London – In den vergangenen Monaten sind die Aktienkurse an den Börsen vieler Schwellenländer überdurchschnittlich stark gefallen. Dennoch sind auf dem mittlerweile erreichten Kursniveau die Bewertungen immer noch nicht durchweg als günstig zu bezeichnen, so dass die Emerging Markets keine ausgesprochen gute Möglichkeit für ein value-orientiertes Investment darstellen. Zu dieser Einschätzung kommt Lars Kreckel, Aktienstratege beim britischen Asset-Manager Legal & General Investment Management (LGIM).
„Eine so scharfe Korrektur haben wir an den Emerging Markets seit drei Jahrzehnten nicht mehr erlebt“, sagt Kreckel. Kapitalabflüsse und ein genereller Pessimismus der Investoren bezüglich der Schwellenländer haben diesen Abwärtstrend verstärkt. „Nimmt man all diese Indikatoren zusammen, könnte man auf den Gedanken kommen, dass alles Negative in den Kursen eingepreist ist und damit die Kurse empfänglich geworden sind für gute Nachrichten“, resümiert Kreckel. „Doch sowohl unter fundamentalen als auch strukturellen Kriterien gibt es kaum gute Argumente dafür, dass der Kurseinbruch bei den Aktienbörsen der Emerging Markets überzogen ist.“
Warnung vor übereiltem Einstieg
Dem LGIM-Experten zufolge haben sich die Bewertungen in der Vergangenheit als guter Prognoseindikator für die langfristige Kursentwicklung erwiesen. „Unglücklicherweise signalisieren die meisten Kennziffern, dass die Mehrzahl der Schwellenländerbörsen so gerade eben im günstigen Bereich und damit alles andere als extrem unterbewertet sind.“ So liegt nach Angaben von Kreckel das Kurs-Gewinn-Verhältnis in den Emerging Markets aktuell beim 13,2fachen des laufenden Jahresgewinns und das Kurs-Buchwert-Verhältnis bei etwa 1,7. „Das bewegt sich zwar unter dem historischen Durchschnitt, aber beide Kennziffern liegen immer noch weit über ihren 20-Jahres-Tiefs“, warnt der LGIM-Experte vor einem übereilten Einstieg.
Anhaltend enttäuschendes Gewinnwachstum
Auch die Höhe des Bewertungsabschlags, den die Schwellenländerbörsen gegenüber den Börsen der entwickelten Staaten haben, liegt noch immer weit über dem Tiefpunkt Ende der 1990er-Jahre. „Besonders frustrierend für Emerging-Markets-Investoren dürfte jedoch das anhaltend enttäuschende Gewinnwachstum sein, was vor allem auf einen dramatischen Einbruch der Margen zurückzuführen ist“, erläutert Kreckel. Seiner Analyse zufolge resultiert die Schwäche vor allem aus der Entwicklung der Rohstoffpreise, der allgemeinen Lohnkosten, des Wachstums der Industrieproduktion und des Dollars. Dazu sei es zu einer Konvergenz der Margen zu Unternehmen in entwickelten Volkswirtschaften gekommen.
„Die Margen waren lange Zeit höher, aber in dem Masse wie die Emerging-Markets-Konzerne mehr und mehr global agieren, passen sich die Werte denen in den entwickelten Märkten an“, so Kreckel. „Die wirklich schlechte Nachricht ist allerdings, dass es im Moment keine Anzeichen dafür gibt, dass sich die Margen – und damit die Unternehmensgewinne – deutlich erholen.“ So prognostiziert der LGIM-Experte, dass sich das Wachstum in den Volkswirtschaften vieler Schwellenländer aufgrund der Entwicklung auf den Rohstoffmärkten und sich verschlechternden Finanzierungsbedingungen weiter verlangsamt. „Die Schwellenländer sind also nicht generell günstig bewertet, aber die Investoren sollten differenzieren“, empfiehlt Kreckel.
„Wir bevorzugen zum Beispiel indische Aktien. Sie gelten als vergleichsweise sicherer Hafen in den Emerging Markets und sollten von den Reformen innerhalb des Landes profitieren.“ Darüber hinaus lohnt sich seiner Meinung nach ein Blick an das qualitativ andere Ende des Schwellenländerspektrums. „Die Aktienbörsen in Ländern mit dem schwächsten Wachstum haben in der Vergangenheit häufig die beste Performance gehabt. Vielleicht ist es für einen Einstieg noch etwas zu früh, aber unter diesem Gesichtspunkt ist es eine gute Idee, Länder im Auge zu behalten, die sich derzeit in einer Rezession befinden – so wie etwa Brasilien.“ (LGIM/mc/pg)