von Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Während den aktuellen Turbulenzen an den Finanzmärkten haben die Anleger einmal mehr den Yen als sicheren Hafen auserkoren. Jede Zuckung der Aktienindizes nach unten hat sofort zu einer Aufwertung des Yens gegenüber dem Dollar geführt. Dies ist erstaunlich, da die meisten Leute von Japan nicht viel mehr wissen, als dass es eine Insel in Ostasien ist mit Tokyo als Metropole.
Ökonomisch gesehen ist es schwer nachvollziehbar, warum gerade der Yen der Hort der Sicherheit sein soll. Japan ist hinter den USA und China zwar die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt und daher von Bedeutung. Es ist aber mit einer Schuldenlast von 230% des BIP auch das weitaus am stärksten verschuldete Industrieland.
Eine lange, abschreckende Liste
Die Schulden steigen ständig weiter an und vom Willen, an diesem Trend etwas zu ändern, ist nichts zu sehen. Die Zinsen in Japan gehören seit Jahrzehnten zu den tiefsten der Welt. Die Bank of Japan hat kürzlich ihren Leitzinssatz mit -0.1% in den negativen Bereich gedrückt. Der Libor-Satz liegt über alle Laufzeiten bis ein Jahr bei 0%. Auch mit Obligationen ist bis zu Laufzeiten von 10 Jahren nichts zu verdienen. Bei der Währung selber ist das Risiko latent, dass die Bank of Japan und das Finanzministerium beschliessen, mittels Interventionen den Yen abzuwerten, was zu grösseren Währungsverlusten führt.
Seit fast 20 Jahren ist Japan zudem der Inbegriff von Deflation und wirtschaftlicher Schwäche, ohne dass es der Regierung und der Zentralbank gelingt, mehr Schwung in die Wirtschaft zu bringen. Die politischen und wirtschaftlichen Strukturen im Land sind verkrustet und Reformen sind zumindest nicht erkennbar. Die Bevölkerung gehört zu-dem zu den Ältesten in der Welt, was der Produktivität nicht gerade förderlich ist.
Fundamental nicht zu erklären
Diese Aufzählung ist wahrscheinlich zu negativ und blendet viele Vorteile Japans und der japanischen Wirtschaft aus. Dennoch ist es aus ökonomischer und fundamentaler Sicht überraschend, warum der Yen in schwierigen Zeiten der Hort der Sicherheit ist, an dem die Stürme der Finanzmärkte abprallen sollten. Die Psychologie der Märkte geht manchmal verschlungene Wege. Dies ist zu akzeptieren, auch wenn man es nicht erklären kann. (SGKB/mc/pg)
Dr. Thomas Stucki ist CIO der St.Galler Kantonalbank. Herr Stucki hat einen Abschluss mit Doktorat in Volkswirtschaft von der Universität Bern und ist CFA Charterholder. Er führt bei der St.Galler Kantonalbank das Investment Center mit rund 30 Mitarbeitenden. Er ist verantwortlich für die Verwaltung von Kunden-mandaten und Anlagefonds im Umfang von CHF 4,4 Milliarden. Zuvor war er als Leiter Asset Management der Schweizerischen Nationalbank verantwortlich für die Verwaltung der Devisenreserven.