ODDO BHF: Ausblick ins 2023 nach historischem Jahr 2022
Das Jahr 2022 dürfte in vielerlei Hinsicht in die Geschichtsbücher eingehen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar hat nicht nur auf geopolitischer Ebene weitreichende Konsequenzen. Vielmehr leidet die Weltwirtschaft noch immer unter den Folgen des resultierenden Angebotsschocks. Die stark angestiegenen Energiepreise und die in Mitleidenschaft gezogenen Lieferketten haben die Inflationsraten weltweit massiv in die Höhe getrieben. In der Folge mussten die Zentralbanken die Zinsen schnell und massiv erhöhen, um die Nachfrage an das verringerte Angebot anzupassen. Kaufkraftverluste der Konsumenten, Produktions- und Investitionsrückgänge infolge der höheren Inflation und Zinsen sowie die anhaltenden Probleme in China (Zero Covid Strategie, Immobilienkrise) haben weltweit zu einer Wachstumsverlangsamung geführt.
von Jan Viebig, Global Co-CIO bei ODDO BHF
Diese Entwicklungen haben auch zu deutlichen Verwerfungen an den Kapitalmärkten geführt. Der Diversifikationsvorteil, der aus der Streuung eines Portfolios über Renten, Aktien und andere Anlageklassen resultiert, hat in diesem Jahr schlecht funktioniert, da Anleihen und Aktien hoch korreliert waren und zur gleichen Zeit deutlich einbrachen. Zudem kam es zu starken Differenzierungen zwischen den einzelnen Aktiensektoren. Energietitel stiegen deutlich, zinssensitive und hoch bewertete Aktien u. a. aus dem Technologiebereich standen dagegen merklich unter Druck.
Welche zukünftigen Entwicklungen werden erwartet?
Aufgrund der hohen Inflationsraten werden weitere Zinserhöhungen in den USA und in Europa erwartet. In den USA ist die Geldpolitik nach den letzten Leitzinserhöhungen bereits restriktiv. In der Eurozone ist die Geldpolitik hingegen weiterhin zu expansiv, da die Leitzinsen noch nicht deutlich über den nominalen „neutralen Zinssatz“ (welcher weder expansiv noch restriktiv wirkt) in der Eurozone angehoben wurden. Wie hoch die Leitzinsen steigen werden, hängt primär von der Inflations- sowie der Konjunkturentwicklung ab. Die Inflation wird im Jahr 2023 vermutlich in beiden Regionen ihren Höhepunkt überschreiten. In Europa wird sie aufgrund der Energiepreiskomponente und deutlich höheren Produzentenpreisen wahrscheinlich langsamer zurückgehen als in den USA. Ein Angebotsschock ebbt typischerweise erst dann ab, wenn die Kerninflation (ohne Lebensmittel und Energie) den breiten Inflationsindex übersteigt.
Da die Zinsen wahrscheinlich weiter steigen werden, lohnt es sich die Duration des Anleihen-Portfolios weiterhin im Auge zu behalten. Die gute Nachricht ist, dass allmählich höhere Renditen im festverzinslichen Bereich zu sehen sind. Eine Rendite von 4 % für Investment-Grade-Anleihen ist eine gute Entschädigung für das Kreditrisiko.
Wie sieht die Positionierung aus?
Aktien in Europa werden derzeit wieder nahe ihren langfristigen Durchschnittsniveaus gehandelt, wenn man Kurs-Buchwert-Verhältnisse und andere Bewertungskennzahlen betrachtet. US-Aktien hingegen notieren trotz der Kursrückgänge weiterhin oberhalb ihrer durchschnittlichen, historischen Bewertungsniveaus. Die höhere Bewertung von US-Aktien, der starke US-Dollar und fallende Gewinnmargen in den USA sprechen derzeit eher für Aktien aus der Eurozone als für US-Aktien. Eine weitere Erhöhung der Aktienquote ist aktuell noch verfrüht. In der Vergangenheit hat es sich ausgezahlt, die Aktienquote erst einige Monate vor dem Ende einer Rezession deutlich anzuheben. Derzeit wird eine Rezession mit einer Wahrscheinlichkeit von 85% in der Eurozone und mit 60% in den USA erwartet. Zudem ist davon auszugehen, dass die Rezession in der Eurozone und in Deutschland im nächsten Jahr mild ausfallen wird.
Eine Selektion von Unternehmen mit hohen Qualitätsansprüchen ist empfehlenswert. Die Konzentration liegt weiterhin auf Aktien mit einer hohen Kapitaleffizienz, wenig Schulden, hohen Gewinnmargen, klaren Wettbewerbsvorteilen und einem hohen strukturellen Wachstum.