gezielt auf Exportwerte abzielt. In dem Barometer können sich maximal 20 Titel befinden, die besonders von einer Yen-Abwertung profitieren. Die potenziellen Mitglieder müssen neben einer hohen Ausfuhrquote auch bestimmte Kriterien hinsichtlich Grösse und Handelsvolumen erfüllen. Damit die Auswahl immer frisch bleibt, führt der Indexanbieter Solactive eine halbjährliche Überprüfung durch. Dies verursacht allerdings Kosten: Inhaber des Zertifikats werden mit einer jährlichen Verwaltungsgebühr von 1,2% belastet. Wer sich bei seiner Japan-Anlage keinem vorbestimmten Zeithorizont unterwerfen möchte, ist mit einem Open-end Tracker-Zertifikat auf den Nikkei 225 Index gut beraten. Doch Vorsicht: Trotz aller Euphorie sollten Anleger einen kühlen Kopf bewahren, denn mit geldpolitischen Anreizen alleine wird sich die Wirtschaft nicht endlos ankurbeln lassen. Es müssen die Strukturreformen greifen, um die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt wieder nachhaltig in die Wachstumsspur zu bringen. Es gilt also, den Nachrichtenverlauf aus Nippon genau im Auge zu behalten – und allem voran die News über Premierminister Shinzo Abe und Notenbankchef Haruhiko Kuroda.