Von Thomas Stucki, CIO St. Galler Kantonalbank. (Foto: SGKB)
St. Gallen – Das Ja zum Brexit hat den Renditen der Obligationen sicherer Schuldner zu einem erneuten Schub nach unten verholfen. Die Rendite der Anleihe der Eidgenossenschaft mit Verfall in 48 Jahren am 25. Juni 2064 ist in den negativen Bereich gefallen. Im Schweizer Obligationenmarkt weisen nun 80% der ausstehenden Anleihen negative Renditen auf. Um noch etwas zu verdienen, muss man über eine sehr lange Zeit ein grosses und unberechenbares Kreditrisiko eingehen, beispielsweise mit Obligationen der unter den Kosten und tiefen Strompreisen ächzenden Stromkonzerne.
Am Obligationenmarkt lassen sich zwei Tendenzen erkennen, die beide nicht vertrauenserweckend sind. Der Zins hat seine Steuerungsfunktion verloren. Es spielt keine Rolle mehr, ob die Rendite einer Obligation die ökonomischen Grundlagen und das eingegangen Kreditrisiko widerspiegelt, Obligationen mit langen Laufzeiten werden gekauft, unabhängig vom Renditeniveau. Dieses ist nicht wichtig, solange die Erwartung auf noch tiefere Renditen besteht. Es geht bei der Anlage nicht mehr um die Verzinsung des Geldes, sondern nur noch um die Aussicht auf Spekulationsgewinne, wenn der Preis der Obligation bei noch weiter sinkenden Renditen steigt. Solange die Zinsen immer weiter sinken, geht dieses Spiel auch bei Negativrenditen auf.
Hohe Risiken für Anleger
Auch bei längerfristig orientierten Anlegern wird das Risikomanagement zunehmend ausser Kraft gesetzt. Auf der Suche nach ein paar Basispunkten Rendite kaufen die Anleger Anleihen von Schuldnern, die noch vor ein paar Jahren ein absolutes „no go“ gewesen wären. Es spielt keine Rolle mehr, ob man den Schuldner kennt und ob sein Geschäftsmodell mit einiger Wahrscheinlichkeit die nächsten zehn Jahre übersteht. Hauptsache heute stimmt die Rendite. Die Folge ist eine deutliche Verschlechterung der Schuldnerqualität im Schweizer Obligationenmarkt. Da gleichzeitig trotz qualitativ bedenklichen Schuldnern eine möglichst lange Restlaufzeit gewählt wird, multipliziert sich das eingegangene Kreditrisiko. Dass die Entschädigung für dieses Risiko lächerlich tief ist, ist egal. Solange die Rendite positiv ist, reissen sich die Anleger, allen voran die Pensionskassen, um diese Obligationen.
Beide Tendenzen sind alarmierend und werden den Schweizer Obligationenmarkt einholen. So schnell wie sie kommen, so schnell verlassen die Spekulanten den Markt für die langen Obligationen wieder, wenn die Aussicht auf immer noch tiefere Zinsen an Glanz verliert. Sie werden ihre Papiere auf einen Markt werfen, der diese nicht wird aufnehmen wollen. Ein Renditesprung nach oben wird die Folge sein. Die Duration der Eidgenossen-Anleihe mit Verfall 2064 beträgt 37 Jahre. Steigt die Rendite um 1%, verlieren die Halter dieser Obligation 37% an Wert, deutlich mehr als man in einer starken Börsenbaisse auf den meisten Aktien verliert.
Kreditverluste können in Zukunft zunehmen
Wenn der Zinswind dreht, werden die Obligationen der schlechten Schuldner von heute auf morgen unverkäuflich sein. Es bleibt dann nur noch die Hoffnung, dass der Schuldner in zehn oder mehr Jahren die Anleihe zurückzahlen kann. Nicht alle werden dazu in der Lage sein. Die Kreditverluste bei den Schweizer Obligationen werden in den nächsten Jahren zunehmen.
Je länger das aktuelle Tiefstzinsumfeld dauert, umso grösser werden die Verzerrungen und Irrungen der unter starkem Renditedruck stehenden Anleger werden. Desto stärker und schädlicher wird leider auch das reinigende Gewitter ausfallen. (SGKB/mc/ps)