St. Gallen – Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben letzte Woche ihre geldpolitischen Positionen wiederholt. Die EZB wird Ende Jahr ihr Anleihenskaufprogramm wie geplant beenden, will aber von höheren Zinsen bis nach dem Sommer 2019 nichts wissen. Die Nationalbank betont die hohe Bewertung des Frankens und die Wichtigkeit der negativen Zinsdifferenz zum Euroraum. Sie will das Risiko nicht eingehen, dass durch Zinserhöhungen vor der EZB der Franken zum Euro teurer wird. «Business as usual». Diese Haltung ist momentan noch möglich, aber nicht mehr lange.
Ich gehe davon aus, dass die EZB ihrem kommunizierten Pfad treu bleibt und im September 2019 die Zinsen erstmals vorsichtig anheben wird. Dieser Schritt ist überfällig und hätte bereits in diesem Frühjahr vorgenommen werden sollen, als die Wirtschaft in der Eurozone vor Stärke strotzte. Die SNB wird sich an die EZB anhängen und den Weg aus den Negativzinsen mit einer ersten Zinserhöhung auf -0.50% starten. Das ist für sie das einfache Szenario. Wenn die EZB jedoch weiter zuwartet, wird es für die SNB schwierig. Dann wird der Druck zunehmen, einen eigenständigen Weg zu höheren Zinsen zu wagen.
Seit vier Jahren Negativzinsen in der Schweiz
Je länger dieser Zustand dauert, desto stärker werden seine negativen Auswirkungen sichtbar. Die Banken leiden unter den Negativzinsen, die sie nicht an ihre Kunden weitergeben können oder wollen. Im Immobilienmarkt ist die Nachfrage nach Renditeliegenschaften ungebrochen gross, auch wenn die erzielbaren Renditen die Risiken kaum mehr decken und die Leerbestände an Wohnungen zunehmen. Eine tiefe Bruttorendite auf einer Liegenschaft ist immer noch besser als negative Renditen bei den Obligationen. Die Pensionskassen können ihre notwendigen Zielrenditen nur noch erreichen, wenn sie mehr Risiken eingehen. Um den Negativzinsen zu entgehen, weichen sie deshalb auf riskantere und intransparentere Anlagesegmente aus. Das hat 2018 nicht geholfen. Die Trends im Immobilienmarkt und bei der Risikozunahme in den Pensionskassen können nur gestoppt werden, wenn die Obligationen von Schuldnern mit einer vernünftigen Bonität wieder attraktiver werden und dafür müssen die Zinsen in der Schweiz steigen. Die Stimmen, die öffentlich das Ende der Negativzinsen fordern, werden 2019 lauter werden.
Spielraum für SNB grösser als auch schon
Der Aufwertungsdruck auf dem Franken ist gering, trotz den Turbulenzen an den Aktienmärkten, dem sich zuspitzenden Brexit und den politischen Wirren in wichtigen Euroländern wie Italien und Frankreich. Zudem schaut die SNB nicht nur auf den Euro, sondern auch auf den Dollar. Der Dollar profitiert von den höheren Zinsen und der guten Wirtschaft in den USA. Anlagen in den USA sind vergleichsweise attraktiv und werden den Dollar auch im nächsten Jahr unterstützen. Die Zinsdifferenz zwischen dem Franken und dem Dollar für kurzfristigen Anlagen ist seit 2016 von 1.5% auf 3.5% gestiegen. Auch wenn die SNB ihr Libor-Ziel anhebt, ändert sich an der relativen Attraktivität des Dollars nur wenig. Die Gefahr, dass der Franken handelsgewichtet stark zulegt, wenn die SNB unabhängig von der EZB die Zinsen anhebt, ist überschaubar.
Ich bin der Meinung, dass die SNB im Herbst 2019 die Zinsen anheben wird, für sie idealerweise im Schlepptau der EZB, aber bei Bedarf auch alleine. Bis die Negativzinsen in der Schweiz Geschichte sind, wird es auch dann noch mindestens Frühjahr 2020. (SGKB/mc/ps)