Roms gefährlicher Poker im Schuldenstreit mit Brüssel

Matteo Salvini, italienischer Vizepremierminister und Chef der rechten Partei Lega.

Rom – Demonstrativ gelassen zeigen sich Italiens Populisten – obwohl sie den Haushaltsstreit mit der EU nun vollends eskalieren lassen. Vize-Premier Matteo Salvini geht vor dem entscheidenden Termin im Zentrum von Rom schnell noch joggen. Der zweite Vize-Regierungschef Luigi Di Maio betet vor dutzenden Mikrofonen erneut seine Argumentation herunter, warum Italien so viel mehr Schulden machen will als der EU-Kommission lieb ist. Einlenken? Fehlanzeige.

An dem Schulden-Kurs der Koalition aus Salvinis rechtspopulistischer Lega und Di Maios Fünf-Sterne-Bewegung ändert sich trotz des Drucks aus Brüssel sowie von einigen Euro-Partnern und auch trotz der Achterbahnfahrt an den Finanzmärkten nichts.

Populisten lassen Ultimatum verstreichen
Brüssel hatte den Haushaltsentwurf aus Rom in einem historisch einmaligen Schritt durchfallen lassen und von Italien Änderungen gefordert, weil das Land seit Jahrzehnten auf einem riesigen Schuldenberg sitzt. Das Ultimatum lief in der Nacht zu Mittwoch aus. Doch an den umstrittenen 2,4 Prozent Neuverschuldung und der – nach Meinung vieler Experten zu optimistischen – Prognose für das Wirtschaftswachstum will in Rom niemand rütteln.

Staatliche Immobilien sollen verkauft werden
Das Land brauche diesen Haushalt, um wieder auf die Beine zu kommen, beschwörte Di Maio. Herzstücke des Entwurfs sind kostspielige Pläne wie die Einführung einer Grundsicherung nach dem Vorbild von Hartz IV, ein niedrigeres Renteneintrittsalter und Steuererleichterungen. Von all dem verspricht sich Italien nicht nur Wachstumsaussichten, sondern auch mehr soziale Gerechtigkeit, wie Finanzminister Giovanni Tria in seinem Brief an die EU-Kommission klar macht.

Brüssel soll nun durch ein «Schutzpölsterchen» beruhigt werden, das die Regierung Tria zufolge eingebaut hat. Rom verspricht auch Mechanismen, die die Defizitquote bei 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung halten sollen. Staatliche Immobilien – aber nicht die «Familien-Schmuckstücke», wie Di Maio betont – sollen zudem verkauft werden, um Geld in die Kassen zu spülen. Daneben argumentiert Italien, dass mehr Geld wegen des Brückeneinsturzes von Genua oder für die Unwetterschäden ausgegeben werden müsse.

Ausgaben würden Wachstum nicht ankurbeln
«Der Haushaltsentwurf wird immer lächerlicher», kommentierte Wolfango Piccoli von der europäischen Denkfabrik Teneo auf Twitter. Viele Wirtschaftsexperten kritisieren weniger, dass Geld ausgegeben werden soll. Ihnen ist vielmehr ein Dorn im Auge, dass es für Wahlgeschenke fliessen soll, die das Wachstum nicht ankurbeln.

Schuldendienst verteuert sich
Auch die Märkte zeigten sich kaum beruhigt. Während es mit den Kursen italienischer Staatspapiere am Mittwoch nach unten ging, legten die Renditen im Gegenzug kräftig zu. Das heisst, Investoren stossen die Anleihen ab, der italienische Staat wiederum muss höhere Zinsen an Anleger zahlen. Der Schuldendienst Italiens verteuert sich damit. Eine gefährliche Spirale.

Ängste vor neuer Schuldenkrise
Schnell wächst die Sorge vor einer neuen Schuldenkrise in Europa. «In der Euro-Zone hat jede nationale Entscheidung Auswirkungen auf die Partnerländer. Deshalb trägt die italienische Regierung Verantwortung nicht allein für das italienische Volk, sondern für die ganze Euro-Zone», mahnte der deutsche CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Er forderte klare Kante von der EU-Kommission.

Inhaltlich wollte die Behörde am Mittwoch jedoch noch nicht Stellung beziehen. «Wir können bestätigen, dass wir die überarbeiteten Budgetpläne der italienischen Behörden erhalten haben», sagte ein Sprecher. Diese würden nun vollständig bewertet. Am kommenden Mittwoch (21. November) wird die EU-Kommission dann ihre Einschätzung zu allen eingereichten Haushaltsentwürfen der Euro-Länder abgeben. Dass sie sich zum italienischen Budget nicht vorher schon äussert, könnte auch daran liegen, dass sie nicht den Eindruck erwecken will, Italien anders zu behandeln als die anderen EU-Länder. Ohnehin ist jede Kritik an Rom Wasser auf die Mühlen von Salvini und Co.

Österreich würde Defizitverfahren zustimmen
Leitet Brüssel nun tatsächlich ein Defizitverfahren gegen Rom ein, müssten die europäischen Finanzminister über das weitere Vorgehen beraten. Sie teilen derzeit die Einschätzung der Kommission. Österreich würde einem Defizitverfahren gegen das südliche Nachbarland zustimmen, erklärte Finanzminister Hartmut Löger. Sollte Rom auch dann nicht einlenken, könnten saftige Geldstrafen von bis zu 0,2 Prozent des italienischen Bruttoinlandsprodukts gegen das Land verhängt werden – diese könnten in die Milliarden gehen.

Salvini kann vorerst nur gewinnen
Roms Regierung lässt das kalt. «Uns fehlen nur noch die Inspektoren, die Blauhelme der Vereinten Nationen und die Sanktionen gegen Italien», sagte Salvini dem Radiosender Rai Radio 1. «Wenn sie versuchen, auch nur daran zu denken, Sanktionen gegen das italienische Volk zu verhängen, haben sie sich geirrt.»

Für die europakritischen Parteichefs bedeutet der Streit mit Brüssel paradoxerweise Rückenwind – egal, wie er am Ende ausgeht. Seit langem machen sie vor allem die EU dafür verantwortlich, dass es in Italien nicht aufwärts geht. Bleibt die jetzt im Streit hart oder verhängt gar Sanktionen, ist sie der Buhmann. Das wird die Europaskepsis in Italien anheizen. Gibt die EU nach, haben die Populisten mit Härte und Sturheit ihr Ziel erreicht. Sowohl die Lega als auch die Sterne haben die Europawahl im kommenden Mai fest im Blick.

Dass am Ende die Italiener selbst die Leidtragenden sein könnten, schrieb bereits der Internationale Währungsfonds (IWF). Sollte Italien an seinem Haushalts-Paket festhalten, prognostiziert der IWF mittelfristig negative Effekte. Die Staatsausgaben etwa für Renten – die zweithöchsten in der Eurozone – beanspruchten schon jetzt wichtige Ressourcen. Das Wachstum würde bei nur einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Jahre 2018 bis 2020 liegen, danach würde es weiter fallen. (awp/mc/pg)

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