Genf – Jenseits der Gesundheitskrise, dem menschlichen Drama, dem Mut der Ärzteschaft sowie den massiven Massnahmen der Regierungen und Zentralbanken zur Vermeidung einer Kette von Konkursen offenbart diese Pandemie mehrere grundlegende Trends. Welche tiefgreifenden Veränderungen wird diese Krise mit sich bringen? Wird, wie die Einen glauben, das gegenwärtige Wirtschaftssystem völlig in Frage gestellt oder folgt eine Rückkehr zum «business as usual»? Aus der heutigen beispiellosen Situation lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen. Vor allem zwei Tendenzen scheinen sich abzuzeichnen: die Ökonomie von Hygiene und Gesundheit für alle und ein Bruch in unseren Lebensgewohnheiten, insbesondere in unserem Verhältnis zu Zeit und Raum.
Investitionen in die Gesundheits- und Hygienewirtschaft
Diese Krise erinnert uns daran, dass Hygiene ein wichtiges wirtschaftliches, soziales, kulturelles und politisches Thema ist. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO)[1] haben mehr als 45% der Weltbevölkerung keinen Zugang zu wirksamen Hygieneangeboten und mehr als 40% haben keine Möglichkeit, sich zu Hause die Hände zu waschen. Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keine sanitären Einrichtungen. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bezieht ihre Nahrungsmittel auf unhygienischen Grossmärkten. Mindestens 10% der Weltbevölkerung isst Nahrungsmittel, die mit Abwasser bewässert werden. In vielen Ländern ist Ausgangssperre eine Massnahme, die unmöglich angewendet werden kann, vor allem in einigen überfüllten und allzu oft ungesunden Stadtvierteln.
Es wäre daher besonders wichtig und relevant, in die langfristige Wirtschaftlichkeit von Hygiene und Gesundheit zu investieren. Eine WHO-Studie von 2012[2] zeigte, dass jeder in Hygiene investierte Euro eine Rendite von 5 Euro bringt, indem vorzeitige Todesfälle und Gesundheitsausgaben reduziert und die Produktivität erhöht werden. Ein so einfaches Hygienekonzept wie das Händewaschen wird den Kindern nicht immer von den Eltern beigebracht, sondern oft erst in der Schulen gelehrt. Eine UNICEF-Studie von 2017[3] in China weist darauf hin, dass die Verteilung von Seife in Grundschulen gewisse Krankheiten und auch die Abwesenheit von Schülern reduzieren würde.
Der Ursprung dieser Krise macht auch deutlich, dass die globale Erwärmung, der Rückgang der biologischen Vielfalt und die massive Entwaldung die Ökosysteme destabilisieren und in den kommenden Jahren zu einer Vermehrung tropischer Pandemien führen werden, weshalb die globalen Hygienemassnahmen massiv und nachhaltig verstärkt werden müssen.
Investitionen in diese Sektoren können über börsenkotierte Unternehmen getätigt werden. Dazu gehören mehrere pharmazeutische Laboratorien, die auf der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 sind, Hersteller von medizinischen Geräten und Tests. Dann auch Unternehmen, die auf Hygieneprodukte spezialisiert sind oder die für das Recycling dieser Produkte sorgen – die noch zu oft Einwegverpackungen aus Kunststoff verwenden – oder Infrastrukturbereiche wie Abwassermanagementnetze. Es ist zu hoffen, dass bestimmte Länder, darunter die USA, in denen ein grosser Teil der Bevölkerung schlecht oder nicht versichert ist, sich der Bedeutung von Investitionen in universellere und gerechtere Krankenversicherungssysteme bewusst werden.
Bruch in unseren Lebensgewohnheiten
Wird sich mit dem Abklingen der Epidemie ein neues Paradigma für die Organisation der Arbeit und unserer Lebensweise herausbilden?
Wir werden in der Lage sein, das Beste aus den neuen Praktiken zu machen, die diese Krise uns auferlegt hat: mehr Zeit mit unserer Familie und in der Natur verbringen, kochen und Zeit am Tisch verbringen, die am besten geeignete Art zu Reisen wählen. Die Entdeckung der Vorzüge der Telearbeit wird es unter anderem ermöglichen, die Reisen in überlasteten öffentlichen Verkehrsmitteln zu reduzieren und damit den Verbrauch umweltschädlicher Kraftstoffe zu reduzieren. Diese Krise hat es uns auch ermöglicht, die neuen Technologien besser zu nutzen – um sich zu informieren, zu unterrichten und zu lernen, für die Diagnose und die Behandlung und um sich zu bilden. Wenn es jetzt erforderlich ist Abstand zu halten, erlaubt uns die digitale Technologie Verbindungen aufzunehmen. Die Pandemie wird viele Hindernisse beseitigen und die digitale Transformation der Wirtschaft beschleunigen.
Eine Reihe von börsenkotierten Unternehmen können in diese neuen strukturellen Trends investieren: Softwareunternehmen, die Telearbeit erleichtern, Unternehmen der Fernmedizin und des Fernunterrichts sowie Anbieter im Zusammenhang mit Infrastruktur und Software für die Cloud. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis die Akteure an der Wall Street Unternehmen bevorzugten, die Anhänger des neuen Mottos «stay at home» sind. Es gibt mehrere Unternehmen, die direkt von dieser Krise profitieren, so unterschiedliche wie Netflix, Zoom, Slack, Activision Blizzard, New York Times, Spotify, Sonos, Citrix, Amazon, Blue Apron, Alibaba oder Campbell Soup. Viele von ihnen werden auch ihre Versorgung besser sichern müssen, indem sie einen Teil ihrer Produktion verlagern und ihre Lieferkette überdenken. Schliesslich könnten die im traditionellen Einzelhandel verloren gegangenen Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen, wenn die Epidemie die Verlagerung auf den Online-Vertrieb beschleunigt.
Letztlich zeigt diese Krise viele strukturelle Probleme in unseren Volkswirtschaften auf. Sie wird eine Beschleunigung des Wandels ermöglichen. Das sind Veränderungen, über die wir jetzt nachdenken und in die wir langfristig investieren können! Diese Krise könnte uns auch dazu veranlassen, eines der wenigen Dinge auf der Welt ernst zu nehmen, das wirklich selten ist, das wirklich einen Wert hat: Zeit. Die Zeit unseres täglichen Lebens, die wir nicht länger durch sinnlose oder nutzlose Aktivitäten verlieren sollten. Schliesslich der Gewinn für unsere Zivilisation, die durch die Förderung eines grösseren Wohlwollens, der Solidarität mit den schwächsten Bevölkerungsgruppen, der Zusammenarbeit zwischen den Ländern und eines grösseren Respekts vor unserer Umwelt im weitesten Sinne bewahrt werden kann. (REYL/mc/ps)
1 World Health Organization – Principaux faits – www.who.int/fr/news-room/fact-sheets/detail/sanitation
2 World Health Organization – Private Organizations for Patient Safety (POPS) – May 2012 – www.who.int/gpsc/pops/en/
3 UNICEF – Global Handwashing Partnership – 2017 – https://globalhandwashing.org