Einkaufstour von Ex-Chef Vincenz beschert Raiffeisen Riesenschaden
St. Gallen – Die Einkaufstour von Ex-Chef Pierin Vincenz hat Raiffeisen einen Riesenschaden beschert. Die Bankengruppe muss sich bis zu 300 Millionen Franken ans Bein streichen. Schuld ist laut einer unabhängigen Untersuchung Missmanagement.
Neues strafrechtlich relevantes Verhalten hat die Untersuchung des Professors Bruno Gehrig allerdings nicht gefunden. Es gebe auch keine Nachweise, dass Vincenz oder andere Organe von Raiffeisen sich persönlich bereichert hätten, hiess es in der Untersuchung, die am Dienstag veröffentlicht wurde.
Gehrig befasste sich mit den 104 Beteiligungsgeschäften, die Raiffeisen Schweiz und ihre Töchter seit 2005 unter dem ehemaligen Chef Vincenz getätigt hatten. Vincenz wollte ab 2010 mit einer Reihe von Beteiligungen neue Geschäftsbereiche aufbauen, um die Abhängigkeit vom Zinsgeschäft zu reduzieren. Im Vordergrund standen dabei insbesondere Vermögensverwaltung für Reiche (Private Banking), die Vermögensverwaltung für institutionelle Anleger (Asset Management), die strukturierten Produkte und die IT-Dienstleistungen.
Der richtige Kaufrausch fand in den Jahren 2012 bis 2015 statt, als Zukäufe im Wert von weit über 1 Milliarde Franken getätigt wurden. Die Untersuchung nahm 22 Beteiligungsgeschäfte genauer unter die Lupe. Darunter sind unter anderem der Kauf der ehemaligen Bank Wegelin, die in Notenstein umbenannt wurde, oder der Kauf mehrere Asset-Management-Gesellschaften.
Gravierende Mängel festgestellt
Gehrig stellte nun gravierende Mängel beim Kauf und Management von Beteiligungen fest. «Während einzelne Beteiligungsgeschäfte professionell und mit der gebotenen Sorgfalt abgewickelt wurden, zeigte sich bei anderen Transaktionen eine Überforderung der bestehenden Strukturen und eine Hemdsärmeligkeit».
Diese Hemdsärmeligkeit habe den Kauf von Beteiligungen ohne angemessene Rücksicht auf betriebswirtschaftliche Logik, Preis oder Risiken forciert. Schuld sei auch ein vorauseilender Gehorsam gegenüber Vincenz gewesen.
Oft habe Raiffeisen überhöhte Preise nach den Vorstellungen der Verkäufer bezahlt, obwohl es interne Kritik daran gegeben habe. Die Folge waren happige Verluste. «Durch mangelnde Führung und Kontrolle, organisatorische Versäumnisse und eine personenzentrierte Kultur sind finanzielle Nachteile, vor allem aber ein Reputationsschaden für die ganze Raiffeisen Gruppe entstanden», schrieb Gehrig in seinem Bericht.
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung in der Ära Vincenz seien einfach unprofessionell gewesen, sagte der seit November amtierende neue Verwaltungsratspräsident Guy Lachapelle in einer Telefonkonferenz zum Untersuchungsbericht. So sei beispielsweise beim Kauf von Beteiligungen kein vertiefter Blick in die Bücher gemacht worden (sog. Due Diligence). «Hier wurde schlecht gearbeitet.»
Schaden von bis zu 300 Millionen
Dies hat Folgen für Raiffeisen: Die Bankengruppe überprüft nun den Wert aller Beteiligungen neu. Der Maximalschaden belaufe sich auf 300 Millionen Franken, sagte Lachapelle. Das ist ein Drittel des Rekordgewinns aus dem Vorjahr und reisst den Gewinn von Raiffeisen im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018 deutlich in die Tiefe.
Das operative Ergebnis im abgelaufenen Geschäftsjahr 2018 sei dagegen erneut stark. Es dürfte im Rahmen des Vorjahres ausfallen, als 1,1 Milliarden Franken in der Kasse geklingelt hatten.
Regressforderungen geprüft
«Wir versuchen, so viel wie möglich von dem Geld wieder zu erhalten», sagte Lachapelle. «Wir betrachten es als unsere Aufgabe, den Schaden für Raiffeisen möglichst klein zu halten.» Man prüfe Regressforderungen.
Zudem rollen Köpfe: Alle Personen, welche die Geschäfte von 2012 bis 2015 zu verantworten hätten, seien nicht mehr in der Geschäftsleitung, sagte Lachapelle: «In den letzten Wochen haben fünf Personen die Geschäftsleitung verlassen.» Raiffeisen wolle einen Kulturwandel mit neuen Leuten.
Daneben ermittelt die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft gegen den früher noch gefeierten Raiffeisen-Chef wegen möglicher ungetreuer Geschäftsbesorgung. Vincenz soll bei Firmenübernahmen der Kreditkartengesellschaft Aduno und der Investmentgesellschaft Investnet ein Doppelspiel gespielt und persönlich abkassiert haben. Aduno reichte im Dezember 2017, Raiffeisen im Februar 2018 Anzeige gegen Vincenz ein.
Bei Gehrigs Untersuchung waren diejenigen Sachverhalte ausgenommen, die bereits Gegenstand des Strafverfahrens sind. Deshalb stellt die Untersuchung keinen Persilschein für Vincenz oder seinen Nachfolger Patrik Gisel dar, der jahrelang die Nummer zwei hinter Vincenz war. (awp/mc/ps)