von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Geniale, bevor wir nach vorne schauen, ein Blick zurück: 2020 war vor allem Corona- und Trump-bedingt ein extrem turbulentes Jahr. Wie aussergewöhnlich war das Jahr für Sie als CIO?
Mario Geniale: Nach der Finanzkrise 2008 fand in diesem Frühling der nächste drastische Kurseinbruch an den Börsen statt. Der Auslöser war die bis dahin unvorstellbare Reaktion der Politik auf einen neuartigen Grippevirus, nämlich die Schliessung eines grossen Teils der Wirtschaft. Da die Zentralbanken und die Politik für einmal rasch und entschlossen agierten und zudem wirksame Impfstoffe gefunden wurden, hat sich die Börse rasch wieder erholt. 2020 war sicherlich ein aussergewöhnliches Jahr, welches wieder einmal gezeigt hat, dass die Börse keine Einbahnstrasse ist.
Welche Lehren können Anleger aus einem Jahr mit globaler Pandemie, tiefer Rezession und stark schwankenden Aktienmärkten ziehen?
Wer Aktien kauft, beteiligt sich an einem Unternehmen, das heisst dieses Engagement sollte mit einer mittel- bis längerfristigen Optik eingegangen werden. Anleger sollten unbedingt die Zinsentwicklung im Auge behalten. Solange die Notenbanken weiterhin die Geldschleusen offenlassen, stehen die Börsenampeln auf Grün. Die beste Strategie in einem solchen Umfeld heisst «buy the dip», also bei Kursschwächen Aktien konsequent aufstocken. Dazu braucht es Mut, hierfür wird der Anleger mittelfristig jedoch mit hohen Renditen belohnt.
«Die beste Strategie in einem solchen Umfeld heisst «buy the dip», also bei Kursschwächen Aktien konsequent aufstocken.»
Mario Geniale, CIO Bank CIC
Home Office, Home Schooling, Lockdown, Onlinehandel, bargeldloses Zahlen etc.: Die Coronakrise hat die Arbeits- und Lebensgewohnheiten der Menschen auf den Kopf gestellt. Welche längerfristigen Anlagetrends können sich daraus ergeben?
Die Coronakrise hat die Anlegerbasis besonders in den USA erweitert. Privatanleger, die junge Brokerplattformen wie Robin Hood nutzen, haben ungeachtet der Bewertungsmassstäbe Trendaktien im Bereich Videokommunikation und Stay at Home hochgekauft. Themen um lebenslanges Lernen (E-Learning, ETF EDUT) oder Telemedizin, die die Ferndiagnostik beinhaltet (EDOC), sind interessant.
Es zeichnet sich zwar ein Licht am Horizont ab, aber auch 2021 werden uns die Pandemie und ihre Folgen begleiten. Wo sehen Sie zusammengefasst die grössten Risiken?
Wir sehen eine Gefahr in der überbordenden Verschuldung der Staaten, die mit ihren Hilfsprogrammen Einnahmeausfälle bei den Unternehmen nivellieren wollen. Sie nimmt den Staaten notwendigen Spielraum für Investitionen in die Zukunft, die in Konkurrenz zu den aufstrebenden Ländern aus Asien stehen. Zusätzlich ist die schnell wandelnde Wirtschaft hin zu Onlinehandel (Waren und Dienstleistungen) eine Herausforderung für den Arbeitsmarkt, ausreichend qualifiziertes und flexibles Personal bereitzustellen. Diese Rigidität erfordert gezielte Investitionen in Bildung von einem Staat, dessen Budgetallokation unter der schweren Last der Corona-Pandemie leidet.
«Wir sehen eine Gefahr in der überbordenden Verschuldung der Staaten, die mit ihren Hilfsprogrammen Einnahmeausfälle bei den Unternehmen nivellieren wollen.»
Welche Erwartungen haben Sie entsprechend bezüglich der Entwicklung der Realwirtschaft im kommenden Jahr?
Prognosen von J.P. Morgan legen nahe, dass die Erholung der Weltwirtschaft im Jahr 2021 mit +5,2% sehr stark ausfallen wird. Zugleich ist die Dynamik ungleich, denn gerade die Schwellenländer zeigen erhöhte Flexibilität im Vergleich zu den etablierten Regionen wie beispielsweise Europa. Aufgrund der «Old Economy»-Strukturen in Europa gehen wir davon aus, dass der Rückschlag im Jahr 2020 erst Ende 2022 negiert werden kann.
Sie gehen davon aus, dass die Aktienmärkte die Krise hinter sich gelassen haben, quasi bereits gegen Corona geimpft sind. Was macht Sie so zuversichtlich?
Die entschlossenen und massiven Reaktionen von Zentralbanken und Regierungen werden den Aufschwung im nächsten Jahr befeuern. Die Zinsen werden tief bleiben, die steigenden Staatsausgaben zielen auf tiefere Arbeitslosenzahlen. Aufgrund des Basiseffektes (Vergleich mit dem Vorjahresquartal) ist ab dem 1. Quartal 2021 mit sehr hohen Wachstumsraten zu rechnen.
Welche Schweizer Aktien empfehlen Sie zum Kauf, bei welchen wären Sie zurückhaltend?
Partners Group dürfte weiterhin vom Anlagenotstand und einer Verbesserung der Marktstimmung profitieren. Aufgrund der gegenwärtigen Sektorrotation von «Coronagewinnern» zu «-verlierern» können sich sehr interessante Einstiegsmöglichkeiten in erstklassige, bisher allerdings äusserst sportlich bewertete Aktien, wie zum Beispiel Lonza ergeben. Ein globaler Wirtschaftsaufschwung dürfte bei den zyklischen Aktien wie Swatch zu einem kräftigen Kursanstieg führen.
Von Bankaktien, die kurzfristig aufgrund verbesserter konjunkturellen Aussichten gefragt sein könnten, raten wir langfristig ab, da die Probleme (Negativzinsen, sinkende Margen etc.) weiterhin anhalten dürften. Negativ gestimmt sind wir zudem gegenüber Swiss Re, weil die Dividende erneut zu Lasten der Substanz bezahlt wird, und Givaudan, deren Aktien mit einem geschätzten KGV 2021 von 36 im Vergleich zum Wachstumspotenzial massiv überbewertet sind.
An den amerikanischen Tech-Giganten ist die Krise zumindest kursmässig fast spurlos vorübergegangen. Die Titel von Amazon & Co notieren beinahe auf Rekordwerten. Ist ein Einstieg dennoch lohnenswert?
Trotz einiger Knüppel, die den Tech-Giganten in den Weg geworfen werden, wie die zuletzt an Facebook gerichtete Bezichtigung, die Monopolstellung auszunutzen, werden diese Unternehmen ihre Umsätze weiter steigern. Die USA konzentriert die Macht einiger weniger auf den Rücken innovativer Vielfalt und unternehmerischer Diversifikation. Aber Wirtschaft wird von Menschen mit ihren Konsumentscheidungen gestaltet, die Trends gezielt mit anstossen können.
Die Ölkonzerne sind durch den Nachfrageeinbruch, tiefe Preise und ihr Image als Klimasünder unter Druck. Bieten sich hier dennoch Chancen?
Langfristig wird die Ölnachfrage zurückgehen, der Angebotsüberhang bleibt bestehen. Einige Länder mit extrem hohen Ölreserven wie beispielsweise Venezuela und der Iran produzieren momentan aus politischen Gründen praktisch nichts. Steigt der Ölpreis an, werden die amerikanischen Schieferölproduzenten zudem sofort ihre Produktion hochfahren. Dies spricht mittelfristig gegen Aktien von Ölkonzernen.
«Nachhaltiges unternehmerisches Agieren sollte eigentlich nicht auf Basis der Rendite geschehen, sondern in der Zielfunktion einer jeden Unternehmung fest verankert sein.»
Ökologie und Klimawandel werden nach der Pandemie wieder verstärkt zum Fokusthema. Wie stark wird der Trend zu nachhaltigen Anlagen wieder Fahrt aufnehmen?
Nachhaltiges unternehmerisches Agieren sollte eigentlich nicht auf Basis der Rendite geschehen, sondern in der Zielfunktion einer jeden Unternehmung fest verankert sein. Diese Motivation hat man zuletzt in der Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz gesehen. Es ist richtig und wichtig, in diese Trends zu investieren. Zusätzlich hat der MSCI Social Index (DSI) den MSCI World Index in den letzten Jahren stetig bezüglich Performance geschlagen.
Von welcher Entwicklung gehen Sie in der Anlageklasse Währungen aus?
Der langfristige Abwärtstrend des US-Dollars gegenüber dem Schweizer Franken dürfte sich fortsetzen, da der Zinsvorteil des Dollars stark zurückgegangen ist. Der Euro wird gegenüber dem Franken wohl eher zur Stärke neigen, falls sich die Wirtschaft 2021 wie erwartet erholt.
Das Niedrigzinsumfeld prägt den Immobilienmarkt. Welche Sektoren werden weiterhin profitieren können?
Tiefe Kurzfristzinsen im Kontext einer wirtschaftlichen Erholung stimulieren Banktitel, deren Marge von steigenden Langfristzinsen abhängt. Zuletzt sind die 10-Jahreszinsen in den USA an die 1% Marke angekommen und weisen nach oben. Interessant ist auch das Themengebiet Infrastruktur (sei es IT Cloudserver oder Transport, E-Mobilität), das durch Niedrigzinsen immer wieder Neuinvestitionen erhält und die Phantasie der Anleger beflügeln könnte.
Welche alternativen Anlagemöglichkeiten empfehlen Sie?
Wir empfehlen in einem Wertschriftenportfolio eine substanzielle Goldposition als günstige Absicherung gegen unvorhersehbare Ereignisse jeder Art. Bei etwelchen Turbulenzen wird Gold seinem Ruf als härteste Währung der Welt, wie in den letzten tausend Jahren auch, in Zukunft gerecht werden.
Herr Geniale, besten Dank für das Interview.