Genf – Am Ende eines jeden Jahres veröffentlichen Finanzexperten ihre Prognosen für das kommende Jahr. Diese werden im Allgemeinen von breiten makroökonomischen und politischen Trends getrieben, die alle Anlageklassen beeinflussen. Nachdem 2018 ein Jahr voller Überraschungen und Wendungen war: Was wird aus 2019? Wir identifizieren drei Hauptthemen, die uns begleiten und einen grossen Einfluss darauf haben werden, was die Finanzmärkte im nächsten Jahr für uns bereithalten.
Das Ende des US-Exzeptionalismus
Das Jahr 2018 war geprägt von dem aussergewöhnlichen Verhalten der Vereinigten Staaten gegenüber dem Rest der Welt, sowohl aus wirtschaftlicher als auch aus börsenpolitischer Sicht. Das Wachstum in den USA wurde insbesondere durch den im Dezember 2017 verabschiedeten Steueranreiz getrieben, der das Vertrauen der Anleger stärkte und rund 10% zum erwarteten Wachstum des EPS von 24,2% beitrug [1]. Im nächsten Jahr wird die stimulierende Wirkung von Steuersenkungen nachlassen und die finanziellen Bedingungen werden sich weiter verschärfen, so dass sich die Wachstumsdifferenz zwischen den USA und dem Rest der Welt verringert. Strategen prognostizieren bereits eine Konvergenz des Unternehmensgewinnwachstums in den Regionen (ausser Japan) um 8% bis 10% [2]. Die Prämissen einer Verlangsamung der US-Wirtschaft beginnen sich bereits mit dem Rückgang des Immobilienmarktes und der Verschlechterung der Frühindikatoren für die Produktionstätigkeit zu zeigen. Der Konsens besteht darin, dass das BIP-Wachstum von 2,9% im Jahr 2018 auf 2,6% im Jahr 2019 und 1,9% im Jahr 2020 zurückgehen dürfte. Nach Schätzungen von Goldman Sachs sollte die US-Wirtschaft jedoch relativ immun gegen die negativen Folgen des Handelskrieges mit China bleiben [3].
Andererseits ist in der Eurozone die Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bereits weit fortgeschritten und ein Wendepunkt wird wahrscheinlich bald eintreten. Was China betrifft, so scheinen die Behörden bereit zu sein, die Wirtschaft zu unterstützen, um eine weiche Landung und eine minimale Wachstumsrate von 6,1 % zu gewährleisten.
Vom «politischen Lärm» zur Politik als bestimmender Faktor an den Finanzmärkten
Investoren in europäische Anlagen sind seit langem an den politischen «Lärm» gewöhnt, der die Unsicherheit erhöht und die Renditen belastet. Wir stellen jedoch fest, dass der politische Faktor in diesem Jahr in Europa an Intensität zugenommen hat, bis hin zu einer Strukturierungskraft auf den Finanzmärkten. Politische Unsicherheiten haben das Vertrauen und die Stimmung geschwächt und die im ersten Quartal 2018 einsetzende Konjunkturabschwächung verschärft. Für das nächste Jahr erwarten wir eine Fortsetzung oder sogar eine Zunahme der politischen Unsicherheit. Die tatsächliche Scheidung von Grossbritannien (29. März) oder die Verlängerung der Übergangszeit wird zweifellos zu Stresssituationen auf den Märkten führen. Was die italienische populistische Regierung betrifft, so ist es wahrscheinlich, dass sie nicht das ganze Jahr über bestehen wird [4]. Bei den Europawahlen (23. – 26. Mai) besteht erstmals eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Anti-EU-Parteien genügend Sitze gewinnen und den Gesetzgebungsprozess stark stören werden. Diese Wahlen werden somit bereits als Referendum über das europäische Projekt durchgeführt. Die Auswirkungen könnten weit über die Versammlung hinaus auf die Ebene der europäischen Institutionen und der nationalen Politiken reichen. Schliesslich könnte die Ernennung des Nachfolgers von Mario Draghi zum Präsidenten der EZB zu einem für die europäische Geldpolitik entscheidenden Zeitpunkt von entscheidender Bedeutung sein.
In den USA scheint der stärkste Antrieb von Präsident Trump seine Ambitionen zu sein, die Wahl für eine zweite Amtszeit zu gewinnen. Seine Chancen hängen im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: seiner Beliebtheitsrate und dem Zustand der Wirtschaft zum Zeitpunkt der Wahlen im November 2020 [5]. Donald Trump wird das Notwendige tun, um die Wirtschaft zu unterstützen und eine Rezession in der Zwischenzeit zu vermeiden. Wie dieses Ziel die Entwicklung der Handelsbeziehungen mit China beeinflussen wird, bleibt jedoch ungewiss. Auf der einen Seite erlaubt es dem US-Präsidenten, seine Beliebtheit zu erhöhen, wenn er sich weiterhin gegen China behauptet. Auf der anderen Seite will er Kollateralschäden für die Wirtschaft minimieren.
Sanfte Landung der chinesischen Wirtschaft
Ende 2016 haben die chinesischen Behörden eine Reihe von Massnahmen zur Verlangsamung von Krediten und Schulden ergriffen, um die Übertreibungen in der Wirtschaft abzubauen. Das Kreditwachstum begann sich 2017 zu verlangsamen und bremste die Geldmenge und insbesondere die Investitionen, die die Grundlage des chinesischen Wachstums bilden. Mit der verzögerten Übertragung dieser restriktiven Massnahmen verlangsamte sich das Wachstum von 6,9 % im Jahr 2017 auf 6,6% im Jahr 2018. Dieser Trend dürfte sich 2019 mit einem erwarteten Wachstum von 6,2% fortsetzen. Der Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten und seine Auswirkungen auf das Vertrauen und die Stimmung haben ebenfalls dazu beigetragen, die innenpolitischen Schwächen zu verschärfen.
Dennoch haben die chinesischen Behörden, pragmatisch und reaktionsschnell, die Risiken für die Wirtschaft schnell erkannt. Sie haben in der zweiten Jahreshälfte 2018 eine Reihe von steuerlichen und finanziellen Massnahmen ergriffen, um die Binnennachfrage anzukurbeln. Obwohl das Ziel des strukturellen Schuldenabbaus beibehalten wird und kein massiver Konjunkturplan geplant ist, bleibt die chinesische Regierung entschlossen, die Wirtschaft zu unterstützen. Der Fünfjahresplan 2016 – 2020 basiert nämlich auf einer durchschnittlichen realen BIP-Wachstumsrate von mindestens 6,5% im Laufe des Zeitraums, was eine minimale Wachstumsrate von 6,1% für 2019 und 2020 bedeutet, um das Ziel zu erreichen. Sollten sich die Handelsspannungen mit den Vereinigten Staaten fortsetzen und verschärfen, würden die Wachstumskosten nach verschiedenen Schätzungen auf 0,5% begrenzt und durch die bereits eingeleiteten Konjunkturmassnahmen gemildert. Peking wird die schwierige Aufgabe haben, das empfindliche Gleichgewicht zwischen der Unterstützung der schuldengefährdeten Wirtschaft und dem Schuldenabbau auf die Gefahr hin zu gewährleisten, das Wachstum zu belasten. Sollte sich die Wirtschaft weiter abschwächen, hat die chinesische Regierung dennoch Handlungsspielraum, um die Anpassungspolitik zu verstärken.
Wie positioniert man Portfolios?
In den USA wird erwartet, dass die Kombination aus den verschärften finanziellen Bedingungen und der Verlangsamung des Konjunkturzyklus die hoch verschuldeten Unternehmen belasten und zu sinkenden Ratings und steigenden Ausfallraten führen wird. Vorsicht geboten ist in Bezug auf US-Kredite, zumal US-Unternehmen ausserhalb der Finanzbranche einen Schuldenstand (Nettoverschuldung/Ebitda) haben, der deutlich über dem Höchststand vor der Krise im Jahr 2007 liegt. Vorsicht walten lassen sollte man auch bei US-Aktien, die aufgrund der Verlangsamung des Gewinnwachstums und der möglichen Abwärtsrevision der Gewinne in Schwierigkeiten geraten könnten. Darüber hinaus wird die Struktur des US-Marktes, der stark von zyklischen Branchen und Wachstumsunternehmen dominiert wird, in einem schwierigeren wirtschaftlichen Umfeld leiden. Ein qualitativ hochwertiges Unternehmensrisiko mit einer starken Bilanz, stabilen Margen, hoher Rückzahlungsrendite und geringerer Volatilität könnte es den Portfolios dennoch ermöglichen, in diesen turbulenten Gewässern besser zu navigieren. In Europa erwarten wir zwar einen Konjunkturabschwung im Laufe des Jahres und die relative Bewertung europäischer Aktien bleibt attraktiv. Aber wir zögern, die politische Risikoprämie zu akzeptieren. Schwellenländer-Aktien werden a priori entsprechend der Entwicklung des US-Dollars, des Liquiditätsabzugs auf globaler Ebene und der chinesischen makroökonomischen Politik schwanken. Daher wird ein hohes Mass an Agilität empfohlen. Manager von Portfolios mit mehreren Anlageklassen tun gut daran, ihre Bemühungen im nächsten Jahr auf die taktische Asset Allokation zu konzentrieren. (REYL/mc/ps)
1 Quellen: IBES, JP Morgan Equity Strategy, 10. Dezember 2018
2 USA 8.6%, Europa 9%, Schwellenländer 9.9%, Japan 3.4%. Quelle: IBES, JP Morgan JP Morgan Equity Strategy, 10 décembre 2018
3 Die Kosten werden mit 0,1% des BIP-Wachstums im schlimmsten Fall geschätzt. Quellen: The Trade War: Bigger Numbers, Same Conclusion, Goldman Sachs Economics Research, 5. Oktober 2018
4 Italien kennt seit der Ausrufung der Republik 1946 60 Regierungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 361 Tagen.
5 Kein US-Präsident hat versucht, während einer Rezession wiedergewählt zu werden, seit Jimmy Carter seine Wiederwahl gegen Donald Reagan verlor.