Europa nimmt Staatspleite Griechenlands in Kauf
Bundeskanzlerin Angela Merkel, Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Cannes – Europa nimmt eine Staatspleite Griechenlands in Kauf, um den Euro zu retten. Das machten führende Politiker der Europäischen Union am späten Mittwochabend dem griechischen Premierminister Giorgos Papandreou vor dem G20-Gipfel in Cannes unmissverständlich klar. Auf die Ankündigung Papandreous, das Volk über das jüngste Hilfspaket abstimmen zu lassen, reagierten die Geldgeber mit einem Einfrieren einer Überweisung von 8 Milliarden Euro.
Papandreou droht, mit seinem Kurs von seiner sozialistischen Partei entmachtet zu werden. Anführer des Aufstandes ist Finanzminister Evangelos Venizelos. Zahlreiche Minister und Abgeordnete der Sozialisten schlossen sich Venizelos am Donnerstag an. Die Parteispitze kam zu einem Krisentreffen in Athen zusammen. Papandreou will an diesem Freitag im Parlament, wo er nur eine Mehrheit von zwei Stimmen hat, die Vertrauensfrage stellen.
Aktienmärkte reagieren nervös
An den Aktienmärkte reagierten die Anleger am Morgen mit Verkäufen auf die Meldungen aus Cannes, auch der Euro gab im frühen Handel zeitweise nach. In angespannter Atmosphäre hatte Frankreichs Staatschef Nicolas am Vorabend des G20-Gipfels die Spitzen der EU, des IWF und Papandreou nach Cannes geladen. «Wir möchten nicht, dass der Euro zerstört wird», sagte Sarkozy danach. Sollten die Griechen sich dem Sparprogramm verweigern, sei die Eurozone auf den Austritt des Landes vorbereitet. «Wir sind gewappnet», sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die bereits von den Euro-Finanzministern gebilligte neue, acht Milliarden Euro schwere Rate liegt bis zu einem Ja der Griechen zum Hilfspaket auf Eis. Das Referendum wird wohl am 4. Dezember abgehalten. Das griechische Volk müsse klar sagen, ob es weiter in der Euro-Zone verbleiben wolle oder nicht, erklärten Merkel und Sarkozy. Beide zeigten sich darüber verärgert, nicht von Papandreou in dessen Pläne eingeweiht worden zu sein.
Scharfe Kritik von Juncker
Auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker griff Papandreou scharf an. «Wir haben ihn, ohne ihm einen wirklichen Vorwurf zu machen, darauf hingewiesen, dass sein Benehmen illoyal ist», sagte Juncker am Donnerstag im ZDF-«Morgenmagazin». «Die Eurogruppe wäre gerne bereits beim vergangenen EU-Gipfel über das Referendum-Vorhaben informiert worden.»
Bei dem Treffen am Mittwochabend habe man Papandreou erklärt, dass die zentrale Frage der Verbleib Griechenlands in der Euro-Zone sei. «Er hat das akzeptiert», sagte Juncker. «Wir hätten gerne, dass Griechenland Mitglied bleibt, aber nicht zu jedem Preis.» Für Papandreou hagelte es nicht nur Kritik in Cannes, sondern auch zuhause. Streitpunkt ist die Frage nach dem Verbleib in der Eurozone. Das lehnt Finanzminister Venizelos kategorisch ab: «Die Position des Landes ist im Euro. Es ist eine historische Errungenschaft des Landes und kann nicht infrage gestellt werden.»
Bei den Sozialisten «kocht die Stimmung»
In der Sozialistischen Bewegung (Pasok) «koche die Stimmung», berichteten übereinstimmend griechische Medien. Papandreou hatte in einer Erklärung angedeutet, die Volksabstimmung mit einem Votum über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone zu verknüpfen. Auch die bürgerliche Oppositionspartei Nea Dimokratia reagierte scharf auf die Aussagen des Regierungschefs: «Herr Papandreou ist gefährlich und muss gehen.»
Die Unsicherheit über die Entwicklung der Griechenlandkrise belastet den ersten Tag des Gipfels der Staats- und Regierungschef der führenden Volkswirtschaften der Erde (G20). Zu Beginn des zweitägigen Treffens steht ein Aktionsplan für Wachstum und Beschäftigung auf der Tagesordnung. Weiteres Thema ist dann der Welthandel. Schwerpunkte sind zudem eine Reform des internationalen Währungssystems und eine weitere Regulierung der Finanzmärkte.
G20 rückt in den Hintergrund
Weil die schweren Turbulenzen in der Euro-Zone praktisch alles andere überlagern, rücken bei dem Treffen der G20 wichtige sonstige Themen in den Hintergrund. Dazu gehören die Rohstoff- und Nahrungsmittelsicherheit, Fragen der Infrastruktur und des Handels oder die Doha-Runde. Nichtregierungsorganisationen kritisieren das scharf.
Auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) sitzen mit am Tisch. Die jährlich wechselnde Präsidentschaft der G20 liegt in diesem Jahr bei Frankreich. Für das Treffen in dem südfranzösischen Seebad sind 12 000 Polizisten und Sicherheitskräfte aufgeboten.
Treffen Merkels mit Obama
Vor dem offiziellen Auftakt wollte Merkel mit US-Präsident Barack Obama zusammentreffen. Obama hofft auf weitere Massnahmen zur Ankurbelung der Weltwirtschaft, von der auch die lahmende US-Konjunktur profitieren könnte. Ebenfalls vor dem eigentlichen Beginn wollen sich die politischen Spitzen Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Spaniens abstimmen. Auch die EU-Institutionen sollen mit am Tisch sitzen, ausserdem die EZB und der IWF – insgesamt eine Art Frankfurter Runde plus zwei. (awp/mc/pg/upd/ps)
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