Referendum spaltet Griechen und EU
Athen – Gegner und Befürworter eines strikten Sparkurses in Griechenland kämpfen mit immer schrilleren Tönen um Stimmen beim umstrittenen Referendum am Sonntag. Drei Tage vor der Volksabstimmung kündigte der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis seinen Rücktritt für den Fall an, dass die Griechen mehrheitlich «Ja» sagen zu den Sparforderungen der Geldgeber. Sein niederländischer Amtskollege und Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erwog unterdessen ein Ausscheiden der Griechen aus der Eurozone.
Obwohl ein solcher «Grexit» rechtlich gar nicht vorgesehen ist, sagte Dijsselbloem am Donnerstag im Parlament in Den Haag: Bei einem «Nein» zum Sparkurs fehle nicht nur die Grundlage für ein neues Hilfsprogramm, «sondern dann ist es sehr fraglich, ob es überhaupt eine Basis für Griechenland in der Eurozone gibt». Der Vorsitzende der Euroländer-Finanzminister fügte hinzu: «Das ist die fundamentale Frage, um die es tatsächlich geht.»
Ratingagentur: «Grexit» hätte fast nur für Griechenland Folgen
Analysten der US-Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) erklärten, die Folgen eines Austritt aus der Eurozone würden sich im Wesentlichen auf Griechenland beschränken. «Ein Grexit hätte keine unmittelbaren negativen Auswirkungen auf die Kreditbewertung der anderen Länder der Eurozone», prognostizierten die S&P-Experten. Sie begründete dies mit Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der nationalen Regierungen, um ein Ausbreitung der Krise zu verhindern.
Griechenlands Staatschef Prokopis Pavlopoulos sagte angesichts der zugespitzten Lage in Athen seinen für Dienstag geplanten Antrittsbesuch bei Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin ab. Am Telefon habe Pavlopoulos um Verständnis dafür gebeten, dass er angesichts der aktuellen Situation in seiner Heimat in der nächsten Woche nicht verreisen wolle, sagte eine Sprecherin Gaucks.
Knappes Rennen zu erwarten
Einer Umfrage zufolge zeichnet sich bei dem Volksentscheid ein knappes Rennen ab. 47,1 Prozent der Befragten würden demnach «Ja» sagen zu den unlängst von den internationalen Gläubigern des Landes vorgeschlagenen Reformmassnahmen. 43,2 Prozent wären dagegen, ergab die Befragung im Auftrag der konservativen Zeitung «Eleftheros Typos». Dafür wurden 1000 Menschen aller Altersgruppen in verschiedenen Teilen des Landes angesprochen.
Die Regierung in Athen warb weiter heftig für ein «Nein». Finanzminister Varoufakis knüpfte am Donnerstag seine politische Zukunft an den Ausgang der Abstimmung. Sollten die Griechen «Ja» zu den Sparforderungen der Geldgeber sagen, werde er von seinem Amt zurücktreten, sagte Varoufakis dem Fernsehsender Bloomberg TV.
«Ich würde mir lieber den Arm abschneiden»
Varoufakis sagte, er gehe davon aus, dass die Griechen die Vorschläge der Gläubiger am Sonntag ablehnen werden. Auf die Frage, ob er einer Vereinbarung ohne Schuldenerlass zustimmen würde, sagte er: “Ich würde mir lieber den Arm abschneiden.” Er sendete damit erneut widersprüchliche Signale an die Adresse der Geldgeber.
Griechenland wurde seit 2010 mit internationalen Hilfszusagen im Umfang von 240 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt. Das bisherige Hilfsprogramm für Athen war am 30. Juni ausgelaufen, noch offene Milliardenhilfen sind damit verfallen. Die am Dienstagabend fällige Rate von 1,54 Milliarden Euro an den Internationalen Währungsfonds (IWF) beglich die Regierung nicht. Auch einen alten Kredit bei der eigenen Zentralbank über 470 Millionen Euro zahlte die Regierung in Athen nicht fristgerecht zurück.
Griechenland braucht 50 Milliarden Euro bis 2018
Griechenland hat nach einer vorläufigen Einschätzung aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF) bis Ende 2018 einen zusätzlichen Finanzbedarf von 50 Milliarden Euro. Das geht aus einem ersten IWF-Entwurf über eine Bewertung der Schuldentragfähigkeit des Landes hervor.Ausdrücklich heisst es in dem am Donnerstag veröffentlichten Papier, die jüngste dramatische Entwicklung in Griechenland sei dabei noch nicht berücksichtigt. Das Papier mit Berechnungen der Experten ist auch mit der IWF-Führung noch nicht abschliessend abgestimmt. Alleine zwischen Oktober 2015 bis Oktober 2016 würden 29 Milliarden Euro benötigt, heisst es weiter. (awp/mc/pg)