von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Petitpierre, die Strafmassnahmen gegen Russland gefährden den Bau der Nordstream II – Pipeline nach Europa. Was bedeutet das für den Gasmarkt?
Philippe Petitpierre: Die vor allem von einigen osteuropäischen Staaten – allen voran Polen – formulierten Einwände gegen das Projekt liessen sich sicher durch kartellrechtliche Massnahmen entschärfen. Jedoch könnten die am 15. Juni 2017 vom amerikanischen Senat ausgesprochenen Drohungen dem Projekt den Todesstoss versetzen, falls das Repräsentantenhaus zustimmt. Engie, Shell, Uniper, Wintershall und OMW, die fünf europäischen Gasunternehmen, die jede je 10 Prozent zur Finanzierung des Projektes beitragen sollten, wären direkt betroffen.
Kann dies Rückwirkungen auf die Versorgungssicherheit der Schweiz haben?
Nein, die Versorgungssicherheit der Schweiz ist unabhängig von Nordstream II. Das Erdgas der Schweiz kommt aus der EU oder Anrainerstaaten wie Norwegen. Die Schweiz hat keinen Liefervertrag mit Russland, selbst wenn ein Teil des von der Deutschen Firma Uniper hierher gelieferten Erdgases russischen Ursprungs ist.
Im Markt gibt es also genug Player, um für einen vernünftigen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage zu sorgen. Die weltweiten Lagerstätten sind ja gigantisch…
Die Diversifizierung der Lieferanten, der Bezugsquellen, der Vertragsdauer und der Transportwege sind der Schlüssel für eine ausgeglichene Versorgung. Kommt hinzu, dass Flüssiggas eine immer wichtiger werdende Rolle im europäischen Gasmarkt spielt. Es wird das Risiko von Versorgungslücken reduzieren und die Globalisierung des Gasmarktes beschleunigen.
In Ihrem Einzugsgebiet, dem östlichen Genfersee, gibt es noch einige Lücken. Bis wann wollen Sie diese schliessen?
Wir werden unser Vertriebsnetz noch dichter stricken, insbesondere dort, wo Cosvegaz das Netz abdeckt. Dort sehen wir bereits grosses Potenzial, aber auch in neuen geographischen Regionen in den Kantonen Waadt und Freiburg.
«Erdgas wird ein Finanzmarktprodukt genau wie andere Rohstoffe werden. Kurz- und mittelfristig wird die Anbindung des Erdgases an den Erdölpreis verschwinden.»
Philippe Petitpierre, CEO und VRP Holdigaz AG
Holdigaz hat sich an der Gründung der Swiss Gas Invest beteiligt. Das Unternehmen ist im Nord-Süd-Transport von Gas in der Schweiz tätig und erlaubt es Holdigaz, landesweit tätig zu sein. Das lässt auf Ihre bevorstehende schweizweite Expansion schliessen…
Swiss Gas Invest hat sich mit 7.9% an FluxSwiss, der Schweizer Filiale von Fluxys, einem Konsortium aus dem Investmentfonds Credit Suisse Energy Infrastructure Partners (36.6%), der belgischen Gesellschaft Fluxys Europe (50.6%) und Swissgas (4.9%) beteiligt. FluxSwiss wiederum besitzt 46% an Transitgas, welche neun Zehntel der Transportkapazität der Pipeline zwischen Deutschland und Italien abdeckt, die ja durch die Schweiz führt. Holdigaz hält ausserdem die Mehrheit (52,63%) an Swiss Gas Invest. Wir haben damit in der Gasversorgung sowohl national als auch international bereits eine bedeutende Rolle.
Das klingt verwinkelt. Sind Gastransportverträge nicht ein Buch mit sieben Siegeln?
Die Liberalisierung der europäischen und bald auch schweizerischen Märkte wird die Inhalte der Gasverträge grundlegend verändern. Die Regeln für die Preisfestsetzung werden zunehmend transparenter werden. Es stimmt: das war früher nicht der Fall, aber das ändert sich gerade von Grund auf.
Wird es in Zukunft vielleicht eine stärkere Entkopplung der Gaspreise von den Spotkursen am Erdölmarkt geben?
Wir gehen zweifellos in diese Richtung: Entkopplung zwischen Gas- und Ölpreis. Die Händler und Zwischenhändler werden immer unabhängiger und Käufe auf dem jeweiligen Spot-Markt bald die Regel. Erdgas wird ein Finanzmarktprodukt genau wie andere Rohstoffe werden. Kurz- und mittelfristig wird die Anbindung des Erdgases an den Erdölpreis verschwinden.
Wie sieht es bei Ihren hauseigenen Explorationsprojekten im Moment aus?
Unsere Minderheitsbeteiligung Petrosvibri hat ja Ende 2014 die Erlaubnis für Probebohrungen in Noville erhalten. Aber hier haben wir immer noch ein Moratorium und möchten diesbezüglich die Verwaltungsorgane im Kanton Waadt in Ruhe arbeiten lassen. Wir hoffen jedoch, dass wir in Noville bald weitermachen können, um schon einmal Gasvolumen, Güte und Gewinnungskosten eruieren zu können.
Das Installationsgeschäft macht rund einen Viertel des Holdigaz-Gesamtumsatzes aus. Intelligente Heizungs- und Lüftungstechnik wird immer wichtiger, da die gesetzlichen Vorschriften zunehmen. Kann man daher annehmen, dass die Bereiche Heizungs- und Lüftungstechnik dynamischer wachsen werden als die Sanitärtechnik?
Selbstredend werden Heizung und Lüftung im Energiekonzept immer wichtiger. Daraus folgt auch, dass beide Bereiche im Rahmen von Gesamtkonzepten, meist auch mit der Wasserversorgung und dem Sanitärbereich gekoppelt werden, was die von der Energiestrategie der Eidgenossenschaft geforderte Wirtschaftlichkeit fördert. Holdigaz will sich von nun an auf dem Markt vom Gasspezialisten zum Energiespezialisten wandeln.
In der Holdigaz-Bilanz steht kein nennenswerter Goodwill mehr. Gibt Ihnen das noch mehr Freiheiten für Akquisen?
Der Goodwill ist nicht das einzige Kriterium für Zukäufe. Wir haben gerade die Freiburger Corelltech übernommen. Diese Gesellschaft ist spezialisiert auf die Untersuchung von Lecks bei Gas- und Wasserleitungen. Wir sind in einer Phase, wo wir „Perlen“ für unser bestehendes Halsband aktiv weitersuchen – vorausgesetzt diese passen zu unserem Gesamtkostüm im Energiebereich.
«Holdigaz will sich von nun an auf dem Markt vom Gasspezialisten zum Energiespezialisten wandeln.»
Erneuerbare Gase machen bloss rund ein Prozent Ihrer Liefermengen aus. Kann man eine realistische Schätzung des möglichen zukünftigen Anteils abgeben?
Die Schweizer Gasindustrie ist bereit, mehr Verantwortung für die Energiepolitik zu schultern. Darum hat sie sich Nachhaltigkeitsziele gesetzt, die bis 2030 einen Anteil von 30% von erneuerbaren Gasquellen am Heizenergiemarkt vorsehen. Holdigaz trägt diese Ziele mit. Die Biogasproduktion aus organischen Abfällen in Lavigny, aus Klärschlamm in Roche und Penthaz, bezeugen das. Im Geschäftsjahr 2016-2017 haben wir so 18.8 Millionen kWh Biogas in unser Netz eingespeist. Es braucht einen regulatorischen Rahmen und eine Anerkennung von Biogas als natürliche und erneuerbare Energiequelle.
Neben der Produktion und Einspeisung von Biogas in unser Netz sind wir auch dabei, Gas durch Methanisierung zu gewinne, indem wir Holz als Primärrohstoff verarbeiten. Ein erstes „Versuchslabor“ wird auf unserem Gelände in Aigle fertig gestellt. Dieser Pilotversuch wird uns eine neue Geschwindigkeit verleihen, was die Einspeisung grüner Energie in unser Netz anbelangt. Wir wollen, wie andere Schweizer Gasunternehmen, dem Netz bis 2030 eine zunehmende Menge „echter“ erneuerbarer Gasenergie zuführen und nicht etwa in Form von „Zertifikaten“ zweifelhafter Herkunft.
Welche Aktie wird in ein paar Jahren besser dastehen: Gazprom oder Holdigaz?
Ohne Zweifel Holdigaz, weil wir diversifizierter sind und in Zukunft wahre Energiespezialisten sein werden. Wir hinterfragen uns auch kontinuierlich selbst und werden den Zug zur Energiestrategie 2050 nicht verpassen. Erdgas ist hierfür die perfekte „Übergangsenergie“. Die Aktie von Holdigaz ist übrigens in diesem Jahr um 30% gestiegen, die von Gazprom um 15% gefallen. Mit boostHEAT werden wir eine Technologie einführen, welche den Energieverbrauch halbiert und natürlich damit auch den CO2- Ausstoss in gleichem Umfang. Das allein reicht aus, um die Schweizer Ziele bei der Reduktion der Treibhausgase zu erreichen.
Zur Person
Philippe Petitpierre aus Leysin ist verheiratet und Vater zweier Kinder. Er ist Ingenieur der ETH Lausanne und hat zwei Mastertitel in Umweltwissenschaften (1975) und Energie (1981). Philippe Petitpierre startete seine Karriere als Dozent an der EPFL und als Professor an der Ecole d’Ingénieurs Inter-Etats zu Ouagadougou. Petitpierre ist nicht nur Gründer der Holdigaz AG sondern, seit Januar 2007 auch deren Präsident und CEO. Mittlerweile ist er auch Vorsitzender der zahlreichen Gruppengesellschaften von Holdigaz. Unter seinen zahlreichen weiteren Mandaten sind das Präsidium des Instituts für Management und Logistik der EPFL hervorzuheben sowie das der Banque régionale Caisse d’Epargne Riviera. Philippe Petitpierre vertritt die Schweiz bei Eurogas (Brüssel) und der Internationalen Gas Union (Vevey). Als Mitbegründer der Swiss Gas Invest (2016) ist er auch deren VRP.
Zum Unternehmen
Die Holdigaz SA mit Sitz in Vevey ging 2005 aus dem Zusammenschluss der 1861 gegründeten Compagnie Industrielle et Commerciale du Gaz SA in Vevey und der 1922 gegründeten Société du Gaz de la Plaine Du Rhône SA in Aigle hervor. Mit der 2007 wieder aktivierten Firma Cosvegaz versorgt das Unternehmen über ihr rund 1700 km langes Netz Gemeinden in den Kantonen Waadt, Wallis und Freiburg. Dieses wird vollständig von der Gaznat, an der Holdigaz mit rund einem Sechstel beteiligt ist, bezogen. Darüber hinaus ist die Gruppe mit verschiedenen Tochtergesellschaften in den Bereichen Sanitärtechnik, erneuerbare Energien (Solar- und Biogas) und Heiz- und Klimatechnik tätig.
Holidgaz SA
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