Frankfurt – Die nachhaltige und werteorientierte Unternehmensführung ist Chefsache. Deshalb sollte der Fokus bei der ESG-Bewertung eines Unternehmens auf dem «G», (englisch: Governance) liegen. «Gute» Unternehmensführung ist keine Frage der Grösse der Firma, sondern vielmehr des Herzblutes. Spoiler Alert: Familienunternehmen.
von Alexander Lippert, Portfoliomanager des MainFirst Germany Fund und des MainFirst Top European Ideas Fund
Unternehmen werden heute auch nach ihrem Verhalten beurteilt. Investoren, aber auch Konsumenten fordern deshalb, dass sich Firmen zu nachhaltigem Wirtschaften verpflichten. Das Zauberwort dazu lautet: ESG.
Ohne eine ethisch und moralisch verantwortungsvolle Firmenführung gibt es auch keine Umsetzung der Nachhaltigkeitskriterien «Environmental» und «Social» und «Corporate Governance». Deshalb ist das «G» der Treiber der ESG-Entwicklung eines Unternehmens. Ihm gebührt bei der Beurteilung einer Firma ein besonderes Augenmerk, stellt es doch die Grundlage des unternehmerischen Nachhaltigkeitshandelns dar. Eine gute Governance steigert schliesslich nicht nur den Marktwert eines Unternehmens, sondern macht dieses auch wesentlich interessanter für Anleger und Investoren.
Die Beurteilung eines Unternehmens nach ESG-Kriterien ist komplex. Doch starre Vorgaben spiegeln die Realität kaum wider. Während quantifizierbare Fortschritte, beispielsweise bei der Erreichung von Zielen zur Treibhausgasreduktion, in Zahlen mess- und dokumentierbar sind, erweist sich die zahlenbasierte Beurteilung einer guten Unternehmensführung als wesentlich schwieriger und uneindeutiger. Wie sich eine gute Corporate Governance definiert, liegt deshalb hauptsächlich im Auge des Betrachters und ist häufig subjektiv.
Die Fähigkeit zur realistischen Einschätzung einer Unternehmensführung sollte Teil der DNA jedes Finanzdienstleisters sein. Denn die Managementqualität ist seit jeher das entscheidende Krit erium für ein Investment. Erfahrene Fondsmanager vertrauen hier ihrem inneren Kompass. Unternehmen in ihrem Portfolio besuchen sie deshalb mehrmals jährlich und stehen mit diesen in einem aktiven Dialog über die aktuelle Geschäftsentwicklung sowie die strategischen Nachhaltigkeitsaspekte. Ohne dies geht es nicht.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser
Eigenschaften wie Aufrichtigkeit, Vertrauenswürdigkeit, Transparenz, aber auch Kritikfähigkeit sind wichtig für die Integrität eines börsengelisteten Unternehmens gegenüber seinen Stakeholdern. Der guten Unternehmensführung liegt die Gewaltentrennung zwischen Geschäftsleitung, Verwaltungsrat und Generalversammlung zu Grunde, so wie es der Gesetzgeber bei Aktiengesellschaften verlangt.
Die Geschäftsführung ist dazu verpflichtet, als Vermittler zu agieren. Die Ziele der operativen Leitung sollten deshalb in Einklang mit denjenigen der Aktionäre stehen. Der CEO ist Angestellter der Eigentümer, also der Aktionäre. Eine Überprüfung der finanziellen Anreizmechanismen für die Geschäftsleitung ist in jedem Fall angezeigt.
Beim Verwaltungsrat, der die Geschäftsführung kontrolliert, ist dessen Zusammensetzung für die Güte entscheidend. Finden sich hier unabhängige, kritische Geister mit operativer Erfahrung oder lediglich Ja-Sager? Ämterkumulationen können zu Interessenskonflikten führen und die operative Bewegungsfreiheit einschränken.
Bei der Generalversammlung ist vor allem die Rolle von grossen Aktionären und deren Verflechtungen zu beachten.
Unternehmen, bei denen der Geschäftsführer oder die Geschäftsführerin keine Angestellte ist, sondern Familienmitglied, haben hier einen entscheidenden Vorteil. Das Zauberwort dazu lautet: Herzblut. Gemeint ist damit, dass sie ein persönliches Engagement mit der Firma und Familie verbindet. Es handelt sich dabei um Familienunternehmen.
Familien denken in Generationen
Hier steht für die Geschäftsleitung nicht die schnelle Optimierung der finanziellen Vergütung im Vordergrund. Dies führt dazu, dass diese Firmen in der Regel umsichtiger und nachhaltiger wirtschaften.
Verantwortungsvolle Familienunternehmen denken nicht kurzfristig, sondern in Zeiträumen von Generationen. Die Reputation und Aufrechterhaltung des Lebenswerks der Familie ist bei ihnen von höchster Bedeutung. Letztendlich bildet diese Einstellung das Fundament für nachhaltigen Erfolg.
Der Fokus auf das langfristige Wohl der Firma samt Aktionären, Mitarbeitern und anderen Stakeholdern trägt zu einer höheren Konstanz in der Unternehmensführung sowie zum Werterhalt und Wertzuwachs bei.
Dank geringerer Optimierung von Bilanzstrukturen können Ausgaben für zukünftiges Wachstum via Forschung und Entwicklung oder Erweiterungsinvestitionen auch in Krisenzeiten ununterbrochen finanziert werden. Anorganische Wachstumsorgien, wie sie manche Grosskonzerne betreiben, könnten genau diese Flexibilität gefährden.
In familiengeführten Firmen zeigen sich oft unterschiedliche Auffassungen über eine gute Unternehmensführung. Deswegen fallen diese oft zu Unrecht durch das rigide, quantitativ-orientierte Raster der grossen Bewertungsagenturen und erhalten schlechtere Ratings.
Gerade hier können sich Fondsmanager engagieren und sich im direkten Dialog ein eigenes Urteil bilden. Eine differenzierte Begutachtung von Unternehmen ist jedoch nur mit einem Bottom-Up-Stockpicking-Ansatz umzusetzen
Differenzierte Betrachtung notwendig
Die ESG-Integration gehört heute zu einem fundierten Investmentprozess. Eine Fondsgesellschaft, die dabei den Fokus auf Governance-Aspekte legt und gleichzeitig die oft ausufernden Analysen von Umwelt- und Sozialthemen reduziert, erhält ein vollständigeres Bild von Unternehmen.
Denn zur Governance gehörten schon immer auch Fragen nach der Mitarbeiterfluktuation sowie dem Umgang mit den eigenen Angestellten und Umweltrisiken. Das so gewonnene Wissen umzumünzen in eine langfristige Outperformance, ist der entscheidenden Unterschied des aktiven Fondsmanagements gegenüber passiven Anlagestrategien. (MainFirst/mc)