Rohöl: Wappnen für den Einstieg
Von Dieter Haas, Derivative Partners AG, www.payoff.ch
Das schwarze Gold befindet sich seit Sommer 2014 auf Talfahrt. Auf längerfristige Sicht bietet das aktuelle Niveau erste Kaufgelegenheiten. Übertriebene Eile ist fehl am Platz.
Vor einem Jahr wurde der Preisverfall von vielen Experten als willkommene Konjunkturstimulierung angesehen. Getreu dem Sprichwort «Runtergehen wie Öl», das eine positive Resonanz ausdrückt. Inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, zumal der Absturz für viele Länder eine negative Kehrseite hat. Die Finanzmärkte reagieren bei abbröckelnden Kursen des wichtigsten Rohstoffes mittlerweile schon fast panisch, als würde man Öl ins Feuer giessen. Die rasante Talfahrt scheint kein Ende zu nehmen. Der Ölmarkt dürfte laut Fabian Dori, Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter Investment House Notenstein La Roche, auch in diesem Jahr durch ein Überangebot gekennzeichnet sein. Amin H. Nasser, der CEO der saudischen Aramco, dem grössten Ölproduzenten der Welt, hofft mittelfristig auf eine Stabilisierung, da das nicht konventionelle Ölangebot (u.a. Fracking) abzunehmen begänne.
«Ölpreisveränderungen vollziehen sich in langfristigen Zyklen.»
Allerdings befände sich der Markt nach wie vor im Ungleichgewicht und leide unter einem gegenwärtigen täglichen Überschuss von rund drei Millionen Barrel. Er betonte anlässlich einer Energiekonferenz in Katar, dass Saudi-Arabien dank seiner tiefen Produktionskosten die Fähigkeit besitze, solch niedrige Preise für eine sehr lange Zeit zu ertragen. Hier ist wohl der Wunsch der Vater des Gedankens. Selbst die Saudis sind nicht immun gegen die eklatante Schwäche des schwarzen Goldes. Der heimische Aktienmarkt verdeutlicht dies auf anschauliche Weise. Aktuell überlegt das Königshaus, fünf Prozent von Aramco an die Börse zu bringen, um so das riesige Loch in der Staatskasse etwas zu stopfen.
Fracking – Quelle des Übels
Der von der Bush-Regierung initiierte Schieferölboom steht am Anfang der aktuellen Misere. Die Anzahl der Ölbohrlöcher wurde in den USA bis November 2014 um rund das Neunfache ausgeweitet, wodurch der Produktionsausstoss bis auf 9.7 Millionen Barrel pro Tag gesteigert werden konnte. Mit dieser Massnahme gelang es, die Einfuhren zu reduzieren, was für die seit Jahren defizitäre Handelsbilanz eine willkommene Entlastung brachte. Die starke Produktionsausweitung war mitverantwortlich für das Kippen des labilen Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage. Angesichts eines täglichen Bedarfs von rund 19 Millionen Barrel pro Tag bleiben die USA abhängig von Importen. Fracking ist zudem teuer und bei den derzeitigen Preisen für den Grossteil nicht mehr rentabel. Der Preiszerfall ab Sommer 2014 führte daher zu Schliessungen vieler Erdölbohrlöcher. Diese Entwicklung wird in den kommenden Wochen zu einem deutlichen Rückgang der amerikanischen Ölproduktion führen.
«Die Branche Energie zählte seit Ende 2013 zu den grossen Verlierern an der Börse.»
Geopolitik als Störfeuer
Nebst Fracking spielen bei der aktuellen Preisschwäche auch geopolitische Elemente eine wichtige Rolle. Für Aussenstehende sind solche Einflüsse nur schwer einzuschätzen. Nichtsdestotrotz kommt ihnen gerade heute eine erhebliche Rolle zu. Den USA dürfte daran gelegen sein, Russland, das sehr stark vom Erdölexport abhängig ist, zu schwächen. Andererseits ist den Saudis der Fracking-Boom seit Längerem ein Dorn im Auge. Zugleich sind sie verärgert über die jüngst beschlossene Aufhebung des Wirtschaftsembargos des Iran. Tiefe Preise erschweren ein Wiedererstarken des unliebsamen Konkurrenten. Bis dato machen daher die Saudis keine Anstalten, ihre Produktion zu drosseln. Für die meisten anderen OPEC-Staaten sind Kürzungen ihrer Ausstösse ebenfalls kein Thema, da der Exporterlös die zentrale Säule ihres Staatshaushaltes ist.
Lahmende Nachfrage
Last but not least lässt die eingetretene Abkühlung der Konjunktur kurzfristig die Ölschwemme anwachsen. Die veröffentlichten Wirtschaftsdaten Uncle Sams zeigen seit einiger Zeit nach unten. Bei China, dem zweiten grossen Nachfrager nach Erdöl, sieht es noch düsterer aus. Hier lahmt die Konjunktur bereits seit Sommer 2015. Europa, der dritte wichtige Importeur, kann die entstandenen Nachfragelücken ebenfalls nicht abdecken. Die überschüssige Produktion trifft somit bis auf Weiteres auf eine eher unterdurchschnittliche Nachfrage.
Temporärer oder dauerhafter Zustand?
Nach wie vor sehen die meisten Experten in der jüngsten Entwicklung eine temporäre Geschichte. In dieses Horn stossen u.a. die Notenbankpräsidenten der USA und Grossbritanniens. Gemäss Khalid al-Falih, dem Verwaltungsratspräsidenten von Aramco, hat der Markt nach unten überreagiert und eine Trendwende sei mittelfristig unausweichlich. Goldman Sachs hat wegen der Aufhebung des US-Exportbanns ihre Schätzungen zurückgenommen. Ihre Preisziele sowohl für die Rohölsorten Brent als auch West Texas Intermediate liegen mit USD 45 für das laufende Jahr aber nach wie vor deutlich über den aktuellen Kursen. Ähnlich lauten die zukünftigen Erwartungen der US-Energieagentur. Sie erwartet ein allmähliches Anziehen der Preise ab der zweiten Jahreshälfte 2016 und rechnet für das vierte Quartal 2017 mit Durchschnittskursen für Brent von USD 56 pro Barrel. Sehr pessimistisch äusserte sich jüngst der CEO Ian Taylor von Vitol, dem grössten Rohstoffhändler.
«In den letzten 30 Jahren erreichte der Preis des Rohöls im Durchschnitt Ende Februar jeweils seinen Tiefpunkt.»
Er sieht bei Rohöl eine bis zu zehn Jahre anhaltende Tiefpreisphase innerhalb einer Bandbreite zwischen USD 35 bis USD 60 pro Barrel.
Die gegenwärtige Ölschwemme zeigt sich exemplarisch an der Terminkurve des Rohöls an den Futures-Börsen. Sie befindet sich seit Längerem in Contango. Mit anderen Worten liegt der Preis für Lieferung in der Zukunft über dem aktuellen Spotpreis. Die aktuellen Prognosen beinhalten somit wohl nach wie vor eine grosse Portion Zweckoptimismus.
Schnäppchen oder Rohrkrepierer
Die Branche Energie zählt zu den grossen Verlierern an der Börse. Der S&P Energieindex erlitt zwischen Ende 2013 und 22.Februar 2016 einen Verlust von 33,0% und war mit Abstand das Schlusslicht im S&P 500. Exxon, die einstige Nummer 1, ist inzwischen hinter Alphabet und Apple und Microsoft auf Platz vier abgerutscht. Bei den Schieferölproduzenten sollte wegen der Verschuldungsproblematik weiterhin ein grosser Bogen gemacht werden. Der Zeitaufwand zum Auffinden allfälliger Perlen lohnt nicht. Im Auge zu behalten gilt es mittelfristig integrierte Produzenten der ersten Reihe. Fundamental betrachtet sind einige inzwischen unter ihrem Buchwert bewertet. Ihre aktuelle und zukünftige Ertragslage lässt aber noch keine Sprünge erwarten. Dafür bräuchte es eine nachhaltige Bodenbildung beim Rohöl. Es gibt bereits einige Schnäppchen, aber die Branche beinhaltet auch etliche Rohrkrepierer. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis für einige die letzte Stunde geschlagen hat. Cheaspeake Energy, einer der grössten Schiefergas-Förderer der Vereinigten Staaten, befindet sich bereits in grossen finanziellen Schwierigkeiten. Von den grossen im DJ Global Titans enthaltenen Energieaktien wird derzeit Schlumberger favorisiert. Das grösste Kursgewinnpotenzial ortet die Finanzanalysten-Gemeinde auf zwölf Monate beim russischen Gasproduzenten Gazprom, gefolgt von ConocoPhilips und Royal Dutch. Alle grossen Energietitel weisen im Quervergleich eine überdurchschnittliche Dividende auf.
Empfehlenswerte Anlagen
Die Kurse ölgelinkter Anlagen weisen durchs Band weg eine sinkende Tendenz auf. Für Contrarians bietet das Tableau auf längerfristige Sicht jedoch erste Einstiegschancen. Für Investoren, die auf Rohöl setzen möchten, kommen von den in der Schweiz kotierten ETPs OILCHA und CCLCI infrage. Sowohl der ETF als auch das Tracker-Zertifikat basieren auf dem UBS Bloomberg CMCI WTI Crude Oil TR Index und sind CHF-währungsgesichert. Der Basiswert diversifiziert seine Anlagen über die gesamte Laufzeitenkurve. Dadurch bietet er ein stetiges Engagement in der Anlageklasse. OILCHA verrechnet eine jährliche Verwaltungskommission von 0,26%, das Tracker-Zertifikat eine solche von 0,72%. Anleger, die global diversifiziert auf Unternehmen setzen möchten, finden im ETF IOGP (Gesamtkostenquote 0,55%) das geeignete Vehikel. Ländermässig liegt das Schwergewicht auf den USA und Kanada. Im Basiswert fehlen allerdings die europäischen Energieunternehmen. Eine vergleichbare Kursentwicklung wie IOGP weist auch VZOIC, unsere Empfehlung aus dem Bereich der Strukturierten Produkte, auf. Es basiert auf dem Vontobel-Oil-Strategy Index, einer alternierenden Strategie zwischen Investitionen in Öl-Futures oder in einen Aktienkorb aus dem Ölsektor. Aktuell setzt das Partizipationsprodukt auf Aktien. Die zehn ausgewählten Titel stammen zu 80% aus den USA und zu 20% aus Kanada. In die engere Auswahl kommt auch LYNRGW, ein ETF von Lyxor auf den MSCI World Energy Index. Er hielt sich seit Anfang Januar 2014 von den erwähnten Produkten am besten. Der Basiswert ist ein nach Free float und Marktkapitalisierung gewichteter Index, der die Performance von Energieunternehmen misst. Im Unterschied zu den benannten Kandidaten sind auch die europäischen Unternehmen Bestandteil des Warenkorbs. Mit einer Gesamtkostenquote von 0,40% ist er zudem der Billigste der genannten Energieaktien-ETFs. Spekulativ orientierte Anleger sollten nach wie vor mit der höchstmöglichen Vorsicht ans Werk gehen. Bei Knock-out-Calls oder Long Mini-Futures sollten die tiefsten im Markt vorhandenen Ausübungspreise gewählt werden. Ein langfristiges Halten des Mini-Longs MCOABV könnte sich auszahlen. Dessen Stopp-Loss liegt bei USD 23.54 und somit ein gutes Stück entfernt vom aktuellen Kurs der in Europa gebräuchlichsten Ölsorte. Das Risiko, ausgestoppt zu werden, ist daher relativ gering.
Gedanken zum Timing
Ölpreisveränderungen vollziehen sich in langfristigen Zyklen. Sie dürfen daher nicht damit rechnen, dass das Gewitter bald vorbei ist. In den vergangenen 40 Jahren fielen die Tiefpunkte jeweils in Jahren von Finanzkrisen. So gesehen sind die Chancen für eine Bodenbildung in 2016 intakt. Für den bekannten Börsenguru Marc Faber liegt der Gleichgewichtspreis für Rohöl irgendwo zwischen USD 30 und USD 50. Kurzfristig schliesst er allerdings Preisrückgänge bis auf USD 20 oder sogar USD 15 nicht aus. Positive Signale gibt es von der Saisonalität. In den letzten 30 Jahren erreichte des Rohöls im statistischen Durchschnitt Ende Februar, inmitten der Heizperiode, jeweils seinen Tiefpunkt (www.seasonalcharts.de/classics_rohoel.html).
Schützenhilfe könnte im Verlaufe des Jahres von der Währungsseite kommen. Der USD, die Handelswährung des Rohstoffes, zeigt nämlich erste Anzeichen von Schwäche. Ein Ende der Hausse des Greenbacks hätte positive Auswirkungen auf den Rohölpreis. Trotz der nach wie vor bestehenden Ungleichgewichte im Markt sollten Rohöl und Energieaktien von den Anlegern bereits heute genauer unter die Lupe genommen werden. Für einen Aufbau von Positionen empfiehlt sich vorderhand jedoch ein schrittweises Vorgehen. Gut Ding will bekanntlich Weile haben.