St.Gallen – Das Börsenjahr 2023 dürfte ein Jahr der Chancen werden. Die langfristigen Renditeerwartungen haben sich verbessert. Allerdings gehen die Anlagestrategen von Raiffeisen Schweiz von anhaltend hohen Schwankungen aus, weshalb dem Timing eine besondere Bedeutung zukommt. Nachdem bereits das Jahr 2022 aufgrund der hohen Inflation, der stark steigenden Zinsen und des Kriegs in der Ukraine ganz im Zeichen des Bären stand, dürfte dieser vorerst noch weiter regieren.
Stagflation als Hauptszenario
«Auch wenn die Inflation ihren Höhepunkt erreicht hat, rechnen wir nicht mit einem raschen Rückgang in Richtung der Notenbankziele von 2,0 Prozent. Damit bleibt der geldpolitische Gegenwind bis auf Weiteres bestehen», sagt Matthias Geissbühler, Chief Investment Officer (CIO) von Raiffeisen Schweiz. Zweitrundeneffekte sowie deutliche Lohnerhöhungen machen die Teuerung hartnäckig. Für Europa rechnen die Ökonomen mit einer Jahresinflation von 5,5 Prozent, in den USA dürfte diese bei rund 4,0 Prozent liegen. Vor diesem Hintergrund werden die Notenbanken an ihrer restriktiven Geldpolitik festhalten. Die deutlich gestiegenen Zinsen und die hohe Inflation hinterlassen ihre Spuren: Das Konsumentenvertrauen ist angeschlagen und die Investitionstätigkeit der Unternehmen nimmt ab. Auch die konjunkturellen Vorlaufindikatoren deuten auf eine erhebliche Wachstumsverlangsamung hin. Europa dürfte sich aktuell in einer technischen Rezession befinden. Für die Schweiz und die USA rechnet Raiffeisen im laufenden Jahr mit einem geringfügigen Wachstum. Die Zeichen stehen somit auf Stagflation.
Opportunitäten bei Anleihen
Bei den Obligationen sehen die Anlagestrategen aufgrund des Zinsanstiegs der vergangenen Monate Anlagechancen. Die Anlageklasse, die aufgrund der Negativzinsen in den vergangenen Jahren immer unattraktiver wurde, bietet mittlerweile wieder ansehnliche Renditen. Da ein Ende der Zinserhöhungszyklen absehbar ist, dürfte die Korrektur bei den Anleihen weitgehend abgeschlossen sein. Vor allem im Falle einer Rezession bieten sichere Staatsanleihen einen guten Schutz. Die Korrelation zu den Aktien dürfte sinken und damit treten die Diversifikationseigenschaften von Anleihen wieder in den Fokus. «Innerhalb des Segments empfehlen wir Staats- und Unternehmensanleihen von hoher Qualität. Bei Hochzinsanleihen sind wir zurückhaltend, denn für hochverschuldete Unternehmen ist die Kombination aus höheren Zinsen und einer schwachen Wirtschaftsdynamik toxisch», erklärt Geissbühler.
Volatile Aktienmärkte
Für die Aktienmärkte rechnet Raiffeisen mit anhaltend hohen Schwankungen. Die Bewertungskorrektur aufgrund der deutlich gestiegenen Zinsen ist zwar mittlerweile weitgehend abgeschlossen. Aufgrund der konjunkturellen sowie geopolitischen Unsicherheiten und den trotzdem noch sehr optimistischen Gewinnerwartungen ist im ersten Halbjahr mit weiteren temporären Rücksetzern an den Aktienmärkten zu rechnen. «Die Gewinnschätzungen sind noch immer zu hoch und müssen weiter nach unten revidiert werden. Erst wenn diese Anpassungsprozesse stattgefunden haben, dürften sich bei Aktien interessante Kaufgelegenheiten eröffnen. Bis dahin präferieren wir Titel aus defensiven Sektoren wie Nahrungsmittel, Gesundheit und Konsumgüter für den täglichen Verbrauch. Für Zykliker ist die Zeit noch nicht reif», führt der Raiffeisen-Anlagechef aus.
Immobilienfonds und Gold als attraktive Beimischung, Kryptos weiterhin kein Thema
Bei den Schweizer Immobilienfonds sind die hohen Agios im vergangenen Jahr deutlich geschmolzen. Da Raiffeisen hierzulande von einem anhaltend robusten Immobilienmarkt ausgeht, bleibt diese Anlageklasse attraktiv. «Als Beimischung und zur Diversifikation empfehlen wir zudem Gold. Das gelbe Edelmetall konnte bereits 2022 relativ betrachtet überzeugen und bleibt als Inflations- und Krisenschutz gefragt», erläutert Geissbühler. Zudem wird der Gegenwind, bestehend aus einem starken US-Dollar sowie steigenden Realzinsen, im Jahresverlauf abnehmen. Dass die Notenbanken aktuell mit Rekordkäufen aufwarten, zeigt, dass die Nachfrage nach Gold hoch bleibt. Hinsichtlich Währungen rechnet Raiffeisen aufgrund der Zins- und Inflationsdifferenzen mit einem anhaltend starken Schweizer Franken. Von Investitionen in Kryptowährungen raten die Anlageexperten hingegen weiterhin ab. Der massive Kurseinbruch bei Bitcoin & Co. zeigt, dass es sich um eine liquiditätsgetriebene Blase gehandelt hat, die nun geplatzt ist. «Insgesamt steht uns ein weiteres anspruchsvolles Anlagejahr bevor. Gefragt sind gute Nerven, Geduld und eine Portion Mut. Wer die Opportunitäten entschlossen nutzt, dürfte 2023 belohnt werden», fasst Geissbühler den Ausblick zusammen. (Raiffeisen/mc/pg)