Vaduz – Wir erwarten, dass sich die Wirtschaft im restlichen Jahr 2012 dies- und jenseits des Atlantiks so unterschiedlich entwickelt wie selten zuvor. Während die USA weiter wachsen können, leidet Europa zunehmend unter den Sparanstrengungen und wird sich einer Rezession nicht entziehen können. Die europäische Krisenpolitik wird die Richtung der Finanzmärkte bestimmen, doch ein tragfähiger Lösungsweg der Schuldenkrise ist noch nicht erkennbar.
Der von der EU im Gegenzug für die Finanzhilfen geforderte Sparkurs stösst auf immer grösseren Widerstand. Am Sparkurs, ob in abgeschwächter Form oder ergänzt durch einen Wachstumspakt, wird jedoch kein Weg vorbeiführen. Das Wachstum in der Eurozone wird vorübergehend unter den notwendigen Budgetkürzungen leiden.
Europa im Sog der Schuldenkrise
Für schnelle Wachstumsimpulse besteht wenig Spielraum: Schuldenbasierte Konjunkturpakete sind nicht finanzierbar, Strukturreformen sind zwar unabdingbar und vielversprechend, brauchen aber Zeit, bis sie greifen. Die erfolgreiche Abkopplung Deutschlands von der Konjunkturschwäche im Rest der Eurozone wird die Rezession nicht verhindern können. Im laufenden Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung um rund 1 % abnehmen, auch wenn mit dem Nullwachstum im ersten Quartal eine technische Rezession vorerst abgewendet werden konnte.
Schweiz trotzt bislang den Umständen
Das starke Wirtschaftswachstum im ersten Quartal mit einem Plus von 0.7 % übertraf sämtliche Erwartungen. Dass die schweizerische Wirtschaft die hohe Dynamik aufrechterhalten kann ist jedoch eher unwahrscheinlich. Die Vorlaufindikatoren präsentieren sich derzeit zweigeteilt. Die einstige Zuversicht der Unternehmen über den künftigen Wirtschaftsgang ist deutlich verflogen. Zwar profitieren die Unternehmen nach wie vor von einer soliden Konsumnachfrage, die Exportbranche leidet jedoch zunehmend unter der Konjunkturschwäche in der Eurozone. Lediglich die guten Handelsbeziehungen zum konjunkturstarken Deutschland und die Kursuntergrenze des EUR-CHF-Wechselkurses verhindern einen noch deutlicheren Einbruch der Exporte.
Vieles hängt derzeit von der Entwicklung in der Eurozone ab. Eine Eskalation der Schuldenkrise birgt hohe Risiken für die Konjunktur in der Währungsunion und somit auch für die Schweizer Wirtschaft. Trotz der starken Vorgaben im ersten Quartal ist die Erwartung einer Jahreswachstumsrate von über 1 % sehr optimistisch.
Abkopplung der USA von Europa ist erfolgreich
Die USA zeigen sich vom schwachen Wachstum in der Eurozone bislang unbeeindruckt. Das Konjunkturbild bleibt weiter freundlich. Auch wenn die Wirtschaftsdaten, insbesondere aus dem Arbeitsmarkt, die gestiegenen Erwartungen zuletzt nicht mehr gänzlich erfüllen konnten, wartet die US-Wirtschaft mit soliden Wachstumsraten auf. Die Vorlaufindikatoren in den USA und in Europa weisen derzeit einen gegenläufigen Trend auf – eine seltene Konstellation. Möglich machen die Abkopplung unter anderem die solide Binnennachfrage und die verhältnismässig geringe Bedeutung des Aussenhandels. Die Exporte der USA betragen lediglich 14 % des BIP und sind hinsichtlich der Abnehmerländer zudem stark diversifiziert. In der Eurozone machen die Exporte rund 44 % des BIP aus.
Hält die deutliche Zunahme der Kreditvergabe an, könnte sich der positive Grundtenor fortsetzen. Kommt es jedoch zu einer stärkeren globalen Abkühlung, wird es auch den USA nicht gelingen, sich diesem Trend gänzlich zu entziehen und das Risiko wächst auch jenseits des Atlantiks. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass die USA mit einer Staatsverschuldung von über 100 % des BIP über kurz oder lang ebenfalls auf den Konsolidierungspfad einschwenken müssen – mitsamt den negativen Konsequenzen für das Wachstum. Bislang lässt die Indikatorenlage aber einen BIP-Zuwachs von rund 2 % durchaus noch zu.
Schwellenländer verlieren etwas an Glanz
Die erhoffte Trendwende beim Wachstum der Schwellenländer liess bislang auf sich warten. Der BIP-Zuwachs in China blieb – auf hohem Niveau – hinter den allgemeinen Erwartungen zurück. Auf dem südamerikanischen Kontinent setzte sich die nun schon seit zwei Jahren währende Wachstumsschwäche fort, und Osteuropa leidet besonders stark unter der Schuldenkrise in der Eurozone.
Im Schwellenländervergleich wird Asien jedoch weiterhin die Wachstumslokomotive bleiben. Ein robustes Investitionswachstum und ein an Bedeutung gewinnender privater Konsum werden die Konjunktur auf Kurs halten. In China halten wir an unserer Wachstumsprognose von 8 % für das laufende Jahr fest. Bislang unterstützt die Indikatorenlage die Prognose. In Südamerika und in Osteuropa wird es hingegen auch im zweiten Halbjahr ungemütlich bleiben.
Zinsen bleiben tief
Die Suche nach Sicherheit und das Eingreifen der Notenbanken halten das Zinsniveau auf historisch tiefem Niveau. Am kurzen Ende sind negative Staatsanleihenrenditen keine Besonderheit mehr. Eine leichte Gegenbewegung bei den Zinsen ist möglich, wenn sich die Situation in der Eurozone entspannt. Wir erwarten jedoch vorerst keinen signifikanten Anstieg des Zinsniveaus. Ein weiterer Rückgang der Zinsen ist angesichts der bereits tiefen Niveaus nur noch in geringem Ausmass möglich.
Staatsanleihen sind somit entweder mit hohem Kreditrisiko verbunden oder entschädigen nicht für die Inflation. Unternehmensanleihen hoher und minderer Qualität sind daher die bessere Wahl. Dies gilt auch für Schwellenländeranleihen.
Aktien gefangen von der Nachrichtenlage
Die meisten Unternehmen entwickeln sich operativ zwar sehr solide und weiterhin besser als dies von den Analysten erwartet wurde. Die unternehmensspezifische Entwicklung steht aber weiterhin klar im Hintergrund des Marktgeschehens. Konjunkturelle und politische Risiken belasten nicht nur die Wachstumsaussichten der Unternehmensgewinne, sie belasten in erster Linie die Anlegerstimmung.
Solange diese Themen vorherrschen, werden Aktien nicht von der gestiegenen Attraktivität profitieren können. Eine schnelle Trendwende scheint daher nicht bevorzustehen, auch wenn eine Wachstumsverlangsamung bereits eingepreist ist. Auf den gegenwärtigen Bewertungsniveaus bieten Rückschläge für langfristig orientierte Anleger jedoch interessante Einstiegschancen.
Krisenpolitik gibt Richtung der Märkte vor
Die Rekapitalisierung des spanischen Bankensektors mit Hilfe von Geldern des Rettungsschirms zeigt, dass die europäische Politik bereit ist, schneller, entschlossener und unkonventioneller zu handeln als noch vor wenigen Monaten. Solange die Politik jedoch nur reagiert, anstatt Probleme zu antizipieren und aktiv anzugehen, werden die Finanzmärkte Europa kritisch gegenüberstehen, und das Umfeld für Investoren wird entsprechend herausfordernd bleiben.
Die aktuellen Kurse an den Finanzmärkten spiegeln ein hohes Mass an Verunsicherung wider. Besonders risikobehaftete Anlagen leiden unter der geringen Risikobereitschaft der Investoren. Dies hat zwar beispielsweise Aktien fundamental attraktiver gemacht; diese werden ihr Potenzial kurzfristig aber dennoch nicht abrufen können.
Wachstumspfad ohne Eurozone
Mit Ausnahme der Eurozone werden die wichtigsten Regionen und Länder auf dem Wachstumspfad bleiben. In diesem Umfeld erscheinen deshalb besonders Unternehmensanleihen attraktiv. Auch hochverzinsliche Anleihen und Schwellenländerobligationen können dem Portfolio beigemischt werden. Angesichts der attraktiven Bewertungen sollte nicht gänzlich auf Aktien verzichtet werden. Grössere Positionen sollten jedoch nur dann aufgebaut werden, wenn sich eine Zunahme der Risikobereitschaft abzeichnet.
Investoren mit Referenzwährung CHF oder EUR sollten offene USD- und GBP-Positionen nicht absichern. Aufgrund der Wachstumsunterschiede sollte der Anlageschwerpunkt ausserhalb der Eurozone gesetzt werden. (VP Bank/mc/ps)