Investoren eröffnet die zunehmende Zahl an marktreifen neuen Therapien gegen bislang kaum behandelbare Autoimmunerkrankungen attraktive Investmentchancen.
von Dr. Daniel Koller, Head Investment Management Team BB Biotech bei Bellevue Asset Management
Für die Biotechbranche bieten die Autoimmunerkrankungen ein weites Feld für Innovationen. Der medizinischen Forschung sind aktuell mehr als 100 verschiedene Autoimmunerkrankungen bekannt, die sich in den Nerven, den Organen und in den Muskelgeweben verbreiten können. Nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs sind sie die häufigste chronische Erkrankungsform. 5% bis 8% der Bevölkerung sind weltweit davon betroffen.
Die Gründe für die Zunahme von Autoimmunerkrankungen sind vielfältiger Natur. Umweltfaktoren, überaktivierte Immunantworten und genetische Ursachen können die Krankheitsauslöser sein. Mangels verfügbarer Behandlungsoptionen besteht der grösste medizinische Bedarf bei Nischenerkrankungen. Anders ist das Bild bei chronischen Erkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Psoriasis (Schuppenflechte) und multipler Sklerose (MS), von denen weltweit Millionen Menschen betroffen sind. Angesichts der Vielzahl an zugelassenen Produkten – darunter auch Generika und Biosimilars zu Wirkstoffen, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist – wird es hier immer schwieriger, innovative Produkte mit einem verbesserten Wirkprofil zu entwickeln.
Innovationslabor multiple Sklerose
Die medizinischen Fortschritte in der Behandlung von MS während der letzten 30 Jahre nehmen eine Vorreiterrolle ein, wie sich eine Autoimmunerkrankung immer wirksamer behandeln und auch kontrollieren lässt. Mehr als 20 MS-Arzneien sind mittlerweile auf dem Markt. Waren anfänglich Arzneien verfügbar, die bei ambulanten Klinikaufenthalten intravenös verabreicht werden, können Patienten mittlerweile die Arzneien selbstständig als Tablette oder subkutan mit Injektionspen zu sich nehmen. Zugleich hat sich das Therapieziel auf das Verhindern und Verzögern weiterer Krankheitsschübe konzentriert. Zwei Drittel aller MS-Patienten beginnen spätestens ein Jahr nach der Diagnosestellung mit der medizinischen Behandlung. Beim Fortschreiten der Krankheit zeigt dieses Nutzen des «Window of Opportunity» eindrucksvolle Erfolge. War die Mobilität der Patienten in den achtziger Jahren zehn Jahre nach dem Auftreten von MS so weit eingeschränkt, dass sie auf einen Rollstuhl angewiesen waren, so hat sich dieses Intervall mit anhaltend stabiler Lebensqualität jetzt auf 30 Jahre verlängert.
Dank der Fortschritte in der medizinischen Forschung befinden sich immer mehr therapeutische Ansätze, die bei den krankheitsauslösenden molekularen Prozessen ansetzen, in der klinischen Entwicklung. Einen grossen Durchbruch gab es in den letzten zwei Jahren bei Myasthenia gravis, einer seltenen neuromuskulären Erkrankung, bei der fehlgesteuerte Antikörper die Kommunikation zwischen Nerven und Muskeln unterbinden und die Muskelmembran schädigen. Die Folge sind Muskelschwäche mit Atem-, Schluck- und Sprechbeschwerden.
Grosser Durchbruch bei Argenx …
Wir haben mit Beteiligungen in unserem Portfolio frühzeitig den klinischen und kommerziellen Fortschritten bei Therapien gegen Autoimmunerkrankungen Rechnung getragen. Aktuell sind es drei Portfoliofirmen mit dem Fokus Autoimmunerkrankungen. Mit einem Anteil von 10.3% an den Wertschriften zum Ende des 3. Quartals 2022 ist das belgische Unternehmen Argenx aktuell unsere zweitgrösste Portfolioposition. Die ersten Positionen, die wir Anfang 2018 aufbauten, stockten wir innerhalb von zwölf Monaten auf. Seitdem hat sich die Marktkapitalisierung von Argenx auf EUR 20 Mrd. mehr als verfünffacht. Stand Ende September 2022 hat BB Biotech damit eine absolute Wertsteigerung von USD 277.6 Mio. erzielt.
Zum Zeitpunkt unseres Einstiegs waren wir vom kommerziellen Erfolg des Antikörpers Efgartigimod in der Behandlung von generalisierter Myasthenia gravis überzeugt. Inzwischen ist die Substanz unter dem Markennahmen Vyvgart in den USA, Europa und in Japan als erstes Präparat überhaupt zur Behandlung dieser neuromuskulären Erkrankung zugelassen. Dabei handelt es sich um eine biologische Substanz mit immunmodulierender Wirkung, die sich vom Fc-Abschnitt des humanen Immunglobulins G1 (IgG1) ableitet. Weil sie dreimal kleiner ist als herkömmliche Antikörper, kann sie leichter in Gewebe eindringen und mit niedrigeren Dosierungen verabreicht werden. Neueste klinische Ergebnisse dokumentieren, dass die subkutan verabreichte Version von Vyvgart von ihrer Wirkung nicht schlechter ist als die intravenöse Verabreichung, welche die Grundlage für die bisherige klinische Zulassung bildet.
Im laufenden Geschäftsjahr verzeichnet Argenx deutlich steigende Quartalsumsätze. Die Gesamterlöse lagen im 3. Quartal bei USD 227.3 Mio. und damit um 76% über dem Vorquartal. Bei den aktuellen Wachstumsraten wird Vyvgart 2023 Milliardenerlöse einfahren. Dieser fulminante Start könnte aber nur der Auftakt für weiteres Wachstum darstellen. Die grosse Chance bei Efgartigimod besteht darin, denselben Wirkmechanismus auf fünf weitere Autoimmunerkrankungen auszuweiten, so etwa für Immunthrombozytopenie (ITP), eine Blutungsstörung, die durch den Rückgang der Blutplättchen verursacht wird. Schafft Argenx die Zulassung in allen anderen Indikationen, schätzen wir das jährliche Umsatzpotenzial auf USD 8 bis 10 Mrd.
… und zwei Newcomer mit Potenzial
Das US-Unternehmen Celldex Therapeutics ist seit dem 2. Quartal 2022 im Portfolio von BB Biotech. Spannend bei Celldex ist der am weitesten fortgeschrittene klinische Kandidat Barzolvolimab (CDX -0159). Dabei handelt es sich um den ersten Antikörper-Wirkstoff, der die Aktivierung von Mastzellen hemmen soll. Mastzellen speichern im körpereigenen Immunsystem Botenstoffe wie Histamin. Zugleich wirken sie wie ein Brandbeschleuniger für die Stimulation von IgE-Rezeptoren durch das in den B-Zellen produzierte Immunglobulin E, welches sich auf der Oberfläche von Mastzellen vor allem in den Schleimhäuten festsetzt und damit Allergien, Angioödeme und die Hautkrankheit Urtikaria auslöst. Aktuell befindet sich CDX-0159 zur Behandlung von chronischer Urtikaria in der klinischen Phase II. Potenziell möglich im klinischen Erfolgsfall ist eine Indikationserweiterung auf weitere Haut- wie auch auf Magen-Darm-Erkrankungen.
Unsere Portfoliofirma Kezar Life Sciences, in der wir seit 2018 investiert sind, will ihr am weitesten fortgeschrittenes Produkt KZR-616 als Therapie gegen drei verschiedene Autoimmunerkrankungen entwickeln, für die es bislang noch keine adäquate Behandlung gibt. KZR-616 aus der Klasse der Immunproteasom-Inhibitoren soll die Produktion von entzündungsfördernden Zytokinen verhindern und gleichzeitig die Aktivität von regulatorischen T-Zellen erhöhen. Klinische Wirksamkeitsstudien sind gegen autoimmmune Hepatitis, Dermatomyositis und Polymyositis sowie gegen Lupus-Nephritis am Laufen. Lupus-Nephritis ist eine oft lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung der Nieren, deren einzige – und häufig unzureichende – Behandlungsoptionen zurzeit Immunsuppressiva sind. Kezar hat hier erste klinisch bedeutsame Reaktionen der Nieren publiziert.
Wir erwarten, dass die Autoimmunerkrankungen in Zukunft einen hohen medizinischen Bedarf an differenziert wirkenden Arzneien adressieren. Der gesamte Biotechsektor wird getrieben von klinischen Ergebnissen und einer anhaltend hohen Zahl an Produktzulassungen, die auch im nächsten Jahr sein nachhaltiges und starkes Umsatz- und Gewinnwachstum fortsetzen. Die weiterhin attraktiven Unternehmensbewertungen eröffnen hier interessante Investmentchancen. (BB Biotech/mc)