Von Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Am nächsten Donnerstag ist es endlich soweit: Die Briten stimmen über ihren Verbleib in der EU ab und die britischen Umfrageinstitute haben die wohl lukrativste Zeit ihrer Geschichte hinter sich. Wie das Ergebnis des Referendums ausfallen wird, ist ungewiss. Entsprechend hoch gehen die Spekulationen, was bei einem «Nein» und vor allem bei einem «Ja» zum Austritt geschehen wird, sowohl politisch, wirtschaftlich und vor allem an den Finanzmärkten.
Eines ist gewiss: Die Welt und die Weltwirtschaft würden auch bei einem Austritt Grossbritanniens aus der EU nicht zusammenbrechen. Dafür ist die Bedeutung der Insel für die Weltwirtschaft zu gering. Die EU würde eine politische Schlappe einstecken und die EU-Gegner in anderen Ländern wie der Front National würden sich in Pose werfen und ebenfalls einen Austritt fordern. Ob in Frankreich dafür auch eine Mehrheit zu finden wäre, ist aber mehr als unwahrscheinlich.
Drohender Abstieg
Die unmittelbaren Folgen hätten vor allem die Briten selber zu ertragen. Vergleichbar mit einem Sportclub, der aus der ersten Liga absteigt, würde sich das Umfeld für das Land von einem Tag auf den anderen völlig ändern. Viele Handelsverträge wären nicht mehr gültig, da sie mit der EU und nicht mit Grossbritannien abgeschlossen worden sind. Dass der effektive Austritt aus der EU erst in zwei oder noch mehr Jahren erfolgen würde, spielt dabei keine Rolle.
Viele Firmen würden sich sofort überlegen, ob sich Investitionen im Königreich noch lohnen, da der Zugang zum europäischen Binnenmarkt unsicher wäre. Dabei sprechen wir nicht nur von den Banken in der Londoner City. Die britische Wirtschaft würde abgenabelt, bis über den weiteren Status der Zusammenarbeit mit den EU-Ländern mehr Klarheit herrschen würde. Die Folge wäre eine rasche, tiefgreifende Rezession wie sie beispielsweise Island nach dem Zahlungsausfall seiner Banken erlebt hat. Steigende Arbeitslosenraten, fallende Immobilienpreise sowie massiv teurere Preise für Importgüter wie Rohstoffe wären die Konsequenz.
Rascher Aufstieg
Grossbritannien würde das Tief, das wahrscheinlich zwei bis drei Jahre dauern würde, überstehen. Ob das Land am Ende besser oder schlechter als heute dastehen würde, kann nicht seriös prognostiziert werden. Vieles würde davon abhängen, wie sich Grossbritannien neu positionieren kann. Die EU hätte kein Interesse daran, die Verbindungen gänzlich zu kappen. Aber sie würde sich die Konzessionen beim Zugang zum Binnenmarkt mit grossen Zugeständnissen im finanziellen und rechtlichen Bereich entschädigen lassen. Am Ende wäre der Unterschied zu vorher gar nicht mehr so gross, ausser dass die Briten nicht mehr mitbestimmen könnten und auf das Wohlwollen der EU angewiesen wären.
Sich nicht von möglichen Unsicherheiten anstecken lassen
An den Finanzmärkten wäre der Sturm bei einem «Ja» am Freitag heftig. Ob das Pfund allerdings 20% und die britischen Aktien 30% verlieren würden, wie einige Broker an die Wand malen, ist eine andere Frage. Auch die Parität des Euro zum Franken gehört in die Welt der Schwarzmalerei. Die Vergangenheit hat immer wieder gezeigt, dass die Finanzmärkte bei solchen Ereignissen zu Übertreibungen neigen. Auch bei einem allfälligen Brexit würden sie nach ein paar hektischen Tagen aber wieder zur Tagesordnung übergehen und sich neuen Themen widmen. Denn wie gesagt: Auch bei einem Brexit geht die Welt nicht unter. (SGKB/mc/ps)