Die Disney-Gruppe ist das Paradebeispiel eines Unternehmens, das zwar bereits seit fast 100 Jahren besteht, aber heute dennoch in allen seinen Geschäftsbereichen zu den Pionieren der künstlichen Intelligenz (KI) zählt. KI verschafft dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil nicht nur bei der Erstellung von Inhalten, sondern auch in seinem (mit Netflix konkurrierenden) Direct-to-Consumer-Geschäftsmodell. Auch bei den Massnahmen zur Kostenoptimierung des Freizeitparkbetriebs steht KI im Mittelpunkt. Der US-Konzern widerlegt somit das Klischee, dass künstliche Intelligenz ausschliesslich eine Domäne von Technologie- und Startup-Unternehmen ist.
Künstliche Intelligenz führt die Feder: Inhaltserstellung und Story Telling
Die Geschichte von Disney ist reich an Blockbustern, darunter Aladdin, Toy Story und viele andere. Diese verdanken ihren Erfolg zum einen originellen Inhalten und zum anderen dem Story Telling. Genau hier nutzt die Disney-Gruppe künstliche Intelligenz in ihren verschiedenen Spielarten. So werden Algorithmen darauf trainiert, aus vorherigen Erfolgen zu lernen. In der Tat ist ein Netzwerk künstlicher Neuronen effizienter als ein Team aus menschlichen Experten, wenn es darum geht, die emotionale Effizienz oder die Beliebtheit von Inhalten zu beurteilen.
Vor kurzem hat Disney beschlossen, noch einen Schritt weiterzugehen. Der Konzern will das Story Telling seiner Inhalte mittels Variational-Autoencoder-Technologie verbessern. Diese erlaubt es, die Mimik der Zuschauer in den ersten Minuten einer Filmvorführung zu beobachten und auf dieser Basis die weiteren Reaktionen des Publikums vorherzusehen. Dadurch können Inhalte und ein Story Telling geschaffen werden, die bei den Zuschauern noch stärkere positive Emotionen auslösen. Diese Technologie kam insbesondere beim letzten Star Wars-Film zum Einsatz.
Der amerikanische Medienkonzern, der schon jetzt im Bereich der künstlichen Intelligenz führend ist, dürfte seine Führungsposition voraussichtlich noch ausbauen. Schliesslich umgibt er sich nicht nur mit den besten KI-Experten, sondern investiert auch kräftig in seinen IT-Bereich und nutzt seine umfangreiche Datenbasis, um eigene Inhalte zu schaffen und so die Zufriedenheit der Zuschauer zu maximieren – ein Wettbewerbsvorteil, gegen den die Wettbewerber von Disney kaum noch ankommen. Schon heute ist es durchaus vorstellbar, dass künstliche Intelligenz irgendwann schneller und auch bessere Inhalte schafft als ein ganzes Heer von kreativen Köpfen.
Elektronische Armbänder und Big Data in den Freizeitparks von Disney
Auch in einer anderen Kernsparte (Freizeitparks) macht sich Disney seit 2013 Big Data und das Internet der Dinge sehr einfallsreich zunutze: Der Besucher erhält bei Betreten des Parks ein elektronisches Armband (The Magic Band). Mit diesem kann er sein Zimmer öffnen und schliessen, Attraktionen und in Restaurants bezahlen, Schlangen bei bevorzugten Attraktionen umgehen und sich von personalisierten Zeitplänen und digitalen Karten auf dem Smartphone oder der Smartwatch leiten lassen. Dieses elektronische Armband ist mit einem GPS-System, einem RFID-Chip und einem Transmitter ausgestattet.
Auf diese Weise gewinnt die Disney-Gruppe überaus wertvolle Daten über ihre Kunden, z.B. die Zahl und Art der besuchten Attraktionen, die auf dem Zimmer und in Restaurants verbrachte Zeit sowie Beginn und Ende des Besuchs. Diese Daten dienen anschliessend dazu, die Kundenerfahrung zu verbessern und den Konzerngewinn zu steigern. Damit wird für Disney der Traum zahlreicher Unternehmen wahr: die Bewegungen der Kunden genau nachvollziehen und gewinnbringend nutzen zu können.
Disneys Investitionen in Big Data haben bereits Früchte getragen:
- Der Konzern konnte in seinen Freizeitparks ungefähr 20% an Personalkosten einzusparen, indem die Ressourcen besser auf den tatsächlichen Konsum seiner Besucher abgestimmt wurden.
- Dem Konzern ist überdies gelungen, die Wartezeit der Besucher in Schlangen zu reduzieren. Hierdurch bleibt mehr Zeit, weitere Attraktionen zu nutzen und mehr Geld ausgeben.
Algorithmen als Schlüsselelement für die Personalisierung der Nutzererfahrung bei Disney Plus
Ende 2019 rief Disney den Streaming-Dienst Disney Plus (und seinen Sportableger ESPN Plus) ins Leben. Dieser basiert auf einem DTC-Geschäftsmodell (Direct to Consumer) und macht Netflix mittlerweile ernsthaft Konkurrenz. Genau wie Netflix stellt Disney Plus seinen Abonnenten einen Algorithmus zur Verfügung, der deren künftige Präferenzen errät. Grundlage dafür ist zum einen der bisherige Konsum des Nutzers selbst, aber auch der anderer Abonnenten mit ähnlichen Sehgewohnheiten. Der Algorithmus analysiert, welche Serien und Filme wir uns zu welcher Tageszeit anschauen und wie lange und zieht daraus bestimmte Schlussfolgerungen über uns.
In diesem Bereich geht der amerikanische Medienkonzern sogar noch weiter als Netflix. Er bedient sich der Verarbeitung natürlicher Sprachen (Natural Language Processing; NLP), um die von ihm ausgestrahlten Inhalte und insbesondere deren emotionale Wirkung auf das Publikum besser zu verstehen. Disney Plus analysiert ausserdem die demografischen Daten zu seinen Abonnenten, um sein Angebot an Inhalten an die spezifische Nachfrage homogener Abonnentengruppen anzupassen. (ODDO BHF/mc)
von Brice Prunas, Aktienfondsmanager für globale Themenstrategien bei ODDO BHF Asset Management, Fondsmanager ODDO BHF Artificial Intelligence