Robert Jakobs Wirtschaftslupe: Wa(h)re Inflation (4. und letzte Folge)
Von Robert Jakob
Um den Jahreswechsel kommt es zum ewiggleichen Ritual. Die erste „Prämienrechnung“ des neuen Jahres schmerzt. Wir Schweizer ächzen unter der Last der Krankenkassenkosten, die unablässig steigen. Das tun sie im Schnitt deutlich schneller als die Inflation. Aber dennoch finden sie keinen Eingang in den Landesindex der Konsumentenpreise.
Das Bundesamt für Statistik BFS bestreitet das nicht einmal: „Bei der Teuerung werden die Preise einzelner Produkte und Dienstleistungen im Zeitverlauf verglichen. Bei den Krankenkassen-Prämien jedoch die Ausgaben.“ Man könne diese Ausgaben-Posten nicht mit der Teuerung von Produkten und Dienstleistungen vergleichen – meint die Statistikbehörde.
Für die Jahre 1996 bis 2016 weist das Bundesamt BFS eine Teuerung oder Inflation von insgesamt 10 Prozent aus. In einem gross aufgemachten Artikel kam der K-Tipp zu einem anderen Ergebnis. So stiegen die Ausgaben der Haushalte in diesen zwanzig Jahren um fast 20 Prozent, wenn man – im Gegensatz zum Konsumentenpreisindex – auch den Mehraufwand für die Prämien der Krankenkassen berücksichtigt. Allerdings liegt dem gross aufgemachten Artikel im Konsumentenmagazin insofern ein Denkfehler zugrunde, als dass deutliche Mehr an konsumierten Gesundheitsleistungen einem Bedürfnis entspricht, das in der Folge zu einer höheren Lebenserwartung führt. Der Verbrauch an Gesundheitsdienstleitungen ist im gleichen Masse wie die Prämien gestiegen. Hier kann man dem Bundesamt für Statistik also keinen Betrug vorwerfen. Vermehrte Arztbesuche und Spitalaufenthalte sowie aufwendigere Untersuchungen und Therapien führen, auch bei konstanten Preisen, zu höheren Kosten und in der Folge zu höheren Prämien.
Es handelt sich somit tatsächlich nicht um Inflation. Allerdings bewirkt ein Anstieg der Prämien um 20 Prozent nach einer Schätzung des Bundesamtes für Statistik (BFS) eine Schmälerung des für Konsumzwecke verfügbaren Einkommens um rund ein Prozent. Die Krankenkassenprämien stiegen in der Grundversicherung von knapp 8 auf rund 30 Milliarden Franken innerhalb der letzten 30 Jahre. Das ist immerhin eine Minderung des verfügbaren Einkommens von kumuliert gut 10% pro Einwohner (korrigiert um das Bevölkerungswachstum, allerdings ohne Berücksichtigung von Einkommenserhöhungen, die sich in den letzten 30 Jahren ja im Schnitt ebenfalls ergeben haben).
Zweifelhafter als die Ausklammerung der Krankenkassenprämien ist auf alle Fälle aber ein Feld von Korrekturen bei den Konsumentenpreisen, das in der Schweiz gottlob nur in homöopathischen Dosen angewandt wird. Das sind die Korrekturen bei Produktverbesserungen. Sind die Statistiker beispielsweise der Meinung, dass heute alles besser als früher ist, machen sie die Produkte rechnerisch für den Warenkorb einfach billiger und frisieren dadurch die Inflation nach unten.
Wie das „Glücklichrechnen“ funktioniert
Für die Rechenleistung eines modernen Laptops hätte man Ende der 70er-Jahre ein ganzes Grossraumbüro mit Hardware zustellen und wahrscheinlich auch noch mit einem riesigen Kühlaggregat bestücken müssen. Die zentrale Recheneinheit (CPU) heutiger Computer ist unendlich schneller als damals. In Anlehnung an das berühmte Moore‘sche Gesetz soll sich die Rechenleistung der CPU alle anderthalb Jahre verdoppeln. Amerikanische Statistiker nehmen die Leistungsverdopplung zum Anlass, den Preis zu halbieren. So einfach geht das. Dass der Laptop vielleicht ein billiges Gehäuse aus Plastik hat, das sich beim ersten unfreiwilligen Bodenkontakt in Bruchstücke auflöst, spielt für die Statistiker keine Rolle. Sie nehmen das, was nahe liegt und sich am einfachsten und für die offiziellen Statistiken am schönsten ausrechnen lässt. Ein Laptop, der seit Jahren im Warenkorb immer um die 1000 Dollar kostet, geht damit plötzlich irgendwann für nur noch 100 Dollar in die statistischen Berechnungen ein, obwohl er weiterhin 1000 Dollar kostet. Es genügt, dass er zehnmal schneller rechnet.
Eine gewisse Berechtigung lässt sich dieser sogenannten „ hedonischen“ Berechnung nicht absprechen. Die Qualitätssteigerung von Produkten soll bei ihrer Bewertung mit einberechnet werden. Allerdings müssten im gleichen Atemzug dann auch Produktverschlechterungen zählen, und das wird so gut wie nie in den Inflationsstatistiken berücksichtigt. Wenn ein Ferienflugticket in der Economy-Klasse bei einem Billigflieger keinen Service mehr bietet, und die Beinfreiheit nur bis zur Kniescheibe reicht, so wäre der entsprechende Nutzwert ebenfalls nach unten anzupassen. Das alles geschieht aber nicht.
Rausschmeissen und Ersetzen
Stattdessen ist ein weiterer statistischer Trick beliebt: Rausschmeissen und Ersetzen. Das geht so: Befinden sich im Warenkorb Erdbeeren, und sind diese plötzlich aus irgendeinem Grund, wie etwa Missernte, sehr teuer, fliegen sie aus dem Warenkorb raus und werden ersetzt, beispielweise durch Pflaumen oder Birnen. Als Begründung muss die sogenannte Preiselastizität herhalten: Konsumenten würden bei Preissteigerungen nach Alternativen Ausschau halten und entsprechend das teurere Gut durch was Billigeres ersetzen. Also dann vielleicht Birnen. Steigen die Birnen im Preis, und werden die Erdbeeren wieder billiger, wird entsprechend der Warenkorb wieder in seine ursprüngliche Zusammensetzung zurückversetzt, als ob nichts geschehen wäre.
Diese und noch ein paar andere Tricks führen dazu, dass vor allem in den USA die Inflationsraten viel zu niedrig ausgewiesen werden. Walter J. «John» Williams von www.shadowstats.com rechnet seit vielen Jahren die amerikanische Inflationsrate strickt nach den Regeln von 1980 nach. Er kommt in 2018 auf eine US-Inflationsrate von über 10 Prozent. Das sind 7 Prozent mehr als offiziell ausgewiesen. Ich gestehe durchaus hedonistisches Pricing zu, aber in vernünftigem Rahmen, und komme auf 6 Prozent echte Inflation. Auch die Schweizer Inflationszahlen sind mittlerweile um etwa 0,5 Prozent nach oben zu korrigieren. Das erklärt wahrscheinlich die letzte Lücke zwischen offizieller Inflationsrate und der explodierenden Geldmenge.
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Aktualisierte Neuauflage