St. Gallen – Die Affäre um den früheren Raiffeisenbanken-Chef Pierin Vincenz fordert das nächste Opfer. Konzernchef Patrik Gisel gibt seinen Posten auf Ende Jahr auf. Damit wolle er die Reputation der Bank schützen, teilte die drittgrösste Bankengruppe der Schweiz am Mittwoch mit.
Gisel war in der Öffentlichkeit wegen der Affäre um das Geschäftsgebaren des früheren Raiffeisen-Chefs Pierin Vincenz als sein damaliger Stellvertreter wiederholt kritisiert worden. «Mit meinem Rücktritt möchte ich die öffentliche Debatte um meine Person und die Bank beruhigen und die Reputation von Raiffeisen schützen», erklärt Patrik Gisel laut Communiqué.
Die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Vincenz wegen möglicher ungetreuer Geschäftsbesorgung. Der Banker, der 17 Jahre an der Spitze von Raiffeisen war, soll bei Firmenübernahmen der Kreditkartengesellschaft Aduno und der Investmentgesellschaft Investnet ein Doppelspiel gespielt und persönlich abkassiert haben. Er sass deswegen während rund 15 Wochen in Untersuchungshaft. Vincenz bestreitet die Vorwürfe.
In diesem Strafverfahren ist Gisel laut Auskunft der Oberstaatsanwaltschaft nicht Beschuldigter. Ob die Behörde auch gegen Gisel ermittelt, gibt sie nicht bekannt, wie sie auf Anfrage von AWP erklärt.
13 Jahre Stellvertreter von Vincenz
Gisel, der Raiffeisen Schweiz seit Oktober 2015 operativ leitet, war während 13 Jahren der Stellvertreter von Vincenz. Dies wurde zu einer Hypothek für seine Glaubwürdigkeit. So soll etwa der geheime Zwischenbericht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) zur «Ära Vincenz» auch Gisel belasten, berichtete etwa die «SonntagsZeitung» vor zehn Tagen.
Der Vorwurf: Laut dem Bericht habe die Raiffeisen-Spitze bis 2015 über eine halbe Milliarde Franken in die Finanzgesellschaft Leonteq gesteckt, was als Klumpenrisiko zu taxieren sei. Die Kredite seien aber nicht wie vorgeschrieben dem Verwaltungsrat vorgelegt, sondern von der Geschäftsleitung direkt bewilligt worden. Vincenz war damals noch Raiffeisen-Chef und Gisel sein Stellvertreter.
Die Raiffeisen hielt seinerzeit dagegen und die Integrität von Patrik Gisel steht für den Verwaltungsrat auch heute ausser Zweifel. Weder das im Juni abgeschlossene Enforcement-Verfahren der Finma, noch die Zwischenresultate der laufenden unabhängigen Untersuchung zur «Ära Pierin Vincenz» würden ihn aufsichtsrechtlich belasten, hält das Institut am Mittwoch fest.
Die Finma hatte Mitte Juni in ihrem Enforcement-Bericht dem Raiffeisen-Verwaltungsrat kollektives Versagen in der Ära Vincenz vorgeworfen. Dieser habe seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen, Interessenkonflikte ungenügend gehandhabt und die Aufsicht über Vincenz vernachlässigt.
Viele Nachfolger gesucht
Um einen geordneten Übergang sicherzustellen, wird nun Gisel seine Funktion bei der Raiffeisenbank noch bis Ende 2018 wahrnehmen. Der Raiffeisen-Verwaltungsrat hat den Auswahlprozess für einen neuen Vorsitzenden der Geschäftsleitung bereits eingeleitet.
Die Suche erstreckt sich dabei nicht nur auf einen neuen Konzernchef. Anfang März hatte bereits Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm wegen der «Affäre Vincenz» den Bettel hingeschmissen. Seither wird das Aufsichtsgremium interimistisch von Vizepräsident Pascal Gantenbein geleitet.
Überhaut steht dem Raiffeisen-Verwaltungsrat eine grössere Erneuerung bevor. Die Zahl der Mitglieder ist zuletzt von elf auf sieben geschrumpft. Bei der Delegiertenversammlung vor vier Wochen schieden wie geplant Edgar Wohlhauser, Werner Zollinger und Franco Taisch aus. Darüber hinaus verzichteten überraschend auch die Zürcher Alt-Regierungsrätin Rita Fuhrer und der Tessiner Politiker Angelo Jelmini auf eine Wiederwahl in den Verwaltungsrat.
Gemäss den aktuellen Plänen werden zudem im Herbst 2018 Daniel Lüscher und Urs Schneider und im Sommer 2019 Philippe Moeschinger aus dem Verwaltungsrat zurücktreten. Neu in das Gremium gewählt wurde zuletzt nur Thomas Rauber und Rolf Walker. (awp/mc/pg)