London – Bei den britischen Grossbanken zeichnet sich die zweite spektakuläre Suche nach einem neuen Chef ab. Einem Bericht der Financial Times («FT») zufolge bereitet sich auch die zweitgrösste britische Bank Barclays auf die Suche nach einem neuen Mann oder einer neuen Frau an der Spitze vor – der Branchenprimus HSBC sucht bereits seit vergangenen Sommer. Bei Barclays könnte sich der seit Ende 2015 amtierende Konzernchef Jes Staley, der wegen früherer Verbindungen zum inzwischen verstorbenen US-Banker und Sexualstraftäter Jeffrey Epstein unter Druck steht, zur Hauptversammlung im Mai 2021 zurückziehen, berichtete die FT unter Berufung auf zwei mit den Plänen der Bank vertraute Personen. Staley selbst habe Kollegen gesagt, dass er damit rechne, Barclays Ende 2021 zu verlassen.
Verwaltungsratschef Nigel Higgins suche derzeit nach einem Headhunter, um angesichts mangelnder Alternativen im eigenen Haus einen geeigneten externen Kandidaten zu finden. Bei der mit der Suche beauftragen Firma werde es sich wahrscheinlich um Egon Zehnder oder Spencer Stuart handeln. Der gesamte Prozess könnte sich über ein Jahr hinziehen – sechs Monate zur Suche und dann weitere sechs Monate, die der neue Chef braucht, um alle Verpflichtungen gegenüber seinem alten Arbeitgeber erfüllen zu können. Gesucht werde jemand, der viel Erfahrung im Investmentbanking hat, da die Bank rund die Hälfte ihrer Erträge im Geschäft mit grossen Konzernen, dem klassischen Investmentbanking wie Beratung bei Unternehmensübernahmen sowie an den Finanzmärkten macht.
FCA nimmt frühere Kontakte Staleys zu Epstein unter die Lupe
Ein Sprecher der Bank habe die Informationen nicht kommentiert, hiess es in dem Bericht weiter. Bei der Vorlage der Zahlen für 2019 Mitte Februar war bekannt geworden, dass die britische Finanzaufsicht FCA frühere geschäftliche Beziehungen von Staley mit dem inzwischen verstorbenen US-Unternehmer Jeffrey Epstein unter die Lupe nimmt. Epstein war mit schweren Missbrauchsvorwürfen konfrontiert und hatte im Sommer 2019 in Haft mutmasslich Suizid begangen. Barclays stellte in diesem Zusammenhang klar, dass Staley ausreichend transparent über die Zusammenarbeit mit Epstein informiert habe. Zudem habe Staley seit seinem Amtsantritt als Barclays-Chef Ende 2015 keinerlei Kontakt mehr mit Epstein gehabt. Investoren waren dennoch verunsichert.
Bei der HSBC dauert die Chefsuche unterdessen an. Vergangene Woche hatte die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtet, dass die britische Grossbank möglicherweise Jean Pierre Mustier, der derzeit an der Spitze der italinischen Grossbank Unicredit steht, nach London locken könnte. Die Unicredit teilte aber am Montag mit, dass Mustier an der Spitze des Hauses bleibt. Bei der HSBC hat aber anders als offenbar bei Barclays noch jemand aus dem eigenen Haus Chancen – so könne es auch sein, dass der derzeitige Interimschef Noel Quinn noch länger am Ruder bleibt. Er hatte erst Anfang vergangener Woche den Sparkurs von HSBC forciert – dabei sollen bis zu 35’000 der zuletzt 235’000 Stellen gestrichen werden.
Kampfansage
Quinn begründete dies unter anderem mit der schlechten Entwicklung in einigen Bereichen. Beobachter werteten das als Kampfansage im Rennen um den Spitzenposten bei der grössten europäischen Bank. Er hatte die Position des Konzernchefs im vergangenen Jahr nach dem überraschenden Rücktritt von John Flint kommissarisch übernommen. Flint hatte die Bank nicht lange geführt – er war nur von Februar 2018 bis Sommer 2019 am Ruder. Vor allem seine hohen Investitionen in IT und Wachstum sorgten bei den Anlegern immer wieder für Ärger. Nicht zuletzt deshalb musste die Bank im Herbst ihr Renditeziel begraben.
Verwaltungsratschef Mark Tucker hatte bei Flints Rauswurf gesagt, dass die Suche nach einem neuen Chef sechs bis zwölf Monate dauern könne. In der Mitteilung zu den Jahreszahlen vergangene Woche hiess es nur, dass es nichts Neues zur Chefsuche gebe und der Zeitplan weiter stehe. (awp/mc/ps)