Frankfurt am Main – Die Zinstalfahrt an den internationalen Anleihemärkten hat sich am Freitag nach neuerlichen Konjunkturängsten beschleunigt fortgesetzt. In Deutschland fiel die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen erstmals seit zweieinhalb Jahren wieder unter null Prozent. In Japan und der Schweiz, wo die entsprechenden Zinssätze schon länger negativ sind, drifteten sie noch tiefer unter die Nulllinie. In beiden Ländern wurde der niedrigste Stand seit dem Jahr 2016 erreicht.
In anderen grossen Volkswirtschaften wie Australien oder Kanada fielen die Renditen ebenfalls auf mehrjährige Tiefstände. In Neuseeland fiel der Zins für zehnjährige Staatsanleihen erstmals unter die Marke von zwei Prozent.
Griechenland und Italien als Ausnahmen
In der Eurozone gingen die Renditen für Staatsanleihen in vielen Ländern deutlich zurück. Ausnahmen waren Italien und Griechenland, die sich in den vergangenen Wochen allerdings schon häufiger gegen den Markttrend entwickelt haben. In den USA liegt der Zins für zehnjährige Staatsanleihen mit knapp 2,5 Prozent zwar relativ hoch. Das aktuelle Niveau ist dennoch der niedrigste Stand seit Anfang 2018.
Minuszins in Deutschland
In Deutschland fiel der Zins für zehnjährige Bundesanleihen, die an den Märkten als besonders sichere Wertpapiere gelten, bis auf minus 0,01 Prozent. Es ist das erste Mal seit Oktober 2016, dass der Zins wieder negativ ist. Fallende Renditen sind Folge einer hohen Nachfrage nach Wertpapieren, die unter Anlegern als sicher gelten. Die steigenden Anleihekurse drücken die Effektivverzinsung der Papiere und damit auch die Renditen.
Schwache Konjunkturdaten
Auslöser für den neuerlichen Zinsrückgang waren schwache Konjunkturdaten aus der Eurozone. Ein vielbeachteter Konjunkturindikator des britischen Instituts Markit ging im März zurück. Vor allem Zahlen aus der Industrie enttäuschten und deuten eine Rezession des wichtigen Sektors an. In den beiden grössten Volkswirtschaften der Eurozone, Deutschland und Frankreich, trübte sich die Stimmung deutlich ein. Besonders schwach fielen die Werte für die deutsche Industrie aus. Die Dienstleister stützten dagegen die Entwicklung.
Sorgen um chinesische Volkswirtschaft
Die schwachen Wirtschaftsdaten aus dem Euroraum folgen auf eine Reihe enttäuschender Daten aus anderen grossen Wirtschaftsräumen. Besonders besorgt sind Fachleute um China, die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Dort schwächt sich das Wachstum seit längerem beständig ab. Die chinesische Regierung versucht, mit konjunkturellen Massnahmen wie Steuersenkungen gegenzusteuern. Dagegen wächst die weltweit grösste Volkswirtschaft USA noch relativ solide. Die Konjunktur hat sich aber auch dort zuletzt abgeschwächt.
Notenbanken schwenken in Krisenmodus ein
Neben der allgemeinen Konjunkturlage spielt die Geldpolitik der grossen Notenbanken eine wichtige Rolle für das Zinsniveau. Angeführt von der amerikanischen Notenbank Fed haben in den vergangenen Wochen mehrere grosse Zentralbanken einen wesentlich vorsichtigeren Kurs eingeschlagen. Die Europäische Zentralbank (EZB) schliesst Zinsanhebungen in diesem Jahr faktisch aus. Am Mittwoch signalisierte die US-Notenbank, dass sie für dieses Jahr ebenfalls keine Zinsanhebung mehr erwartet. Die Bank of England ist wegen des anstehenden Brexit ohnehin besonders vorsichtig.
Es wird erwartet, dass viele kleinere Notenbanken den grösseren Zentralbanken in ihrem Kurs folgen. Zum Teil haben sie das auch schon getan, indem sie entweder andeuteten, auf Zinsanhebungen zu verzichten oder Zinssenkungen in Aussicht stellten. Eine der wenigen Ausnahmen ist die norwegische Zentralbank, die ihren Leitzins am Donnerstag unbeirrt zum zweiten Mal seit September anhob und sogar weitere Anhebungen in Aussicht stellte.
Politische Risiken
Eine entscheidende Rolle für die grosse Vorsicht der Anleger spielen politische Risiken. Hierzu zählen die Gefahr eines ungeordneten Ausstiegs Grossbritanniens aus der Europäischen Union, der ungewisse Fortgang des Handelsstreits zwischen den USA und China oder die konjunkturelle und politische Entwicklung in Italien. Auch die anstehenden EU-Parlamentswahlen in Europa tragen zu einer hohen Unsicherheit bei, weil populistischen Kräften deutliche Stimmengewinne zugetraut werden. (awp/mc/pg)