von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Toolen, Schweizerinnen und Schweizer haben über Invest-Plattformen und Onlinebanken während der Coronapandemie massiv mehr Geld angelegt. Spüren Sie dies auch bei Investart?
Richard Toolen: Ja, unbedingt, wir haben während der Pandemie deutlich mehr Investitionsaktivität auf unserer Plattform bemerkt.
Die Kleinsparer als potenzielle Anleger werden umworben wie nie zuvor. Wie werten Sie den aktuellen Trend, fast jede und jeden zum Anlegen zu bringen?
Erlauben Sie mir, dieser Aussage nicht zuzustimmen. Die Kosten für das Onboarding von Kunden und die Compliance sind hoch, unabhängig von der Höhe des Kundenvermögens. Daher neigt die Mehrheit der Finanzinstitute dazu, kleinere Sparer zugunsten grösserer Konten zu vernachlässigen, an denen sie mehr verdienen können. Dies äussert sich z.B. in hohen Mindestanforderungen an das Konto oder hohen Gebühren für kleinere Konten. Nur wenige interessante Plattformen, darunter auch unsere Plattform investart.ch, konzentrieren sich auf kleinere Sparer. In Anbetracht der grossen Reichweite dieser Plattformen sind sie meist recht prominent, was wiederum den Eindruck erweckt, dass sich solche Plattformen ausbreiten.
Ausserdem sollten wir zwischen dem Trend, jeden zum Investieren zu bringen, und dem Trend, jeden zum Spekulieren zu bringen, unterscheiden. Beide Trends sind vorhanden, aber beim ersten geht es um langfristiges, diszipliniertes Investieren, während es beim zweiten Trend darum geht, bestimmte Aktien (oder Bruchteile von Aktien) zu kaufen, um kurzfristig grosse Gewinne damit zu erzielen. Wir befürworten den Trend des Investierens, da der Trend, jeden zum Spekulieren zu bringen, in mehr Marktvolatilität, Finanzkrisen und mehr Finanzregulierung enden kann.
«Wir sollten zwischen dem Trend, jeden zum Investieren zu bringen, und dem Trend, jeden zum Spekulieren zu bringen, unterscheiden.»
Richard Toolen, CEO und Mitgründer Investart
Sie streben für die von Investart verwalteten Portfolios bestmögliche Renditen bei individuellen Risikoniveaus an. Welche Investitions-Philosophie verfolgen Sie dabei?
In den von Investart verwalteten Portfolios verwenden wir eine Reihe von Finanzmodellen mit dem Ziel, die potenzielle Rendite pro Risikoeinheit zu maximieren. Unsere zugrundeliegenden Anlageprinzipien sind: Diversifizierung, Auswahl passiver Instrumente, Buy & Hold, langfristiges Investieren und Minimierung der Anlagekosten.
Was wissen Sie über die Motive «Ihrer» Anleger?
Die Mehrheit unserer Kunden ist in den 30er und 40er Jahren, und ihre Hauptmotive hängen mit ihrem Lebenszyklus zusammen: Es geht hauptsächlich darum, entweder Kapital für die Rente oder für ihre Kinder anzusammeln.
Themen wie Altersvorsorge oder Frühpensionierung haben also eine grosse Bedeutung für Millennials und Generation Z?
Ja, Frühpensionierung ist ein grosses Thema für die Millenials und Gen Z! Das Paradigma, bis zum offiziellen Rentenalter zu arbeiten, ist gebrochen, wie eine unserer jüngsten Kundenumfragen gezeigt hat. Die Leute wollen das Leben geniessen – reisen, sich ihren Hobbys widmen, einen flexibleren Lebensstil führen – weit vor 60 oder in manchen Fällen sogar vor 50.
«Frühpensionierung ist ein grosses Thema für die Millenials und Gen Z! Das Paradigma, bis zum offiziellen Rentenalter zu arbeiten, ist gebrochen, wie eine unserer jüngsten Kundenumfragen gezeigt hat.»
Sie haben in einer Umfrage auch die Einstellung zu Homeoffice und Arbeitspensen der Millennials ermittelt. Auch Corona scheint die Einstellung zur Arbeit stark verändert zu haben…
Genau, die Umfrage hat gezeigt, dass Millennials mehr Flexibilität bevorzugen, wenn es um den Arbeitsort oder die Arbeitszeiten geht. Die Pandemie hat ihnen diese Flexibilität verschafft, und die Menschen wollen sie nicht aufgeben. Tatsächlich würde etwa die Hälfte der Umfrageteilnehmer lieber ihren Job kündigen, als gezwungen zu sein, 100 % im Büro zu arbeiten.
Frühpensionierung ist gerade in Anbetracht der Umverteilung im Rentensystem von Jung zu Alt ein herausforderndes Ziel. Sind sich Millennials und Generation Z der Schwierigkeiten bewusst?
Ja, wir stellen fest, dass Millenials und Gen Z nicht zögern, jedes Detail des Rentensystems zu erkunden. Sie sind nicht naiv und verlassen sich auf ihren Verdienst und ihre Ersparnisse für die Frühpensionierung.
Zur schwierigen Finanzierung gesellen sich andere, tendenziell höhere Ansprüche. Privat, auf eigene Initiative und online zu investieren sehen also viele nach 1980 Geborene als erfolgsversprechende Möglichkeit?
Online zu investieren ist jetzt Mainstream. Offline zu investieren wird immer schwieriger, denn um einen persönlichen Banker oder Anlageberater zu haben, braucht man ein grosses Vermögen, typischerweise über 1 Million Franken. Die Frage ist also eher: Sollen diese Leute auf eigene Faust investieren oder lieber einer Plattform, z.B. einem Robo-Advisor, die Allokation und Anlage ihres Geldes anvertrauen? Die Antwort ist nicht einfach, denn sie hängt wirklich vom finanziellen Wissensstand und der Erfahrung des Anlegers ab. Bei Investart vertraut die Mehrheit der Kunden darauf, dass wir ihr Geld im Rahmen unseres Robo-Advisory-Angebots verwalten. Es gibt aber auch viele Kunden, die beides tun: Sie geben uns einen Teil des Vermögens zur Verwaltung, während sie den anderen Teil selbst verwalten und ihre eigenen Anlageideen auf unserer Plattform umsetzen.
«Bei Investart vertraut die Mehrheit der Kunden darauf, dass wir ihr Geld im Rahmen unseres Robo-Advisory-Angebots verwalten.»
Sie raten, Ersparnisse zu investieren. Das Bankkonto wird also immer mehr nur zum «Valet-Parking» des Gehalts?
Das Bankkonto zahlt keine Zinsen und wird dies auch für eine sehr lange Zeit nicht tun. In der Tat zahlen grosse Beträge auf Bankkonten heutzutage negative Zinsen. Es ist also ein gutes Instrument, um Gehalt zu parken und Zahlungen zu leisten, aber wenn man Ersparnisse wachsen sehen will, ist Investieren die Antwort.
Der Anlagehorizont beläuft sich bei Millennials oder der Generation Z auf mehrere Jahrzehnte. Was empfehlen Sie Anlegern, denen vielleicht noch 10-15 Jahre bis zur ordentlichen Pensionierung bleiben?
Naja, es ist auch wichtig, dass die Millenials und Gen Z erkennen, dass sie einen langen Anlagehorizont haben. Denn viele spekulieren immer noch auf Kryptowährungen und Meme-Aktien, als gäbe es kein Morgen. Und für diejenigen, die mit einem langen Anlagehorizont im Hinterkopf investieren wollen, empfehlen wir, keine Angst zu haben, mehr Aktienrisiko einzugehen. Aktienkurse sind kurzfristig volatil, aber langfristig berechenbarer und weniger volatil, während sie gleichzeitig ein gutes Renditeniveau bieten. Schliesslich sind Aktien nichts anderes als die Unternehmen, die die Waren und Dienstleistungen produzieren, die wir konsumieren. Und im Grossen und Ganzen verkaufen sie jedes Jahr mehr von diesen Gütern und Dienstleistungen.
Investart bietet verschiedene Anlagethemen und Anlageklassen, wobei jede Anlage durch einen entsprechenden börsengehandelten Fonds (ETF) repräsentiert wird. Um wie viele ETFs handelt es sich und welche Themen sind derzeit besonders gefragt?
Derzeit bieten wir über 100 Anlagen an, die jeweils durch einen ETF repräsentiert werden, um jedem Anlegerbedürfnis und Geschmack gerecht zu werden. Wir fragen unsere Kunden regelmässig, welche weiteren Anlagen sie gerne auf der Plattform sehen würden, und fügen diese Anlagen hinzu.
Inwieweit lässt sich die Anlage selbst zusammenstellen oder übernimmt diese Aufgabe Investart anhand der Pesonenangaben?
Mit Investart ist beides möglich: Man kann uns die Gestaltung und Verwaltung der Anlagen überlassen oder selbst zusammenstellen und verwalten.
Die Plattform ist vor allem auf Anfänger ausgerichtet. Inwieweit unterscheidet sie sich von Plattformen für professionelle Anleger?
Wir versuchen, das Investieren mit dem Kauf einer Jeans in einem Online-Store zu vergleichen. Sie müssen sich nicht mit den Feinheiten des Investierens auskennen (z. B. was eine ISIN, Valorennummer, limitierte Order, Market Order ist oder die Anzahl der Aktien berechnen können), um auf Investart zu investieren. Und wir sind überzeugt, dass so die Zukunft des Investierens aussieht. Wenn Sie ein Auto mit Automatikgetriebe fahren, müssen Sie ja auch nicht wissen, wie das Getriebe funktioniert oder welcher Gang gerade eingelegt ist.
Auch Profis können unsere Plattform nutzen (und tun dies auch), da wir alle Details zu jedem Investment detailliert aufführen. So können sie das Automatikgetriebe mit allen Vorteilen des Schaltgetriebes geniessen.
Herr Toolen, besten Dank für das Interview.