Mikio Kumada, Global Strategist, LGT Capital Management
Die Anleger fragen sich nach den wirtschaftlichen Folgen der dreifachen Katastrophe in Japan. Werden diese überschaubar bleiben?
Mikio Kumada: Es gab und wird Schocks und temporäre Störungen geben. Die entscheidende Frage lautet aber: Wie schnell und effizient wird sich Japan wieder fangen? Der Wiederaufbau hat eigentlich bereits begonnen und wird mit jedem Tag an Dynamik gewinnen, aber es gibt natürlich Probleme – Infrastruktur wurde zerstört, Stromkapazitäten sind zurück gegangen, Telefonnetze sind zusammen gebrochen und Tausende von Freiwilligen, die sich für Aufräumarbeiten gemeldet haben, können noch nicht effizient koordiniert eingesetzt werden. Unternehmen können den plötzlichen Auftragsanstieg für Baumaschinen, Werkzeuge, Generatoren, Fertighäuser und dergleichen gar nicht gänzlich erfüllen und es herrscht Strom-, Benzin- und Wasserknappheit. Aber es besteht kein Zweifel, dass Japan wieder aufgebaut werden wird. Über die Zeit könnten die wirtschaftlichen Auswirkungen also durchaus positiv sein, auch aus internationaler Sicht.
«Die Gruppe der Sieben hat rasch und klar mit koordinierten Interventionen zur Eindämmung einer Yen-Aufwertung reagiert und die Repatriierungsszenarien könnten sich als übertrieben erweisen.» Mikio Kumada, Global Strategist, LGT Capital Management
Japan ist immer noch eine grosse Volkswirtschaft und eine führende Gläubigernation mit erheblichen privaten Ersparnissen und Ressourcen. Es wird mehr Rohstoffe benötigen, die Produktion hochfahren und Kapazitäten ausweiten – insbesondere in Branchen, in denen Lagerstände und Kapazitäten als Folge der lang anhaltenden Deflation ohnehin schon auf tiefe Niveaus gefallen waren. Das beschädigte Kernkraftwerk wird ökologische und gesundheitliche Unsicherheiten und Risiken aufrechterhalten, doch die wirtschaftlichen Probleme dürften überschaubar bleiben. Am Dienstag schätzte die Weltbank, dass der Wiederaufbau rund 2,5 bis 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen und fünf Jahre dauern werde. Selbst die Weltbank gab aber zu, dass genaue Schätzungen noch schwierig sind. Es gibt eben nicht immer sofort Antworten auf alles. Klar ist jedoch: Der Wiederaufbau hat begonnen.
Europäische Schuldenkrise, Unruhen im Nahen Osten und nun droht auch noch eine Explosion der Yen-Repatriierungen. Wird es zur Vertrauenskrise kommen?
Eine Vertrauenskrise ist nicht wahrscheinlich. Die Gruppe der Sieben hat rasch und klar mit koordinierten Interventionen zur Eindämmung einer Yen-Aufwertung reagiert und die Repatriierungsszenarien könnten sich als übertrieben erweisen. Europa hat kürzlich das Arsenal der Hilfen für verschuldete Länder erweitert und ihre Kreditkosten reduziert. Die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten, insbesondere die Lage in Libyen, sind zwar Besorgnis erregend, aber auch diese Entwicklungen sind weder völlig neu noch unerwartet – die Märkte hatten Zeit, sich auf eine gewisse Eskalation einzustellen. So dürfte dieses Problem die Weltmärkte weiter nur am Rande beschäftigen.
Der japanische Börsenindex Nikkei 225 brach in der er vergangenen Woche um 10% ein. Wird der Ausverkauf wie nach dem Erdbeben von Kobe im Jahr 1995 länger anhalten?
Nach dem Kobe-Erdbeben hielt die Underperformance Japans rund zwei Monate an. Dann setzte eine Phase der Outperformance ein. Je nach fiskal- und geldpolitischen Entwicklung in naher Zukunft und der Reaktion des privaten Sektors könnten sich japanische Aktien auch schneller erholen. Es gibt wichtige Unterschiede zu 1995, welche eine wirtschaftspolitische Unterreaktion Japans weniger wahrscheinlich erscheinen lassen. So war die Katastrophe von 1995 viel kleiner und Japan war viel grösser und selbstgefälliger. Die Wirtschaftsleistung des Landes hatte 1995 ihren Zenit erreicht: Japans BIP entsprach damals 71% des BIP der USA. Inzwischen ist es auf 34% gesunken, während Chinas Wirtschaftsleistung von 10% auf 38% des US-BIP gewachsen ist. Die jüngste Katastrophe ereignete sich in einer Zeit, in welcher das Gefühl des relativen Niedergangs stark ausgeprägt war, was das Krisenbewusstsein zusätzlich erhöht. Bedeutende Anstrengungen folgten in Japan immer auf grosse externe Schocks, welche die Verletzbarkeit der Nation besonders klar herausstrichen. Die Ankunft der «Schwarzen Schiffe» von Kommodore Perry im Jahr 1853 sowie die Atombombenabwürfe und Kapitulation von 1945 sind Beispiele. Es ist kein Zufall, dass die Regierung von der grössten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg spricht. Das Erdbeben von Kobe war ein vergleichsweise kleines Unglück, das ein Land traf, welches sich noch stark genug fühlte, selbst die Hilfe von Verbündeten abzulehnen. Das war dieses Mal anders.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis an der Börse Japans ist nun mit 14,5 so günstig wie zuletzt in den 1960er Jahren. Sollen Anleger wieder einen Teil ihres Vermögens in Japan anlegen?
Die Marktbewertung ist in der Tat sehr attraktiv, stellt aber nur einen von mehreren Faktoren dar, der vor einer Anlageentscheidung berücksichtigt werden sollte. Generell glauben wir, dass Japan sich erholen wird. Unsere Fondsmanager haben nach der wahllosen Ausverkaufswelle der Vorwoche die Diskretion gehabt und genutzt, selektiv in japanische Titel zu investieren. Im Hinblick auf den Gesamtmarkt stellt sich allerdings die entscheidende Frage nach dem Zeitpunkt des Beginns einer allgemeinen Erholung und nach deren Stärke im Vergleich zu anderen Märkten. Zum Beispiel könnte jetzt die Attraktivität von Aktien in den USA und Europa gestiegen sein.
In den Monaten nach dem Beben von Kobe sind Sektoren, die am Wiederaufbau beteiligt waren, am besten gelaufen. Sollten Anleger jetzt z.B. in Baufirmen und Titel der Metall-, Zement oder Glas-Branche investieren?
Das wären sicherlich die offensichtlichen Favoriten. Sollte sich die Lage in naher Zukunft als weniger schrecklich herausstellen als der blinde Ausverkauf der Vorwoche suggeriert hat, dann ist auch denkbar, dass japanische Aktien sich nicht nur stabilisieren, sondern auch gegenüber anderen Märkten eine relative Stärke zeigen. Mit Kernkraft verbundene Titel oder Lebensmittelunternehmen könnten hingegen kurz- bis mittelfristige Probleme haben.
US-Aktien durchbrachen in der vergangenen Woche ihre Unterstützungsniveaus und technische Indikatoren wurden «bearisch». Sind Sie immer noch positiv bei Aktien?
Noch bevor es zur Katastrophe in Japan kam und die Lage in Libyen eskalierte, hatten wir mit einer Konsolidierungsphase an den Aktienmärkten gerechnet und unserer Exponierung auf eine annähernd neutrale Position reduziert. Die wichtigste Frage lautet nun: Ist diese Konsolidierung beendet und wie schnell sollten breit diversifizierte Portfolios auf kurzfristige Schwankungen einer einzelnen Anlageklasse reagieren? Unser übergeordnetes Urteil lautet jedenfalls, dass die Aktienhausse noch intakt ist, auch wenn es immer wieder zu Turbulenzen kommt. Darüber hinaus ist es so, dass die realwirtschaftliche Situation in den Industrieländern im Vorfeld der Ereignisse in Japan und Libyen begonnen hatte, sich deutlich zu verbessern, während der geldpolitische Ausblick sich zu Ungunsten der Schwellenländer verschoben hatte. Es ist schwer vorstellbar, dass die jüngsten Ereignisse diese Ausgangslage so rasch verändert haben. Die jüngsten Ereignisse können einige Risiken akzentuieren (z.B. Inflation in Asien) und in anderen Bereichen etwas Entspannung bringen (z.B. Aussicht auf eine frühe Straffung der Geldpolitik in den Industrieländern). Die Grundsituation ändert sich jedoch nicht so schnell.
Experten sagen, die grössten Chancen im nächsten Jahrzehnt werden ausserhalb der USA liegen. Werden sie in diesem Jahr Schwellenländer-Fonds empfehlen?
Ein Jahrzehnt ist eine lange Zeit. Es gibt viele offene Fragen und Aktien aufstrebender Märkte werden nicht immer besser laufen werden als Industrieländer-Börsen. In der Tat könnten wir jetzt in einer solchen Phase stecken, wie die seit Oktober anhandelte relative Schwäche der Emerging Markets andeutet. Auch Wachstumsmärkte sind zyklischen und teilweise strukturellen Herausforderungen ausgesetzt – z.B. Inflationsdruck, Risiken den Risiken geldpolitischer Straffung nach Kreditexzessen oder inmitten möglicher Immobilienblasen oder Produktivitätsfragen. Mitunter gibt es auch soziale und politische Probleme. Grundsätzlich sollten Schwellenländer in globalen, gemischten Portfolios ein relativ hohes Gewicht haben, aber wir würden weder die USA noch andere entwickelte Märkte übersehen oder abschreiben. Die Schwellenländer-Gewichtung sollte dann je nach Entwicklung erhöht oder reduziert werden. Das Gesamtbild lautet aber, dass Schwellenländer eine etablierte, wichtige Kategorie bilden, wobei die Unterscheidung zwischen «aufstrebend» und «entwickelt» in vielen Fällen zunehmend eine unscharfe Grenze darstellt. (LGT/mc/hfu)