Sarasin-Standpunkte: Die «No-Future»-Gesellschaft trägt weisse Kragen

Burkhard Varnholt

Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG.

Basel – Unter den Ländern der Währungsgemeinschaft herrscht ein Katz-und-Maus-Spiel um die richtigen Antworten, Verantwortlichkeiten und Handlungsoptionen. Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG, erklärt in der aktuellen Ausgabe von «Standpunkte», weshalb die «Verschweizerung» von Europa einen praktikablen Ausweg aus der «No-Future»-Gesellschaft darstellt. Interessante Denkanstösse liefern auch die vom Autor skizzierten unwahrscheinlich, aber möglichen Entwicklungen, welche die Investoren 2013 überraschen könnten. Unter dem Strich bleibt als Konsequenz für Anleger: Die immer geringere soziale, ökologische und wirtschaftliche Fehlertoleranz lässt sich nur mit einem systematisch, aktiv und nachhaltig ausgerichteten Vermögensverwaltungsmandat meistern.

«No Future» war der prägende Slogan der englischen Punkbewegung. Zugegeben, auf den ersten Blick haben Zinsen und Protest-Musik wenig gemeinsam. Doch es gibt spannende Parallelen: Während der Punkbewegung der späten 70er Jahre wollte eine junge Generation ans Geld der alten Generation. Heute ist es umgekehrt. Eine ältere Generation in Europa, den USA und Japan realisiert, dass sie ihren Lebensstandard und ihre sozialen Versprechungen nur aufrechthalten kann, wenn sie sich einer verantwortungslosen Geld- und Fiskalpolitik bedient, welche ihre in der Zukunft anfallenden Kosten konsequent ignoriert. Das aktuelle, in Europa, den USA und Japan herrschende reale Null-Zins-Niveau stellt in diesem Sinne die metaphorische Spitze eines Eisberges dar. Eine Gesellschaft, die das Sparen nicht belohnt, untergräbt auch den Investitionsanreiz. Anders formuliert: Eine Gesellschaft, die weniger spart und investiert, lenkt ihr Augenmerk von der Zukunft in die Gegenwart. Die heutige «No Future»-Bewegung trägt mehrheitlich weisse Kragen und verpfändet die wirtschaftliche Zukunft der jungen Generation zugunsten ihres heutigen Lebensstandards.

«Viele westliche Staaten besichern einen Grossteil ihrer neuen Staatschulden durch die Verpfändung des steuerpflichtigen Einkommens zukünftiger Generationen. Diese ‹kostenlose› Verfügbarmachung zusätzlicher, liquider Mittel via unlimitierter Erhöhung von Staatsschulden lässt die eigentliche ‹No-Future›-Punkbewegung – die ans Geld der alten Generation wollte – wie harmlose Schuljungen wirken.»
Dr. Burkhard P. Varnholt, Chief Investment Officer der Bank Sarasin & Cie AG

Europa muss sich «verschweizern»
Die Auswirkungen dieser «No-Future»-Einstellung zeigen sich auch in der aktuellen Schulden- und Vertrauenskrise der europäischen Länder. Die einen würden am liebsten ganz austreten, andere wollen die überschuldeten Staaten ausschliessen und wieder andere wollen eine Vergemeinschaftung von Staatschulden mit einer Zentralisierung von finanzpolitischen Kompetenzen und – falls nötig – weiteren Stützungsinterventionen durch die Europäische Zentralbank. Nur selten wird bemerkt, dass ein einfacher und flexibler Mechanismus zur effektiven Begrenzung des Schuldenwachstums seit Jahrzehnten wirkungsvoll in der Schweiz praktiziert wird. Es ist die konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips. Dieses Prinzip – die Zuordnung von Ausgaben, Einnahmen und Schulden auf ein- und dieselbe rechtliche Ebene – könnte eine wertvolle Blaupause für die Willensgemeinschaft Europäische Wirtschafts- und Währungsunion bilden.

2013 – was uns überraschen könnte
Zur Entwicklung von Anlagestrategien gehört die Formulierung von Entwicklungen, die unwahrscheinlich, aber möglich erscheinen. In diesem Sinne skizziert Burkhard P. Varnholt auch dieses Jahr mögliche Überraschungen für 2013 :

  1. Wirtschaft: EWWU führt Schuldenbremsen und Arbeitsmarktreformen ein
    Spanien, Italien und Portugal führen auf diskreten, aber wirkungsvollen Druck der EZB, des IMF und der europäischen Politik wichtige Arbeitsmarktreformen durch. Des Weiteren verabschieden die Regierungschefs der Eurozone erstmals einen politisch bindenden Fahrplan zur Einführung von Schuldenbremsen.
  2. Weltpolitik: Machtübergabe in China fördert die Entwicklung einer sozialen Marktwirtschaft
    Chinas Machtübergabe an den neuen Regierungschef repräsentiert ein klares Bekenntnis zu einer systematischen Entwicklung einer sozialen Marktwirtschaft. Nicht nur die chinesische Wirtschaft, sondern auch die notorisch unterbewerteten Börsen erhalten dadurch Rückenwind.
  3. Wissenschaft und Technologie: Nachhaltige Energietechnologien initiieren eine Revolution
    Verschiedene, nicht koordinierte technologische Durchbrüche in der Gewinnung von Strom aus Meereswellen, Wind und Sonne führen zu einem nachhaltig höheren und diversifizierteren Stromangebot. Auch in der Übertragung von Strom vervielfachen sich die Übertragungskapazitäten dank unterschiedlicher Verbesserungen.
  4. Finanzmärkte: 2013 wird eines der besten Aktienjahre
    Mit überdurchschnittlichen Aktienperformances, je nach Markt zwischen 10% und 40%, zählt 2013 zu den besten Börsenjahren der Geschichte. Die positive Entwicklung wird getragen durch hartnäckig tiefe Zinsen, einen anhaltenden Anlagenotstand bei Investoren und erstaunlich robuste Entwicklungen der Unternehmensgewinne.

Weitere überraschende Szenarien finden Sie im vollständigen Newsletter, der auf der Website www.sarasin.ch kostenlos als Download verfügbar ist.

Langfristige Konsequenzen für Anleger
Die politische, soziale, ökologische und wirtschaftliche Fehlertoleranz unserer Welt nimmt rapide ab. Das ist der einfache und entscheidende Grund für die Idee der Nachhaltigkeit. Aber sie kann nur gelingen, wenn der Gedanke der Nachhaltigkeit auf und aus den drei entscheidenden Ebenen und Perspektiven – Politik, Wirtschaft und Alltag & Investoren – wirklich verstanden wird. Vor diesem Hintergrund, gepaart mit den rasanten Zykluswechseln, der hohen Volatilität und der unüberschaubaren Flut von Informationen sind die meisten Anleger – zumindest psychisch-emotional – überfordert. Ein systematisches, aktives und nachhaltig ausgerichtete Vermögensverwaltungsmandat ist jedem Anleger – egal ob privat oder institutionell – als oberste Priorität ans Herzen gelegt. (Bank Sarasin/mc/ps)

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