Aufschub für Athen rückt näher – Nackenschlag für Madrid
IWF-Direktorin Christine Lagarde.
Tokio / Madrid – Griechenland soll mehr Zeit zum Sparen bekommen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) brachte zugunsten Athens zwei Jahre ins Gespräch – genau die Gnadenfrist, um die Ministerpräsident Antonis Samaras wochenlang in den wichtigsten Hauptstädten Europas gebeten hatte. Aufschub bei der Sanierung der Staatsfinanzen war zuvor schon Spanien und Portugal gewährt worden.
«Es wären zwei weitere Jahre notwendig, damit das Land tatsächlich die Haushaltskonsolidierung bewältigen kann, die angedacht ist», sagte IWF-Direktorin Christine Lagarde am Donnerstag vor der Jahrestagung des IWF und der Weltbank in Tokio. Deutschland reagierte reserviert auf Lagardes Vorstoss. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Berlin, sie wolle das nicht kommentieren. «Ich warte jetzt auf den Troika-Bericht, und dann werden wir unsere Meinung bilden.» Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble sprach sich klar gegen einen Schuldenerlass für Griechenland zulasten öffentlicher Geldgeber aus.
Rating-Tiefschlag für Spanien
Für Spanien gab es im Kampf gegen die Schuldenkrise hingegen einen neuen Nackenschlag: Die Ratingagentur Standard & Poor’s (S&P) senkte die Kreditwürdigkeit der viertgrössten Euro-Volkswirtschaft gleich um zwei Stufen von «BBB+» auf «BBB-«. Die S&P-Analysten begründen ihr Urteil mit der zusehends schärferen Rezession, der Rekordarbeitslosigkeit und düsteren Aussichten für die Staatsfinanzen.
Madrid zeigte sich überrascht und widersprach der S&P-Analyse. Die Ratingagentur habe die Wirkung der bereits beschlossenen Reformen nicht berücksichtigt, kritisierte der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Fernando Jiménez Latorre.
Kapitalmärkte zeigen sich wenig beeindruckt
Die Bonitätsnote für Spanien ist bei S&P nun – wie beim Konkurrenten Moody’s – nur noch eine Stufe über dem sogenannten Ramschniveau. Eine weitere Herabstufung drohe, teilte S&P am Mittwochabend mit. Eine schlechte Bonität kann die Aufnahme von frischem Geld teurer machen.
Die Kapitalmärkte zeigten sich zunächst kaum beeindruckt. Die Rendite für spanische Anleihe verharrte unter der Marke von sechs Prozent – und damit weit entfernt von den sieben Prozent, die als langfristig nicht mehr tragbar gelten.
Schäuble kritisiert Euro-Bashing
Lagarde rief die Politiker Europas und anderer grosser Volkswirtschaften wie die USA und Japan auf, entschlossener gegen ihre Probleme vorzugehen. Rund um den Globus hindere Unsicherheit über die wirtschaftliche Entwicklung Investoren daran, Arbeitsplätze zu schaffen. Der IWF hatte jüngst seine globale Wachstumprognose erneut nach unten korrigiert – auch für Deutschland deutlich. Europa sei weiterhin das «Epizentrum» der weltweiten Krisenstimmung, erläuterte Lagarde.
Schäuble mahnte in Tokio ein Ende der Dauerkritik an der Eurozone an. «Das ist billig, Euro-Bashing zu betreiben», sagte er. Kritik übte er an IWF-Chefvolkswirt Olivier Blanchard, der die Exportnation Deutschland erneut aufgefordert hatte, zum Abbau globaler Ungleichgewichte die Binnennachfrage stärker anzukurbeln und es anderen Überschussländern nachzumachen. «Ratschläge, wie die Binnennachfrage steigen soll, verraten nicht zu viel Kenntnis», meinte Schäuble. Zudem gebe es bei der Bewältigung der Euro-Krise bereits Erfolge. «Die Reformen zeigen klare ökonomische Wirkung.»
Warten auf Troika-Bericht
Mit Blick auf die angespannte Lage in Athen versicherte Lagarde, dass IWF-Mitarbeiter unermüdlich versuchten, Streitpunkte auszuräumen. Derzeit ist offen, ob Griechenland die nächste Hilfszahlung erhält. Es wird aber erwartet, dass das Geld am Ende doch fliesst. Der «Troika»-Bericht von EU-Kommission, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) steht noch aus. Ohne die Hilfstranche von 31,5 Milliarden Euro droht dem Land die Pleite.
Zu Lagardes Äusserungen über einen Aufschub für Griechenland meinte Schäuble, zunächst müsse der «Troika»-Bericht abgewartet werden. Bereits auf dem Finanzministertreffen im September im zyprischen Nikosia hatte sich abgezeichnet, dass die Europartner eine Streckung der mit Athen vereinbarten Sparziele in Betracht ziehen.
IWF fordert neuen Schuldenschnitt
Den IWF-Vorschlag eines Forderungsverzichts der öffentlichen Gläubiger gegenüber Griechenland nannte Schäuble nicht zielführend. Die waren beim Schuldenschnitt im Zuge des zweiten Rettungspaketes im Frühjahr ausgeklammert worden. Deutschland hat gut 15 Milliarden Euro als bilaterale Kredite für Athen bereit gestellt. Bei einem weiteren Schuldenerlass müsste das Geld abgeschrieben werden.
Weiterhin zurückhaltend gab sich Lagarde bei der Frage, ob der IWF mehr im Kampf gegen die europäische Schuldenkrise tun müsse. Der Präsident der Europäische Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hatte angeregt, dass der Fonds den Staatsanleihenkauf der EZB überwachen könnte statt wie bisher vornehmlich als Kreditgeber aufzutreten. Lagarde meinte, der IWF sei zwar flexibel. Aber er würde nur ein Programm überwachen, das er ökonomisch für sinnvoll halte. «Das heisst, wir wollen auch daran teilhaben, es zu entwerfen.» (awp/mc/upd/ps)