EZB-Präsident Mario Draghi. (Foto: EZB)
Frankfurt am Main – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Einzelheiten zu ihrem neuen Anleihekaufprogramm veröffentlicht. Das zweite Programm soll Äusserungen von EZB-Präsident Mario Draghi vom Donnerstag zufolge ein unbegrenztes Volumen haben. Damit hebt es sich in einem wesentlichen Punkt von den bisherigen Anleihekäufen der EZB seit dem Frühjahr 2010 ab, das Draghi selbst als im Umfang begrenzt umschrieben hatte. Im Gegensatz zu den bisherigen Kaufprogramm (SMP) sieht das Programm zudem strikte Konditionen, Käufe nur von kurzlaufenden Anleihen, mehr Transparenz und keinen bevorrechtigten Status der EZB vor.
Unter dem neuen Anleihekaufprogramm will die Notenbank nur Anleihen mit einer Laufzeit von bis zu drei Jahren in ihre Bücher nehmen. Voraussetzung sei allerdings, dass sich die jeweiligen Ländern zunächst an den Euro-Rettungsfonds wenden. Dies kann entweder in Form eines sogenannten Vollprogramms geschehen, wie sie derzeit die Länder Griechenland, Irland oder Portugal durchlaufen, oder durch sogenannte vorsorgliche Kreditlinien des EFSF beziehungsweise des ESM. Es können auch Anleihen gekauft werde, die noch eine Restlaufzeit von bis zu drei Jahren haben.
Kein bevorrechtigter Gläubigerstatus
Ausserdem will die EZB künftig auf ihren Status als bevorrechtigter Gläubiger verzichten, wie Draghi erläuterte. Eine bevorrechtigte Stellung der EZB, die im Falle einer Staatsumschuldung private Schuldner stark benachteiligen würde, gilt unter Experten neben dem begrenzten Umfang als problematischster Punkt des ersten Kaufprogramms. In einer ersten Runde hatte die EZB seit Mai 2010 damit begonnen, Staatsanleihen Griechenlands und später Irlands sowie Portugals zu erwerben. Im Sommer 2011 kamen Käufe spanischer und italienischer Titel hinzu.
Draghi unterstrich die Unabhängigkeit der Notenbank auch bei den neuen Anleihekäufen: Allein die EZB werde über Beginn und Ende der Käufe entscheiden. So würden die Käufe eingestellt, wenn das Ziel der Notenbank erreicht sei. Sie könnten aber auch beendet werden, falls die Bedingungen des Hilfsprogramms seitens des EFSF oder ESM nicht mehr eingehalten werden. Auch Länder, die derzeit ein Vollprogramm durchlaufen, könnten auf Käufe der Notenbank zählen – allerdings erst, wenn sie wieder an den Anleihemarkt zurückkehren.
Käufe werden sterilisiert
Wie bei dem ersten Kaufprogramm der Notenbank sollen die Anleihekäufe «sterilisiert» werden. Das bedeutet, dass die EZB die zusätzliche Liquidität infolge der Käufe an anderer Stelle wieder aus dem Markt nimmt. Derzeit erreicht sie dies über wöchentliche Refinanzierungsgeschäfte mit den Banken des Euroraums. Zudem soll das neue Programm ein höheres Mass an Transparenz als das jetzt beendete SMP-Programm aufweisen. So will die EZB bei den Käufen das Land, die Summe und die Laufzeit der gekauften Anleihen veröffentlichen. Die bisher gekauften Papiere aus dem alten Programm sollen bis zum Ende der Laufzeit gehalten werden. Diese Papiere sollen ihren bevorrechtigten Status behalten.
Draghi rechtfertigte die neuen Anleihekäufe damit, dass die Wirkung der herkömmlichen EZB-Geldpolitik wegen des Misstrauens in den Euro gestört sei. Er nannte vor allem die hohen Risikoaufschläge für Staatsanleihen krisengeschwächter Euroländer. Diese verhinderten, dass monetäre Impulse der Notenbank in allen Euroländern gleichermassen ankämen.
Gegenstimme aus Deutschland
Die Entscheidung fiel nicht einstimmig. Laut Draghi gab es eine Gegenstimme im EZB-Rat. Bundesbankpräsident Jens Weidmann hatte sich bereits zuvor strikt gegen die Anleihekäufe ausgesprochen. Zudem hat es laut Draghi «Diskussionen» über die Konditionen gegeben.
Insgesamt zeigten sich Experten wenig überrascht von den Ankündigungen, da vieles bereits zuvor durchgesickert war. Die EZB hat mit den jüngsten Beschlüssen nach Einschätzung der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) die Markterwartungen getroffen. Die Aussagen von Draghi hätten damit «keine echte Neuerung» dargestellt.
Experte: «Programm dürfte funktionieren»
Das neue Anleihekaufprogramm dürfte laut Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding funktionieren. «Die EZB hat sich selbst die Instrumente gegeben, um auch schwerwiegende Ansteckungsgefahren zu bekämpfen», schreibt er in einem Kommentar. Dank der Massnahmen könnten die Euro-Rettungsschirme effektiv arbeiten. Notfalls könnte die Notenbank noch Refinanzierungsgeschäfte mit einer Laufzeit von fünf Jahren und Käufe von längerfristigen Anleihen ankündigen.
EZB belässt Leitzins bei 0,75 Prozent
Zuvor gab die EZB bekannt, dass sie ihren Leitzins unverändert belassen wird. Der Zins, zu dem sich die Geschäftsbanken bei der Notenbank refinanzieren können, liegt weiter bei 0,75 Prozent. Dies teilte die EZB am Donnerstag in Frankfurt mit. Notenbankbeobachter waren sich bis zuletzt nicht sicher gewesen, ob die EZB auf die anhaltende Konjunkturschwäche im Währungsraum mit einer abermaligen Reduzierung ihres Hauptrefinanzierungssatzes reagiert.
Ihren Einlagensatz, den sie den Geschäftsbanken für überschüssige Mittel zahlt, beliess sie unterdessen bei null Prozent. Auf dieses Niveau hatte sie den Satz im Juli gesenkt. Damit soll den Banken kein Anreiz gegeben werden, überschüssige Mittel bei der EZB zu parken, sondern auszuleihen. Im Vorfeld der jüngsten Zinssitzung hatte es Spekulationen gegeben, die Notenbank könnte den Satz in den negativen Bereich senken. Der Höchstrefinanzierungssatz liegt ebenfalls unverändert bei 1,5 Prozent.
Wachstumsprognosen gesenkt, Inflationsprojektionen erhöht
Ausserdem hat die EZB ihre Wachstumsprognosen gesenkt und zugleich ihre Projektion für die Teuerung erhöht. Für das laufende Jahr rechnet die Notenbank mit einem Schrumpfen der Euro-Wirtschaft um 0,4 Prozent (minus 0,6 Prozent bis minus 0,2 Prozent), wie EZB-Chef Mario Draghi sagte. Zuvor hatte die Notenbank im Juni noch ein Minus von 0,1 Prozent erwartet (Bandbreite von minus 0,5 Prozent bis plus 0,3 Prozent).
Für das kommende Jahr senkte die EZB ihre Wachstums-Projektion ebenfalls. Laut der aktuellen Daten prognostiziert die Notenbank ein Wachstum von 0,5 Prozent (Bandbreite von minus 0,4 Prozent bis plus 1,4 Prozent).
Bei den Inflationsprognosen erhöhte die EZB ihre Projektion für das laufende Jahr. Demnach erwartet die EZB für 2012 eine Teuerungsrate von 2,5 Prozent (Bandbreite von 2,4 Prozent bis 2,6 Prozent), nach einer Rate von 2,4 Prozent im Juni (Bandbreite von 2,3 bis 2,5 Prozent). Auch für das kommende Jahr sehen die Projektionen der EZB eine stärkere Teuerung vor als noch im Juni. Draghi bezifferte die Bandbreite von 1,3 Prozent bis 2,5 Prozent. Im Juni lag die Spanne noch bei 1,0 bis 2,2 Prozent. (awp/mc/pg)