Von François Savary, Chief Strategist Reyl & Cie. (Foto: Screenshot Bloomberg)
Genf – Der Monat August 2015 wurde in erster Linie von China geprägt. Die chinesischen Turbulenzen haben das geschafft, was der griechischen Krise nicht gelungen ist: Die US-Aktienkurse korrigierten erstmals seit drei Jahren und gaben 10 Prozent ab. Wird China die Entwicklung nun dauerhaft prägen und der Hausse der internationalen Aktien, die seit 2009 anhält, ein jähes Ende setzen? Jeder scheint sich schon seine Meinung gebildet zu haben, wir sollten allerdings abwarten, bevor wir eine kategorische Haltung einnehmen. Trotz der allgemeinen Ungewissheit ist klar, dass die chinesischen Turbulenzen die Wirtschaftsentwicklung im kommenden Jahr ungünstig beeinflussen werden. Das bedeutet nicht, dass China unbedingt eine harte Landung bevorsteht. Unseres Erachtens beträgt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios rund 25 Prozent. Sie ist damit sehr viel niedriger als die des Hauptszenarios (75 %), das auf der Fähigkeit Pekings aufbaut, die Konjunktur zu fördern und zu stabilisieren.
Dennoch müssen wir realistisch bleiben und den Folgen der jüngsten Krise für die Weltwirtschaft Rechnung tragen. Die allmähliche Flexibilisierung des Renminbi stellt die Schwellenländerwährungen und -anlagen vor eine beachtliche Herausforderung, denn volatile Devisen hemmen die internationalen Handelsströme und behindern das Wachstum. Zudem erschweren die Sorgen um die aufstrebenden Märkte die Finanzierung in diesem Wirtschaftsraum. Schwellenländer wie etwa Russland und Brasilien hatten bereits mit stärkerem Gegenwind zu kämpfen und könnten in den kommenden Quartalen weiter an Fahrt verlieren. Weltweit wäre dann eine Desynchronisierung der Wirtschaftszyklen zu beobachten, das heisst ein Aufschwung in den Industriestaaten und ein Abschwung in den Schwellenländern.
«Im historischen Vergleich bedeutet ein desynchronisierter Zyklus mit hoher Wahrscheinlichkeit auch suboptimales Wachstum.»
François Savary, Chief Strategist Reyl & Cie AG.
Im historischen Vergleich bedeutet ein desynchronisierter Zyklus mit hoher Wahrscheinlichkeit auch suboptimales Wachstum. Schliesslich leidet das Wachstum der Industrienationen unter der Konjunkturabkühlung in den Emerging Markets, zum Beispiel auf der Ebene des Exports. Vor diesem Hintergrund ist wohl nicht anzunehmen, dass sich das Wachstum 2016 «normalisiert». Deshalb sollten wir den Ausblick der Weltwirtschaft bereits heute nach unten korrigieren und die Wahrscheinlichkeit negativer Szenarien (Rezession, Deflation) in unseren Konjunktureinschätzungen erhöhen. Unsere fünf möglichen Weltwirtschaftsszenarien haben wir auf drei reduziert: suboptimales Wachstum, Rezession und Deflation. Suboptimales Wachstum kommt uns am wahrscheinlichsten (80 %) vor.
Fragezeichen USA
Seit den Turbulenzen in den Schwellenländern, allen voran in China, hängen wir wieder von der Aktivität in den USA ab, wo das BIP-Wachstum des zweiten Quartals kürzlich mit 3,7 Prozent nach oben korrigiert wurde. Umso besser, sagen wohl die meisten. Ja, doch steckt der Teufel leider nur allzu oft im Detail. Denn im ersten Halbjahr wurde auch der höchste Anstieg der Lagerbestände seit 1947 verzeichnet. Dieser exzessive Aufbau könnte das Wachstum der Aktivität jenseits des Atlantiks in den kommenden Quartalen belasten. Die USA sind voraussichtlich nicht fähig, die ausbleibende Nachfrage der aufstrebenden Welt wettzumachen, dürfte doch der Dollar an allen Devisenmärkten stark bleiben. Obwohl sich in Europa eine erfreulichere Lage abzeichnet, sind wir weiterhin der Ansicht, dass sich das Wachstum angesichts der derzeitigen Konjunkturdaten nicht beschleunigen kann. Wenn wir bedenken, dass wir Ende letzten Jahres noch eine Rezession befürchteten, ist ein verhaltener Aufschwung vielleicht gar nicht so schlecht.
Angesichts der Ungewissheit infolge der chinesischen Krise, deren Wogen sich erst in einiger Zeit glätten werden, und der noch nicht vorhersehbaren Auswirkungen auf das Vertrauen der Marktteilnehmer, müssen wir die Wirtschaftsprognosen nach unten korrigieren. Das allgemeine Umfeld mahnt zur Vorsicht bei Aktien. Unseres Erachtens ist eine strategische Übergewichtung der riskanten Titel nicht mehr gerechtfertigt. Vernünftiger ist ein neutrales Engagement, bis sich die weltweite Wirtschaftsentwicklung genauer abzeichnet. (Reyl & Cie/mc/ps)