Zürich – Das Ökonomen-Trio Stefan Gerlach, Yvan Lengwiler und Charles Wyplosz kritisiert die Schweizerische Nationalbank (SNB) dafür, dass die Gewinnausschüttung an die Kantone und den Bund zum zweiten Mal in Folge ausfällt. Die unter dem Namen «SNB Observatory» auftretenden Experten schreiben in einem in der Nacht auf Montag publizierten Kommentar, dass das Ausbleiben der Ausschüttung nicht das notwendige Ergebnis der finanziellen Situation der SNB sei.
Mit einer aktuellen Rückstellung für Währungsreserven von 113 Milliarden Franken könne sie sich die 6 Milliarden, die sie in den Vorjahren ausgeschüttet habe, problemlos leisten, heisst es darin. Die SNB entscheide sich Jahr für Jahr dafür, diesen Korb auf Kosten der Ausschüttungsreserven zu füllen.
Die Kantone und der Bund beschwerten sich zu Recht über die willkürliche Rückstellungspolitik, wonach die Rückstellungen jedes Jahr ohne Begründung um 10 Prozent erhöht würden. Damit werde der ihnen zustehende Anteil am Vermögen, das dem Volk gehöre, vorenthalten, so die Kritik. «Der Bankrat wäre in der Lage, diese Praxis zu ändern, da es Teil seines Mandats ist, die vom Direktorium vorgeschlagene Rückstellungspolitik zu genehmigen», heisst es.
Für die Kantone selbst ist es laut dem Präsidenten der Konferenz der kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) zwar schmerzhaft, dass die Gewinnausschüttung der SNB zum zweiten Mal in Folge ausfallen wird. Da die Ankündigung nicht völlig überraschend komme, seien die Kantone bei der Budgetierung allfälliger Ausschüttungen durch die SNB aber vorsichtig gewesen, hatte der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) letzte Woche auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mitgeteilt.
Bereits die Zwischenergebnisse der SNB und der per Ende 2022 bestehende Bilanzverlust hätten «auf eine Gefährdung» hingewiesen. Die kurzfristigen Auswirkungen auf die Kantonsfinanzen dürften daher im Durchschnitt begrenzt sein.
Verlust von rund 3 Milliarden
Die SNB verzichtet auf eine Ausschüttung an die Kantone sowie auf eine Dividende, weil sie 2023 erneut einen Verlust eingefahren hat. Konkret wies die SNB letzte Woche nach provisorischen Berechnungen für das Gesamtjahr 2023 einen Verlust von rund 3 Milliarden Franken (VJ -132,5 Mrd) aus.
Das Ergebnis der SNB ist jeweils stark von der Entwicklung der Gold-, Devisen- und Kapitalmärkte abhängig, starke Schwankungen sind deshalb die Regel. Die Notenbank sitzt bekanntlich auf einem gewaltigen Berg an Fremdwährungen. Diese wurden zur Verteidigung des 2015 aufgegebenen Euro-Mindestkurses und danach zur Schwächung des Frankens gekauft.
Zwar hat die SNB in den letzten Quartalen jeweils Devisen im grösseren Stil abgebaut und damit die Bilanz etwas verkleinert, wegen des zuletzt wieder stark gestiegenen Frankens sind weitere Devisenverkäufe in den nächsten Monaten aber eher nicht zu erwarten. Per Ende 2023 betrug das Eigenkapital der SNB rund 63 Milliarden Franken, bei einer Bilanzsumme von knapp 800 Milliarden Franken. (awp/mc/ps)