St. Gallen – Die vor ein paar Jahren als ein Relikt der Vergangenheit erklärte Inflation meldet sich zurück. Das gilt nicht nur für wirtschaftspolitische Krisenländer wie Venezuela oder die Türkei, sondern in gemässigterem Ausmass auch für die grossen Industrienationen. Die Inflationsrate in der Schweiz ist seit Mitte 2017 von 0.2% auf 1.1% gestiegen. In Deutschland sind die Konsumentenpreise mittlerweile 2.5% höher als vor einem Jahr. In den USA steigen die Preise ebenfalls stärker als der Zielwert der Fed von 2%. Die Teuerung ist noch nicht bedrohend, aber für den Konsumenten spürbar geworden.
Für den Anstieg der Teuerung sind sowohl vorübergehende als auch konjunkturelle Faktoren verantwortlich. Zu den ersteren gehören die Energiepreise, die sich seit dem Sommer 2017 fast verdoppelt haben. Deren Einfluss wird abnehmen, nachdem der Erdölpreis wieder deutlich gesunken ist.
Konjunkturelle Faktoren
Die Arbeitslosenraten sind in vielen Industrieländern dank der guten Konjunktur der letzten Jahre auf tiefe Niveaus gesunken. Nach längerem Zögern nimmt der Lohndruck nun zu. In den USA sind die Stundenlöhne im Oktober mit 3.1% gegenüber dem Vorjahr so stark gestiegen wie seit der Finanzkrise nie mehr. Die Erhöhung der Minimallöhne von Firmen wie Walmart oder Amazon zeugt davon, dass es auch schwieriger geworden ist, Personal ohne Fachkenntnisse zu rekrutieren und vor allem zu halten. Mit der guten Wirtschafslage und höheren Löhnen steigt die Nachfrage und damit auch die Möglichkeit für die Firmen, Preiserhöhungen auf ihren Produkten durchzuset-zen. Als weiterer Faktor kommen die sich zunehmend ausbreitenden Strafzölle hinzu.
Zinsen reagieren nur zögerlich auf höhere Inflation
Der fünfjährige Swap-Zinssatz für Franken-Anlagen pendelt um die Null-Grenze und für 10-jährige Anleihen wird 0.5% bezahlt. Die inflationsbereinigte Rendite ist somit deutlich negativ. Das gleiche gilt für die Zinsen in Deutschland. Einzig in den USA ist real mit Zinsen etwas zu verdienen. Wie lange die Investoren dies akzeptieren, ist eine offene Frage. Wenn sie zum Schluss kommen, dass die aktuelle Teuerungswelle keine vorübergehende Ausnahme ist, werden sie eine höhere Inflationsprämie verlangen. Die Folge ist ein Anstieg der Kapitalmarktzinsen für Anlagen mit langen Laufzeiten. Ein Überschiessen der Zinsen nach oben wäre für die mittlerweile hoch verschuldeten Staaten, Unternehmen und privaten Haushalte mit hohen zusätzlichen Kosten verbunden und für die Konjunktur eine harte Belastungsprobe.
Fed geht voran
Die Fed hat bereits darauf reagiert und die Zinsen in den USA angehoben. Damit peilt sie eine kontrollierte Dämpfung der überhitzenden US-Wirtschaft an, ohne sie abrupt abzu-würgen. Sie wird im Dezember die nächste Zinserhöhung vornehmen und auch im nächsten Jahr auf diesem Weg fortfahren. In Europa sieht die Situation anders aus. Die EZB hält an ihren Negativzinsen fest und hat im letzten Jahr den Moment verpasst, während einer starken Konjunkturphase ihre Zinspolitik zu ändern. Die Zinskurve im Euroraum ist dadurch deutlich steiler geworden. Die EZB läuft Gefahr, dass sie die Kontrolle über die Kapitalmarktzinsen verliert, wenn die Inflationserwartungen plötzlich stärker steigen sollten. Es wäre deshalb gut, sie würde nicht bis in den Herbst 2019 mit höheren Leitzinsen zuwarten. Damit würde sie auch den Weg für die SNB freimachen, wieder eine für den guten Zustand der Schweizer Wirtschaft und den Boom an den Immobilienmärkten angepasste Zinspolitik führen zu können. Das Beispiel der Fed zeigt, dass es besser ist, mit graduellen Zinserhöhungen die Geldpolitik zu normalisieren als plötzlich überhastet reagieren zu müssen. (SGKB/mc/ps)