Wirecard-Chef Braun stürzt über Bilanzskandal

Markus Braun, ehemaliger Wirecard-Konzernchef.

München – Nach dem Bilanzskandal beim Dax-Konzern Wirecard hat der umstrittene Vorstandschef Markus Braun seinen Posten geräumt. Der österreichische Manager sei im Einvernehmen mit dem Aufsichtsrat mit sofortiger Wirkung zurückgetreten, teilte das Unternehmen am Freitag mit. Interims-Chef wird der US-Manager James Freis, der erst am Vorabend in den Vorstand berufen worden war.

Entscheidend für die Zukunft des Unternehmens wird jedoch sein, ob die Banken Wirecard den Geldhahn zudrehen und von der Möglichkeit Gebrauch machen, an diesem Freitag Kredite von zwei Milliarden Euro zu kündigen. Wirecard machte den Anlegern Hoffnung: Das Unternehmen befinde sich in «konstruktiven Gesprächen» mit seinen kreditgebenden Banken.

9 Mrd Börsenwert verloren
Die Mitteilungen zum Chefwechsel und den Verhandlungen mit den Banken stoppten den von Pleiteängsten getriebenen rapiden Kursverfall an der Börse. Am Vormittag stürzte die Wirecard-Aktie zunächst von rund 40 Euro auf weniger als 20 Euro ab. Später erholte sich ein der Kurs Stück weit und lag zuletzt mit rund 26,05 Prozent im Minus bei 29,50 Euro. Seit Mittwochabend hat der Konzern insgesamt rund neun Milliarden Euro seines Börsenwerts verloren. Allein Braun als Grossaktionär hat mehr als 600 Millionen Euro eingebüsst.

Die Banken wären laut Wirecard zur Kündigung der Kredite berechtigt, wenn das Unternehmen im Verlauf des Tages keinen testierten Jahresabschluss für 2019 vorlegt. Nach einer Schätzung der US-Bank Morgan Stanley würde Wirecard nur noch über liquide Mittel von 220 Millionen Euro verfügen, falls diese Kreditlinien verloren gehen.

Rücktritt aus eigenem Antrieb?
Der zurückgetretene Vorstandsvorsitzende schrieb in einer persönlichen Erklärung an Mitarbeiter und Aktionäre, er sei aus eigenem Antrieb zurückgetreten. Wirecard habe ein exzellentes Geschäftsmodell, herausragende Technologie und ausreichende Ressourcen für eine grosse Zukunft. «Ich will diese Zukunft nicht belasten», erklärte der 1969 geborene Österreicher in der auf Englisch verfassten Erklärung. «Mit meiner Entscheidung respektiere ich die Tatsache, dass die Verantwortung für alle geschäftlichen Transaktionen beim Vorstandschef liegt.»

Braun führte das Unternehmen seit 2002 und war die dominante Figur. Er war schon 2019 unter massiven Druck durch Anleger geraten, die dem studierten Wirtschaftsinformatiker mangelnde Information und schlechtes Krisenmanagement vorwarfen. Freis hingegen ist unbelastet von der Vergangenheit. Der US-Anwalt und Analyst ist Spezialist für Wirtschaftsverbrechen: Freis war von 2007 bis 2012 Chef der Einheit zur Bekämpfung der Finanzkriminalität im US-Finanzministerium, wie er auf seiner LinkedIn-Seite schreibt.

James Freis neu an der Konzernspitze
Am Vorabend hatte der Wirecard-Aufsichtsrat bereits den für das Tagesgeschäft zuständigen Vorstand Jan Marsalek vorerst suspendiert und dafür Freis berufen. Dieser sollte eigentlich in der Wirecard-Spitze für die «Compliance» zuständig sein, also die Rechtstreue – nun muss er sich quasi von einer Minute auf die andere in die Führung des von einer existenzbedrohenden Krise erschütterten Konzerns einarbeiten.

Gigantischer Betrugsfall?
Vor Brauns Sturz verdichteten sich die Indizien für einen Betrugsfall grossen Ausmasses. Die philippinische Bank BDO Unibank, bei der angeblich eines von zwei suspekten Treuhandkonten für Wirecard geführt wurde, erklärte am Freitag, dass das deutsche Unternehmen kein Kunde sei: «Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt», hiess es in der Stellungnahme des in der Stadt Makati ansässigen südostasiatischen Geldhauses. «Der Fall ist an die Zentralbank der Philippinen berichtet worden.» Zuvor hatte die US-Nachrichtenagentur Bloomberg über die Stellungnahme berichtet.

Im Mittelpunkt des Bilanzskandals stehen zwei asiatische Banken und ein Treuhänder, der seit Ende vergangenen Jahres für Wirecard die Konten verwaltet. Auf den Konten waren angeblich 1,9 Milliarden Euro verbucht. Die für Wirecard tätigen Bilanzprüfer bezweifeln jedoch mittlerweile, dass diese 1,9 Milliarden Euro tatsächlich existieren.

Wirecard wickelt bargeldlose Zahlungen für Händler ab, sowohl an Ladenkassen als auch online. Das Unternehmen ist seit über einem Jahr in Bedrängnis, seit die Londoner «Financial Times» dem Management in einer Serie von Artikeln Bilanzmanipulationen vorwarf. Deswegen hat die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) auch den Jahresabschluss nicht testiert. EY vermutet Täuschungsabsicht.

«Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirecard AG in einem Betrugsfall erheblichen Ausmasses zum Geschädigten geworden ist», sagte Braun in der Nacht zum Freitag wenige Stunden vor seinem Aus. Unabhängig davon haben die Finanzaufsicht Bafin und die Münchner Staatsanwaltschaft mitgeteilt, den Fall unter die Lupe nehmen zu wollen.

Sonderuntersuchung durch KPMG
Treuhänder und Treuhandkonten waren schon Gegenstand einer Sonderuntersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG gewesen, die Braun im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte.

Wirecard erwirtschaftet einen beträchtlichen Teil seiner Umsätze über Drittfirmen, die im Auftrag des deutschen Unternehmens bargeldlose Zahlungen abwickeln und dafür Provision erhalten. In diesem Zusammenhang hatte Wirecard einen Treuhänder beauftragt, der im Auftrag des deutschen Unternehmens Konten eröffnete, über die solche Geschäfte liefen.

KPMG hatte im April bemängelt, dass es «nicht hinreichend nachgewiesene Einzahlungen auf Treuhandkonten» von rund einer Milliarde Euro gebe. Der ursprüngliche Treuhänder beendete laut KPMG-Bericht im vergangenen Jahr die Geschäftsbeziehung, und empfahl als neuen Treuhänder eine asiatische Anwaltskanzlei. Diese eröffnete demnach dann auch neue Konten bei zwei Banken. (awp/mc/pg)

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